© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Die Jugend an die Urnen
Wahlrecht: Wenn am 22. Mai in Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt wird, dürfen erstmals auch 16- und 17jährige ihre Stimme abgeben
Gerhard Vierfuss

Wenn die Bremer am 22. Mai dieses Jahres ihre neue Bürgerschaft wählen, haben sie nicht nur erstmals fünf Stimmen zur Verfügung, die sie frei auf die verschiedenen Listen oder einzelnen Kandidaten verteilen können – zum ersten Mal bei einer Wahl zu einer deutschen Landesvertretung sind auch 16- und 17jährige wahlberechtigt. Für alle anderen Landesparlamente gilt wie bei der Wahl zum Bundestag eine Altersgrenze von 18 Jahren. Lediglich bei Kommunalwahlen sind in mehreren deutschen Bundesländern 16jährige wahlberechtigt. Österreich hingegen führte im Jahr 2007 sogar für die Wahl zum Nationalrat (entsprechend dem Deutschen Bundestag) eine Grenze von 16 Jahren ein.

Bremen wird seit 2007 von einer Koalition aus SPD und Grünen regiert. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag verständigten sich die beiden Parteien auf das Ziel einer Absenkung des Wahlalters. Noch im selben Jahr setzte die Bürgerschaft einen Ausschuß zur „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ ein. Gemäß dessen Empfehlung beschloß die Bremische Bürgerschaft dann 2009 mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken und FDP gegen die Stimmen der CDU das neue Wahlgesetz.

Der Bericht des Wahlrechtsausschusses weist auf eine Bremer Besonderheit hin: Anders als in Flächenländern gebe es in Bremen keine gesonderte Kommunalwahl; vielmehr bestimmten die Wähler aus der Stadt Bremen mit der Wahl zur Bürgerschaft als dem Landtag des Stadtstaates (zu dem außerdem Bremerhaven gehört) zugleich die Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft Bremens. Daher sei, anders als in den genannten Ländern, eine Absenkung des Wahlalters nur für die Kommunalwahl rechtlich nicht möglich.

Die Begründung des Gesetzesentwurfs, die eine Mehrheit der Bürgerschaft überzeugte, nimmt die Argumente auf, die in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder für eine Ausweitung des Wahlrechts vorgebracht wurden: Die gesellschaftliche Entwicklung habe dazu geführt, daß die Jugendlichen heute früher selbständig würden als in der Vergangenheit.

Insbesondere die Ablösung der traditionellen Kleinfamilie durch andere Formen des Zusammenlebens, ein partnerschaftlicher Umgang zwischen Eltern und Kindern, eine verbesserte schulische Bildung und damit einhergehend eine abnehmende elterliche Unterstützung verlangten den heutigen Jugendlichen ein höheres Maß an Eigenverantwortlichkeit ab, heißt es zur Begründung.

Zwar zeigten Jugendliche überwiegend nur geringes Interesse an Politik, doch hätten sie ein Bewußtsein für politisch relevante Themen, besonders soweit sie ihre Generation beträfen. In ihrem Lebensumfeld seien sie gesellschaftlich aktiv: Während früher Protest und Widerspruch vor allem aus den Reihen der Studenten gekommen seien, würden sie heute von Schülern vorgebracht. Dies alles führe zu der Einschätzung, daß 16 und 17 Jahre alte Jugendliche heutzutage regelmäßig in der Lage seien zu beurteilen, welche Bedeutung Wahlentscheidungen haben. Damit aber fehle es an einer Rechtfertigung dafür, sie weiterhin von einem der höchsten Güter der Demokratie, dem aktiven Wahlrecht, auszuschließen.

Auf Gegenargumente läßt sich die Begründung kaum ein: So heißt es zum Vergleich mit anderen Altersgrenzen des deutschen Rechts, hieraus ergäben sich keine eindeutigen Anhaltspunkte; beispielhaft angeführt werden dann Berechtigungen wie die zur Entscheidung über das religiöse Bekenntnis, die bereits mit 14 oder 15 Jahren erlangt werden. Als Argument für die These, eine Übereinstimmung von Wahlalter und Volljährigkeit sei nicht erforderlich, wird lediglich auf das Auseinanderfallen beider in der Zeit von 1970 bis 1975 hingewiesen, als das aktive Wahlrecht zum Deutschen Bundestag auf 18 Jahre gesenkt worden war, die Volljährigkeit aber weiterhin erst mit 21 Jahren eintrat.

Ohne einen genaueren Blick darauf, welche Befugnisse und Befähigungen das Recht in seinen verschiedenen Bereichen Jugendlichen zuspricht, wird sich das Problem jedoch nicht lösen lassen. Denn empirisch ist keine klare Antwort auf  die Frage zu finden, ab welchem Alter ein junger Mensch in der Lage ist, die Tragweite der Stimmabgabe bei einer Parlamentswahl und die politischen Programme der zur Wahl stehenden Parteien zu verstehen. So steht der Beobachtung eines verstärkten gesellschaftlichen Engagements Jugendlicher etwa eine Studie der Universität Hohenheim gegenüber, derzufolge 16jährige ein signifikant schlechteres Verständnis von politischen Zusammenhängen aufweisen als 18jährige.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen