© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Die Sünden der Vergangenheit heilen
JF-Serie Rekonstruktionen (6. Folge): In Hannover sollen die Flußwasserkunst und Schloß Herrenhausen wieder aufgebaut werden
Claus-M. Wolfschlag

Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover wurde im Zweiten Weltkrieg hart getroffen. 88 Luftangriffe gingen auf die Stadt nieder, 85 Prozent der Altstadt wurden zerstört. Einige wiederhergestellte Einzelbauten und zusammengetragene Fachwerkensemble bilden zumindest wenige Traditionsinseln in der geschäftigen Urbanität der Gegenwart. Um so bedauerlicher ist es, daß auch noch fast unzerstörte Gebäude der Abrißwut der Nachkriegszeit nicht entgehen konnten.

So die Ende des 19. Jahrhunderts zum Zweck der Wasserversorgung errichtete „Flußwasserkunst“ über der Leine. Es handelt sich hierbei um ein malerisches Wohn- und Pumpenhaus im Stil der deutschen Renaissance, dessen Turm als Wasserreservoir diente. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Gebäude fast unbeschadet. Dann allerdings wurden Pläne entwickelt, die Ruine des nahe gelegenen Leineschlosses zum Landtagsgebäude umzubauen und mit einem modernen Anbau zu versehen. Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht favorisierte deshalb den Abriß des „pseudo-mittelalterlichen Gebäudes“, um eine Blickachse zum neuen Landtag herzustellen. 1963 erteilte die Stadt hierfür die Abrißgenehmigung. Seither herrscht gegenüber dem Landtag eine unbefriedigend öde Platzsituation. Der einst moderne Plenaranbau, auf den sich die Blicke richten sollten, ist übrigens mittlerweile längst marode und soll möglichenfalls bald wieder abgerissen werden.

2008 gründete sich der Verein „Hannoversche Stadtbaukultur“, der sich aktiv für eine Rekonstruktion der „Flußwasserkunst“ einsetzt. Man geht von Baukosten von 20 Millionen Euro aus, die allerdings durch im Gebäude befindliche Wasserkraftturbinen langfristig wieder erwirtschaftet werden könnten.

Das Projekt ist bislang aber noch nicht über den Präsentationsrahmen hinausgewachsen. Zudem bestehen immer noch Hemmungen in Denkmalpflege und Politik, nun auch historistische Architektur der wilhelminischen Ära für rekonstruktionswürdig zu erachten.

Ungleich weiter ist man hingegen am Stadtrand. Touristisch bekannt ist Hannover dort vor allem durch die ab 1638 entstandenen Herrenhäuser Barockgärten, die zu den bedeutendsten Gartenanlagen Europas zählen. An der nördlichen Parkseite lag einst Schloß Herrenhausen als herrscherlicher Bezugspunkt und Sommerresidenz der Welfen. Der von 1819 bis 1821 durch Hofbaumeister Georg Ludwig Friedrich Laves gestaltete Bau im Stil eines schlichten Klassizismus fiel im Oktober 1943 einem britischen Bombenangriff zum Opfer. Nachkriegspläne zu einem Neubau im Stil des Betonbrutalismus wurden nicht ausgeführt, und so endet die Blickachse des Parks bis heute in einer Leerstelle.

Das wird sich bis 2012 geändert haben. Allerdings stemmt nicht ein bürgerschaftlicher Verein die Rekonstruktion, sondern die „Volkswagen Stiftung“ baut das Schloß für über 20 Millionen Euro als Tagungsgebäude wieder auf. Hinter der originalgetreuen Fassade verbirgt sich dann ein modernes Inneres, unter anderem ein Hörsaal mit 250 Plätzen.

Das Hamburger Büro JK Jastrzembski Kotulla Architekten ist mit den Plänen betraut. Im September wurde die Baugrube ausgehoben, im Frühjahr soll mit dem Rohbau begonnen werden. „Schon jetzt wird die Schloßbaustelle von den Hannoveranern mit größter Aufmerksamkeit verfolgt“, äußerte Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD). Es bleibt abzuwarten, wann er Gleiches auch von der „Flußwasserkunst“ zu berichten wissen wird.

 www.flusswasserkunst.de  www.jk-architekten.com

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