© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Die Angst vor dem Sprung
Das konservative politische Vakuum in Deutschland wächst – und wird noch nicht gefüllt
Dieter Stein

Immer häufiger umkreisten in den zurückliegenden Monaten politische Beobachter und Kommentatoren die Frage, ob es zu einer baldigen Veränderung des deutschen Parteiensystems von rechts kommt. Seit dem Antritt der schwarz-gelben Koalition im Herbst 2009, die mit einem mutlosen Fehlstart und dem Ausbleiben von erhofften Reformen ihre bürgerlichen Anhänger enttäuschte, ist die Existenz eines großen politischen Vakuums rechts von Union und FDP unbestritten.

Der Überdruß über eine unentschlossene, diffuse „Mitte“ wächst, die nach links taumelt und der die rechte Balance fehlt. Mittlerweile räumen selbst linksliberale Blätter ein, daß die Demokratie keine ist, wenn ihr rechter Flügel amputiert ist. Ein alles überlagernder hysterischer „Kampf gegen Rechts“ blockiert den freien Diskurs. So forderte der Medienwissenschaftler Norbert Bolz bereits im vergangenen August im Berliner Tagesspiegel die überfällige Enttabuisierung des „rechten Denkens“ und umriß die Position einer neuen Rechtspartei:

Die Rechte sei „gegen den Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates, für mehr Selbstverantwortung und den unzweideutigen Schutz des Eigentums“, so Bolz, sie trete für einen „fröhlichen Patriotismus und eine christliche Leitkultur“ ein, halte am „Vorrang der traditionellen Familie und an einem mehrgliedrigen Bildungssystem fest“. Und weiter: „Wenn es ihr gelingen sollte, sich als Partei zu formieren, wäre unsere Gesellschaft endlich auch parlamentarisch balanciert. Die neue politische Struktur würde dann so aussehen: Linke-SPD-Grüne-FDP-CDU-Rechte.“

Erst kurz darauf brach mit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine in ihren Ausläufern bis heute andauernde Großdebatte los über verkehrte politische Prioritäten unserer Gesellschaft. Sarrazin zerriß für einen Moment den Nebel aus Scheindebatten und konfrontierte die Öffentlichkeit mit der Frage nach dem Ziel unserer Politik. Seine Feststellung, daß die derzeitige kollektive Wertehierarchie und Sozialpolitik auf die historische Selbstabschaffung unserer Nation hinausläuft, schockierte die in satter Selbstgewißheit verharrende politische Klasse. Augenblicklich stellte sich deshalb als nächste Frage, wer die mit Sarrazin verknüpfte Agenda auf die parteipolitische Tagesordnung setzen würde.

Es schien sich ein günstiger Moment aufzutun, den die Griechen „Kairos“ nannten, den eine neue politische Kraft nur hätte ergreifen müssen, um den aufwallenden Unmut zu kanalisieren. Es lag ein Hauch von Rebellion in der Luft. Die Schweigespirale war durchbrochen, die ansonsten den Diskurs bestimmende Linke in einer dramatischen Defensive. Nur: Diese Kraft war nicht da!

Die FAZ sollte später von einem „Fenster der Gelegenheit“ schreiben, das ungenutzt zuschlug: „Vor und nach der Frankfurter Buchmesse stand es wochenlang sperrangelweit offen. Thilo Sarrazin hatte das Volk derart politisiert, daß nur einer hätte auf die Bühne springen und – mit oder ohne Autorisierung – die Sarrazin-Partei ausrufen müssen, dann sähe die politische Landschaft heute ganz anders aus.“

Das Magazin Focus hatte schon im Juli – vor der Sarrazin-Debatte! – über eine deutsche „Tea Party“-Bewegung spekuliert und ein Personaltableau entworfen, das eine solche neue konservative Partei führen könnte: der knapp als Bundespräsidentschaftskandidat gescheiterte Bürgerrechtler Joachim Gauck, der CDU-Finanzexperte Friedrich Merz, die Islamkritikerin Necla Kelek, der Publizist Arnulf Baring, der Philosoph Peter Sloterdijk, der SPD-Dissident Wolfgang Clement, der Steuerrechtler Paul Kirchhof – und natürlich Thilo Sarrazin! Nachteil: Keiner wurde aktiv.

Der Schriftsteller Michael Klonovsky entwarf – ebenfalls im Focus – im Herbst bereits das fiktive Programm  einer solchen Partei: „Eine konservative oder rechtskonservative Partei, so es eine gäbe, würde darauf hinweisen, daß beide Begriffe eine politische Normalität beschreiben, aber in Deutschland aufgrund jahrzehntelanger Abwertung einen Hautgout besäßen, den sie nicht nur nicht verdient hätten, sondern der antidemokratisch wirke. Wo es eine Linke gibt, würde sie erklären, müsse es aus simplen Gründen des Gleichgewichts und der Repräsentativität eine Rechte geben.“

Die Blaupausen liegen also auf dem Tisch. Der Anfang eines Wohlwollens ist zu spüren. Die Zuschauerränge der Öffentlichkeit sind gut gefüllt. Die Blicke sind gespannt auf die Bühne gerichtet. Die Bürger – sogar manche arrivierte Medienschaffende – sind bereit, freundlichen Beifall zu spenden. Nur auf der Bühne steht niemand. Nach der Parole „Hannemann, geh du voran, du hast die größten Stiefel an“ warten alle auf den großen Unbekannten.

Der Kairos verstrich, weil kein prominenter Kopf den Mut zum Sprung hatte. Die Angst vor dem Verlust von sozialem Prestige überwiegt. Die zu überwindenden objektiven Widerstände sind ebenso groß wie die Feigheit im bürgerlichen Establishment. So bleibt es den beklagenswert schwachen Splittern einer atomisierten rechtskonservativen Szene überlassen, Bruchteile des bürgerlichen Protestes zu sammeln und am organisatorischen Ausbau des vorpolitischen Raumes zu arbeiten. In Hamburg wird die SPD auch deshalb reüssieren, weil von CDU und FDP enttäuschte Wähler keine passable bürgerliche Alternative vorfinden. Ganz anders vor zehn Jahren, als es einem Ronald Schill mit einer rechtsliberalen Formation gelang, auf Anhieb 19,4 Prozent zu erzielen.

Ein Blick über den engen deutschen Tellerrand in unsere Nachbarländer zeigt, daß überall die Demokratie durch eine selbstbewußte intellektuelle und parteipolitische Rechte den Anspruch auf Pluralität und Repräsentativität einlöst. Nur nicht bei uns, wo sich das Parteiensystem nach rechts noch trickreich abzuschotten weiß.

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