© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Ein Jahr „Berliner Erklärung“ der CDU
Ungebremster Linkstrend
Dieter Stein

Vor einem Jahr setzte die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel mit der „Berliner Erklärung“ ein Signal. Die Erklärung sollte die Partei zum wiederholten Mal „öffnen“. Für sagenumwobene Wählerschichten in den „urbanen“ Schichten des Landes. Ehemalige SPD-Wähler, Patchwork-Familienväter, die aus Sorge ums Klima bislang grün wählten, alleinerziehende Frauen, schwule Männer, und „moderne Performer“, die „irgendwas mit Medien in Berlin-Mitte“ machen.

Wenn in einer politischen Organisation der weltanschauliche Kompaß durch die Wetterfahne ersetzt worden ist, diktieren allein Imageberater, Marktforscher und Demoskopen das Geschäft. Deren Arbeit kann durchaus von großem Nutzen sein, wenn sie eine dienende Funktion hat. Allerdings bewährt sich der Anpassungskurs von CDU und CSU im Windkanal des Zeitgeistes nicht einmal: Seit Jahren schwindet die Anhängerschaft bei Mitgliedern und Wählern, der Markenkern ist immer weniger erkennbar.

Bislang konnte die Union ihren als „Modernisierung“ verbrämten Wandel durch Anbiederung an den linken Zeitgeist nur deshalb fortsetzen, weil im deutschen Parteiensystem die Gesetze des Marktes weitgehend ausgeschaltet sind.

Während es auf der Linken durch eine große Zahl relevanter „Marktteilnehmer“ (Parteien) für den „Kunden“ (Wähler) eine bunte Palette an Optionen gibt, herrscht auf der bürgerlichen Rechten eine bis auf Rudimente gesäuberte Monokultur. Wagten es in der Vergangenheit konservative Rebellen aus der Union, alternative Parteien ins Leben zu rufen, wurden sie rasch isoliert und im Verbund mit Verfassungsschutz und linken Medien mit der Nazikeule erledigt. Das Superwahljahr 2011 wartet indes mit einer Blüte von politischen Bewegungen auf, die Spielräume im Parteienspektrum rechts der Union neu ausloten werden. Ob Jan Timkes „Bürger in Wut“ in Bremen, die Partei „Die Freiheit“ des CDU-Dissidenten René Stadtkewitz in Berlin, das neue Bündnis aus Republikanern in Baden-Württemberg und der Pro-Bewegung in NRW oder die vom ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche neugegründete Formation „Pro Sachsen“ – es tut sich etwas.

Mit Blick auf bisherige Unternehmungen ist Skepsis angebracht. Dennoch hat die zurückliegende Sarrazin-Debatte das Feld für neuen politischen Protest bereitet. Der „Wut-Bürger“ ist in aller Munde. Eine „Aktion Linkstrend stoppen“, die sich vorläufig darauf beschränkt, innerhalb der CDU einen amputierten rechten Flügel zu reanimieren, wächst an Bedeutung, wenn sich eine politische Alternative bei Wahlen durchsetzt, die der Union wirklich gefährlich werden kann. Ansonsten wird die Kanzlerin ungestraft die Konservativen weiter konsequent marginalisieren.

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