© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Flieger, grüß mir das Sonnenrad
RTL-Zweiteiler „Hindenburg“ mit neuen Spezialeffekten, aber abgestandenem Inhalt
Christian Vollradt

Eine Frau (Lauren Lee Smith), die einem Mann (Andreas Pietschmann) versprochen ist, verliebt sich in einen anderen (Maximilian Simonischek); der bringt – mehr aus Versehen denn vorsätzlich – den Verlobten um, erfährt von diesem aber noch, daß ein viel größeres Verbrechen erst bevorsteht. Dem des Mordes Verdächtigten gelingt es schließlich, nicht nur den Tatvorwurf, sondern auch eine Bombe zu entschärfen und am Ende sogar besagte Frau rumzukriegen.

Das ist im wesentlichen die Sex-and-Crime-Ebene, mit der RTL seinen zehn Millionen teuren Historien-Zweiteiler „Hindenburg“ (am 6. und 7. Februar, jeweils um 20.15 Uhr) aufmotzte; spätestens seit „Titanic“ ist klar, daß eine epochale Katastrophe allein für Leinwand und Fernsehschirm nicht ausreicht. Und so muß auch das 1937 auf dem amerikanischen Zielflughafen Lakehurst in einem Flammenmeer untergegangene Luftschiff mit seinen 35 Todesopfern eher die Kulisse als den Mittelpunkt eines Dramas darstellen. Daß dabei historische Figuren und Ereignisse mit Fiktionalem gemischt werden, ist normal und wäre erträglich, wenn die Drehbuchautoren Johannes Betz und Martin Pristl darauf verzichtet hätten, sich als Volkspädagogen zu gerieren.

Auch der Privatkanal RTL kann zeitgeschichtliche Stoffe offenbar nicht aus jenem Zwangskorsett befreien, in die öffentlich-rechtliche Sender ihr „Dresden“ oder ihre „Gustloff“ hineinpressen: Und so sind Kriegsschuld und Shoa eben auch im Zeppelin anno 1937 mit an Bord.

Der Historien-Ballast, mit dem die Film-„Hindenburg“ auf ihre Reise geht, könnte abenteuerlicher kaum sein. Deutschland braucht nichtbrennbares Helium, um seine Luftschiffe sicherer zu machen. Das gibt es nur in den Vereinigten Staaten, die aber haben ein Embargo verhängt, so daß weiter mit dem gefährlicheren Wasserstoff gefahren werden muß. So weit, so nah an der Realität. Der amerikanische Ölmagnat van Zandt (Stacy Keach) will das  Embargo kippen, denn nur wenn er Helium exportieren könnte, wäre sein Unternehmen vor dem drohenden Bankrott bewahrt. Um der Forderung moralisch Nachdruck zu verleihen, soll eine Bombe das Luftschiff explodieren lassen. Dummerweise sind jedoch auch Frau (Greta Scacchi) und Tochter (Lauren Lee Smith) mit an Bord.

Der amerikanische Unternehmer und die NS-Machthaber ziehen an einem Strang, und Zeppelin-Chef Hugo Eckener (Heiner Lauterbach) bringt im US-Konsulat einen Toast auf den Kapitalismus aus: die Dimitroffsche Faschismustheorie à la RTL. Natürlich kommt es noch dicker. Denn die erzbösen Deutschen haben noch ganz andere Pläne als der ein bißchen böse Yankee. Ihnen geht es in Wahrheit gar nicht um Luftschiff-, sondern Flugzeug-Treibstoff; das jedenfalls geht aus den Papieren hervor, die ein Besatzungsmitglied nach Amerika schmuggeln will: Rüstungs- und Aufmarschplan der Wehrmacht. „Sie würden nicht nur die ‘Hindenburg’ zerstören, sie würden die ganze Welt in die Luft jagen!“ ruft der entgeisterte Ingenieur Merten Kröger (Maximilian Simonischek). Alles klar?

Noch einfallsreicher waren die Filmemacher bei der Antwort auf die seit 1937 strittige Frage der Unglücksursache, ob elektrostatisch erzeugter Funke (offiziell) oder Attentat. Die Lösung: beides. Ulrich Noethens Kapitän Lehmann („Göring ist mir scheißegal!“) ist ein derartiger Antipath, daß man sogleich sämtliche Straßen, die seinen Namen tragen, umbenennen möchte. Daß auch nach dem Absturz, dem Brennen, Sterben oder Überleben der Stereotypensalat noch nicht restlos konsumiert ist, sondern sich den NS-Dunkelmännern auch jenseits des Atlantiks nahezu unbegrenzte Erpressungs- und Verfolgungsmöglichkeiten zu bieten scheinen, setzt dem ganzen noch die Krone auf.

Wo bleibt das Positive? Neben mancher schöner Kamerafahrt ist Regisseur Philipp Kadebach vor allem die Inszenierung des Luftschiffs gelungen: außer den technischen Dimensionen der kühle Stil der Neuen Sachlichkeit, der technischen Aufbruchswillen und Moderne repräsentiert. Und einen gewissen Sinn für nonkonforme Thesen beweisen die Autoren mit einem Ausspruch der Gattin van Zandts über die Gemeinsamkeiten von Hitler und Roosevelt, die schließlich beide den „kleinen Mann“ als Rückgrat der Nation werteten. Vielleicht aus Angst, das könnte mißverstanden werden, lassen sie den erkennbar schwulen Komödianten Gilles Broca (Hannes Jaenicke), der sich samt hitlergrüßendem Schäferhund mit an Bord befindet, ergänzen, daß Roosevelt allerdings nicht so viele Hälse umdrehe, auch nicht jene von „Juden, Negern und Homosexuellen“. Na bitte.

Foto: Ein Film, der 1937 spielt, kann kein glückliches Ende haben: Wo Luftschiffe brennen, da brennen am Ende auch Menschen

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