© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Zähigkeit, mit der Mubarak an seiner Macht festhielt, konnte nur den überraschen, der europäische Maßstäbe anlegte. Er repräsentierte ja nicht einfach eine Modernisierungsdiktatur oder ein halbziviles, halbmilitärisches Regime, das es in zahllosen Varianten in allen möglichen Ländern gibt, sondern eine Spätform der „orientalischen Despotie“. Der Begriff geht zwar auf Montes­quieu zurück, wurde aber erst durch den Marxisten Karl August Wittfogel wissenschaftlich etabliert. Wittfogel meinte damit eine Ordnung, die von „hydraulischen Gesellschaften“ hervorgebracht wird, das heißt solchen, die wie im antiken Mesopotamien oder Ägypten auf dauernde Bewässerung angewiesen waren und deshalb einer strikten Zentralisierung und Kontrolle des Volkes bedurften. Insofern hatte der gegen Mubarak gerichtete Ruf „Nieder mit Pharao!“ durchaus seine Berechtigung, wenn auch der Vergleich in bezug auf die politische Effizienz „orientalischer Despotien“ zuungunsten der Gegenwart ausfällt.

Noch deutlicher als in den Romanen zeigt sich in deren Verfilmung, daß das Leitmotiv Stieg Larssons linke Allmachtsphantasien sind. Das dualistische Weltbild, der lächerliche Rekurs auf den Untergrundfaschismus, das verkommene Bürgertum, die Frauenquäler auf der einen, die Kommunisten mit menschlichem Antlitz auf der anderen Seite und die deutliche Genugtuung über die Verstümmelung oder grausame Tötung der Gegner bedienen aber auch ein populäres Bedürfnis. Man muß den Erfolg auf Vorstellungen zurückführen, die im westlichen Publikum tief verankert sind, Teil eines kollektiven Unbewußten als Ergebnis der letzten Kulturrevolution.

Die Forderung der britischen Regierung, daß zukünftig von Archäologen gefundene menschliche Überreste nach zwei Jahren wieder vergraben werden müßten, hat unter Forschern Proteste hervorgerufen. So unbegreiflich ist die Maßnahme aber nicht. Ich erinnere mich noch der Empörung eines älteren Bekannten, der zäh für die Wiederbestattung der Moorleichen eintrat, die im Museum in Schleswig gezeigt werden. Es ließ den Mann nicht los, daß man glaubte, die Totenruhe der Vorfahren stören zu dürfen, um die Schaulust der Nachkommen zu befriedigen.

Wenn bei der Diskussion über die Umwälzungen in der arabischen Welt immer wieder darauf hingewiesen wird, die dortigen Gesellschaften stünden noch „im Mittelalter“ oder es gehe dort zu „wie im Mittelalter“ oder man komme „nicht aus dem Mittelalter“ heraus, so bleibt doch darauf hinzuweisen, daß sich weder Ägypten noch Tunesien, noch der Jemen je im Mittelalter befanden. Mittelalter ist nur ein im Kontext der europäischen Geschichte sinnvoller Begriff. Es gab zwar in anderen Kulturen vergleichbare Erscheinungen – Feudalwesen, Elitekriegertum, bestimmte Agrarstrukturen etc. –, aber sie bildeten nirgends die Vorstufe einer Neuzeit wie im Abendland. Zu den zählebigsten Überresten des 19. Jahrhunderts gehört offenbar der Entwicklungsgedanke, der meint, alle menschlichen Sozialformen müßten denselben Prinzipien folgen und stufenweise bestimmte historische Stadien durchlaufen. Eigentlich hätte die Sache mit der intellektuellen Abdankung des Marxismus hinter uns liegen können, aber die Idee des allgemeinen oder Menschheitsfortschritts scheint unaustilgbar.

Der Kauf von Safran hat etwas vom Rücksturz in der Zeit. Der Preis des Gewürzes ist nach wie vor abhängig von den politischen Verhältnissen in fernen Weltgegenden, wird nach Gramm gerechnet, im Einzelhandel die Menge mit der Feinwaage gewogen. Der Geschmack ist immer noch ungewöhnlich, fremd, man liest ohne Überraschung, daß die Fälschung von Safranfäden in der Vergangenheit mit dem Tod bestraft wurde.

Außenminister Westerwelle hat uns Tunesien als Vorbild für Zivilcourage empfohlen, die Leitartikler der großen Blätter prophezeien einen weiteren Sieg der Demokratie als universales Prinzip. Zu verstehen ist das so wenig wie der Enthusiasmus bei der Wahl Obamas oder – länger zurückliegend – die Menge an Vertrauensvorschuß für die schwarzen Regierungen, die die weißen Rhodesiens oder Südafrikas ablösten. Dagegen bleibt nüchtern festzuhalten: Alles spricht für einen Regime-, nichts für einen Qualitätswechsel. Kein Grund für die Annahme, daß die Zurückhaltung der Armee in Ägypten etwas anderes ist als die Folge amerikanischer Intervention. In Ägypten droht das Chaos oder es wird nach ein paar Tagen der Euphorie eine Oligarchie durch eine andere ersetzt, wenn wir Glück haben ohne Beteiligung der Muslimbruderschaft und massenhafte Christenverfolgung. Um noch einmal auf Montesquieu und die klugen Männer des 18. Jahrhunderts zurückzukommen: Gemäßigte Regime wie die parlamentarische Demokratie sind nur denkbar unter günstigen historischen Bedingungen, in gemäßigten Klimaten.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. März in der JF-Ausgabe 10/11.

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