© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Von den Göttern zu sehr geliebt
Das kalte Blau des Gletschers in der Stimme: Zum hundertsten Geburtstag des schwedischen Ausnahme-Tenors Jussi Björling
Wiebke Dethlefs

Nur wenige der großen Sängererscheinungen des 20. Jahrhunderts hatten eine so außergewöhnlich klangschöne Stimme wie Jussi Björling. In Deutschland allerdings ist er nie so populär gewesen wie in den angelsächsischen Ländern einschließlich der USA. 2.000 öffentliche Auftritte und 900 Opernaufführungen ließen ihn, gemessen an seiner verhältnismäßig kurzen Lebensspanne, zu einem der beruflich aktivsten Sänger überhaupt werden.

Johan Jonatan Björling, wie er eigentlich hieß, kam am 5. Februar 1911 in Borlänge in der mittelschwedischen Provinz Dalarna zur Welt. In der weitverzweigten Familie gab es viele Sänger, so daß es kein Wunder war, daß Jussi bei der Aufnahme ins Stockholmer Konservatorium 1928 eine fast voll ausgebildete Stimme hatte. Deswegen entstanden bereits im Jahr darauf erste Tonaufnahmen, und 1930 konnte er als Don Ottavio an der Stockholmer Oper debütieren.

Die überragenden sängerischen Fähigkeiten leiteten rasch eine internationale Karriere ein, die 1936 in Wien begann und über Dresden und Berlin auch in die Neue Welt führte, wo er als einer der bedeutendsten Tenöre der Zeit gefeiert wurde. Es heißt, daß seine strahlende Stimme nie wieder so sieghaft klang wie in jenen späten dreißiger Jahren. Sein Debüt an Covent Garden erfolgte 1939 in der Rolle des Manrico im „Troubadour“, an der New Yorker Metropolitan Opera trat er erstmals 1940 im „Maskenball“ als König Gustav auf. Die Kriegsjahre verbrachte Björling vorwiegend in seinem Kriegsende eine achtmonatige Tournee durch die USA. In Deutschland trat er nach dem Krieg nur zweimal auf, 1950 in Berlin und 1954 in Stuttgart.

Nach 1953 verschlechterte sich nach und nach seine Gesundheit. Ein vermutlich ererbtes Herzleiden führte zu oftmaligen Absagen der Konzerte. Björling stand unter großem Streß, da er sich einem ungeheuren Erwartungsdruck seitens des Publikums ausgesetzt sah, was wiederum einen erheblichen Alkoholkonsum mit sich brachte und die Herzkrankheit ausweitete. Nach Meinung einiger Kritiker hält er in Plattenaufnahmen vom Ende der fünfziger Jahre („Cavalleria“, „Turandot“ und „Madame Butterfly“) nicht mehr das Niveau der vierziger Jahre – wahrscheinlich wegen erster schwacher Verschleißerscheinungen aufgrund der vielen hochdramatischen Partien, die er auf den Bühnen jener Zeit sang. Alles in allem veränderte sich die Qualität seiner Stimme in jenen Jahren jedoch nur wenig.

Björlings Stimme besaß ein ganz eigenes, elegisches Timbre, große Schallkraft und eine leichte Höhe, in der er selbst das hohe C ansatzlos erreichte. Der Sänger. der auch dem schwedischen Volkslied in seinen Programmen breiten Raum gab, hatte seine größten Erfolge im italienischen Fach mit Puccini und Verdi, war aber keineswegs ein typischer italienischer Tenor. Seine Stimme hatte darin, wie Jürgen Kesting meint, „nicht das sonnige Blau des südlichen Himmels, sondern das kalte des Gletschers“.

Das wurde vielleicht noch dadurch verstärkt, daß Björling meist nur wenig darstellerische Emphase zeigte, sondern alle Energie in den Gesang leitete. Auffallend ist, daß er Bellini und Donizetti mied und als (seltener) Mozart-Interpret nicht seine sonstige künstlerische Höhe zeigte. Auch ging er der vorklassischen Epoche mit ihrer Kunst der Fioritur aus dem Weg, womit er sich den obersten Platz im Sängerolymp selber verweigerte.

Legion dagegen ist die Zahl seiner „schlackenreinen“ Aufnahmen. Eine seiner großartigsten Interpretationen mit „zaubrischen Abtönungen“ ist Beethovens „Adelaide“ von 1939. „Noch wohlklingender kann in dieser Engelhaftigkeit keine Männerstimme tönen“, wie Jens Malte Fischer voll Überschwang schwärmt. Unter Discophilen ist seine unter Sir Thomas Beecham 1956 eingespielte Interpretation des Rodolfo in „La Bohème“ ein absolutes Muß.

Mit einer Aufnahme der Gralserzählung näherte er sich im August 1960, kurz vor seinem Tode, erstmals und einzig Wagner an, dem er sich später intensiver widmen wollte. In dieser Aufnahme hört man einen Lohengrin par excellence, der vielleicht jenem Franz Völkers, dem unerreichten Interpreten dieser Figur, gleichkommt. Jens Malte Fischer spricht hierbei von „schmerzlich getönter Sinnlichkeit“ und einem „Stimmwunder aus Blau und Silber“. Diese Aufnahme ist unlängst beim Label Andromeda erschienen (Jussi Björlings Last Concert) und zeigt Björling auf der ganzen Höhe seiner sängerischen Kraft. Nichts ist zu spüren von einem Nachlassen. Welch Verlust für die Wagnerinterpretation war sein zu früher Tod. Ein Herzanfall raffte Jussi Björling am 9. September 1960 im Schlaf hinweg.

Wie Fritz Wunderlich und Peter Anders zählt er zu den stimmlichen Ausnahmeerscheinungen seines Faches – wie diese haben ihn die Götter zu sehr geliebt.

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