© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Trauerarbeit mit Hindernissen
Dresden: Das Gedenken an die Zerstörung der Stadt gerät zwischen die Fronten
Hinrich Rohbohm

Lange hatten sie warten müssen. Dann, zwei Stunden später als geplant, setzte sich der Trauermarsch der NPD-nahen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland durch die Dresdener Innenstadt in Bewegung. Schweigend. Die Polizei hatte die von den Behörden genehmigte Demonstrationsroute verkürzt, nachdem Linksextremisten immer wieder versucht hatten, den Marsch zu unterbinden.

66 Jahre nach der verheerenden alliierten Bombardierung Dresdens waren am Sonntag  Tausende Menschen in die Innenstadt der sächsischen Landesmetropole geströmt. Doch angesichts des angekündigten Trauermarsches und der Gegendemonstrationen werden Trauer und Gedenken an die zahlreichen Opfer zur Randerscheinung. 17.000 Menschen haben sich in der Altstadt eingefunden, bilden eine Menschenkette, die von der Frauenkirche bis hinüber auf die andere Elbseite reicht. Um 14 Uhr erklingen Kirchenglocken. Die Menschen gehen in sich. Gedenken. Doch denken sie dabei wirklich in erster Linie an die Opfer?

„Wir sind gekommen, damit sich so etwas nicht wiederholt“, sagen Gewerkschafter der IG Bergbau, Chemie und Energie, die sich in die Menschenkette eingereiht haben. Sie meinen damit nicht die Bombardierung der Stadt. Sie meinen den Nationalsozialismus und daß sie dagegen „ein Zeichen setzen“ wollen.

Sätze, die von vielen Teilnehmern der Menschenkette zu vernehmen sind. „Ein Zeichen setzen gegen den Trauermarsch der Rechtsextremisten, die den Tag für ihre Zwecke mißbrauchen“, wie es eine junge Frau gegenüber der JF formuliert, wird stets als erster Grund für das Erscheinen genannt. Der eigentliche Anlaß, die Bombenangriffe auf die Stadt, werden zumeist erst an zweiter Stelle genannt. Was ist mit dem Andenken an die Opfer? „An die denke ich natürlich auch, jedes Opfer ist eines zuviel“, schiebt ein Demonstrant hinterher, der sich in ein Transparent von Bündnis 90/Die Grünen eingewickelt hat und zuallererst betont, daß er hier sei, um „Gesicht zu zeigen“. Aber schuld an allem seien schließlich „die Nazis“. Ohne sie hätte es keine Bombardierung der Stadt gegeben. „Wir wollen nicht, daß die Rechten den Tag mißbrauchen“, sagen zwei Schülerinnen, die bereits vor einem Jahr an der Menschenkette in Dresden teilgenommen hatten.

Von der älteren Generation sind andere Aussagen zu vernehmen. „Ich habe den Angriff als fünf Jahre altes Mädchen miterlebt. Ich kann Ihnen sagen: So etwas vergißt man nie wieder.“ Für sie ist der 13. Februar ein „hochemotionaler“ Tag. Die Kellereingänge waren damals durch Trümmerteile versperrt, erinnert sie sich. „Da wurden dann die Wände eingeschlagen, also ein Durchbruch geschaffen“, erklärt die Frau. Siebenmal. Daß in linksextremen Kreisen Sprüche wie „Deutschland verrecke“ oder „Mach’s noch einmal, Bomber Harris“ die Runde machen, empört sie. „Die haben doch immer nur in Frieden gelebt, die können sich das wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was wir durchmachen mußten.“

„Ich kann nicht verstehen, wie es sein kann, daß die Zahl der Opfer immer weiter nach unten korrigiert wird“, äußert sich eine weitere Dresdnerin, die die Angriffe im Alter von neun Jahren erlebte. Im Knopfloch ihres Mantels trägt sie eine weiße Rose. Jenes Widerstandssymbol gegen den Nationalsozialismus, das viele in der Menschenkette tragen. „Die Stadt war voll, hier waren weit über eine Million Leute, da war alles plattgemacht, das kann gar nicht sein, daß es nur so wenig Opfer gegeben haben soll. Ich frage mich, wie die das ermitteln“, zweifelt die Frau an den Ergebnissen der Historikerkommission, wonach es 25.000 Opfer gegeben haben soll.

Während sich die Menschen in der Altstadt die Hände reichen, wird die Lage am Hauptbahnhof zunehmend angespannter. Immer mehr Teilnehmer des Trauermarsches erreichen die Südseite des Hauptbahnhofes, den Ausgangspunkt der Demonstration. Es mögen zwischen 1.000 und 1.500 sein, so genau vermag das niemand zu sagen. Ein Großaufgebot an Polizisten ist präsent. Wasserwerfer und Räumpanzer stehen bereit. Wer auf die Nordseite des Bahnhofs möchte, muß erst mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Der Spruch „No parasan – sie kommen nicht durch“ gilt heute für die Linken selbst. Den Beamten gelingt es, eine Blockade des Trauermarsches zu verhindern. „Hier geht nichts, hier sind überall Bullen“, twittert man sich in linken Kreisen verzweifelt über das Internet zu. „Bitte bleibt alle unbedingt hier, damit wir nicht noch weniger werden“, erklingt es fast schon flehend aus dem „Lauti“, dem Mikrophonwagen der Linksextremisten.

Dann, um 17.10 Uhr, startet der Trauermarsch endlich. Es ist bereits dunkel. Mit Fackeln und Transparenten marschieren die Teilnehmer schweigend los, manche hinter dunklen Sonnenbrillen. „Besatzer raus“ ist auf einem Plakat zu lesen. „Mord verjährt nie“ auf einem anderen. Alles bleibt friedlich, bei den Linken wie bei den Rechten. Am kommenden Samstag werden sie sich alle wiedersehen. Dann wollen beide Seiten in Dresden erneut demonstrieren.

 

Dresden 1945

Bei den alliierten Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 sind nach offiziellen Angaben 18.000 bis 25.000 Menschen ums Leben gekommen (JF 7/11). Diese Zahlen werden von Zeitzeugen angezweifelt. Andere Untersuchungen gehen von einer weit größeren Opferzahl aus. Diskutiert werden Zahlen von bis zu 100.000 Opfern.

Foto: Teilnehmer des Trauermarsches:  „Ich kann nicht verstehen, daß die Zahlen nach unten korrigiert werden“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen