© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Wie wir heute arbeiten,werden wir morgen leben
Unternehmenskultur in Zeiten der Globalisierung: „Die Firma dankt“ im Staatsschauspiel Dresden polarisiert und zwingt zum Nachdenken
Uwe Ullrich

Dieses Bühnenstück polarisiert. Der Zuschauer kann nur einen von beiden mögen, Sympathie hegen. Entweder den an althergebrachten Berufvorstellungen festhaltenden Angestellten im mittleren Alter Adam Krusenstern (Philipp Lux) oder den jungen Sandor Mayer (Christian Clauß, Student des Schauspielstudios Dresden), den ebenso unerzogen auftretenden wie undogmatischen neuen Firmenbesitzer. Ein diplomatisches Vermitteln der Positionen ist in diesem Fall schier unmöglich.

Die Konstellation: Der Bereichsleiter Krusenstern wurde im Auftrag der neuen Firmenleitung an einem Wochenende ins noble Gästehaus eines international agierenden Unternehmens eingeladen. Er weiß in der Phase der Umstrukturierung seiner Firma nicht – die alten Kollegen suchen schon eine neue Tätigkeit –, ob die neue Leitung ihn übernehmen oder entlassen wird. Wer wird über seine berufliche Zukunft entscheiden? Weil er noch nicht weiß, wer über ihn bestimmen wird, versucht er überall, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Im besten Sinne Staffage, die Namensgebungen deuten internationales Agieren an, sind das hübsche und unbedarfte Büropüppchen Mayumi Selo (Ina Piontek), der schmierige John Hansen (Thomas Eisen) als Personalchef und die Personaltrainerin Ella Goldmann (Christine Hoppe), die sich zwar der neuen Methode anpaßt, aber gelegentlich ihre „Altmodischkeit“ und Reste von Moralität durchscheinen läßt.

Die von Aurel Lenfert sparsam mit Interieur ausgestaltete Bühne teilt symbolisch durch straff horizontal und vertikal gespannte Stahlseile, die in ihrer augenscheinlichen Offenheit Transparenz vorheucheln, die Raumtiefe. Was offen erscheint, erweist sich im Spiel als elektronisch hermetisch abgeschlossen. Das heimliche Belauschen der Gespräche Krusensterns mit anderen Protagonisten offenbart hier die billige Hinterhältigkeit Vorgesetzter.

Adam Krusenstern ist ein gestandener Mann mit eingeschliffenen Prinzipien, Hierarchie- und Wertvorstellungen. Als sein Gegenpart entpuppt sich endlich Sandor Mayer, Absolvent verschiedener Eliteschulen, der zwar stets mit summa cum laude in den Abschlußzeugnissen brillierte, aber sich stets wie im Kino wähnt und nicht mit dem „richtigen“ Leben verbunden fühlt. Jetzt spielt er sich als skrupelloser Manager auf, der die Strategie des globalen Spieles ohne realwirtschaftliche Basis (scheinbar) eingehend beherrscht. Im Umgang mit Menschen kann der Zuschauer eine angeborene Lässigkeit vermuten – seine primitiven Äußerungen wie die äußere Erscheinung sind durchgeknallt –, die ihn bei oberflächlicher Betrachtung als Karikatur erscheinen läßt und so seine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit geschickt verbirgt.

Immer wieder zeigt sich Sandor verwundert über einen Mann wie Adam Krusenstern, der sich noch immer mit seiner Arbeit identifiziert und klassische, überkommene Kommunikationstechniken pflegt. Sandor: „Sein Haß wird ihn stark machen. Mein Krusenstern, mein Feind. Das hat gefehlt. Der Gegenpol. Der Mann aus der Vergangenheit. Das beste Mittel gegen Denkfaulheit und Gewöhnung. Der große Verhinderer. Was an Krusenstern vorbeikommt, hat Bestand. Über diese Barrikade muß jede Idee. Die Antimaterie all der charmanten, hochbegabten, freundlichen Bastarde, die morgen kommen.“ Das makabere Fazit einer inszenierten Kündigungszeremonie mit einem zeitlich verzögerten guten Ende (?) – die Wiedereinstellung.

Streckenweise rutscht die Inszenierung (Regie Susanne Lietzow) ins Komödiantische ab. An Stellen, wo Ernsthaftigkeit gefordert wäre, vergeben ein Bananenschalentanz , in den Arschkriechen, Ohrfeigen, die im Stück (Abdruck im Programmheft, zu einer brutalen Gewaltorgie ausufern, oder eingefügtes Puppenspiel Lutz Hübners ernsthaftes Anliegen, sensible Schilderungen alltäglicher, allzu menschlicher Abgründe der modernen Arbeitswelt als Typen, weniger als Charaktere abzubilden. Sein Ziel ist, jene neue Unternehmenskultur offenzulegen, bei der Innovation und Flexibilität gefordert wird, ohne daß diese Anforderungen definiert werden.

Das Ergebnis: gefühlte Überforderung und stetig steigende Lebensangst. Hübner: „Mich interessiert die Verunsicherung, die entsteht, wenn der einzelne nicht mehr weiß, ob seine Berufserfahrung und Loyalität noch etwas zählt oder nicht. Die rapide Zunahme von Arbeitsunfähigkeit aufgrund von psychischen Erkrankungen hat mit diesem Umstand etwas zu tun. Wie kommt es dazu, daß Menschen lieber tot sein wollen – praktische Fälle sind hierzu bekannt – als unter einem neuen Chef zu arbeiten?“

Trotz einiger kritischer Einwände ist dem neuen Stück Hübners, Jahrgang 1964, ein gleicher Erfolg zu wünschen wie seinem im vergangenen Jahr in Dresden uraufgeführten Theaterstück „Frau Müller muß weg“, dessen Aufführungen über Monate vorher ausverkauft sind und die fünfzigste Vorstellung dieses Jahr am 19. März erlebt. So wie sich eine Grundschulleiterin wünscht, daß die Inszenierung „zur Pflichtveranstaltung für Eltern aller Viertkläßler erklärt werden“ sollte, müßten Vorstände und Führungskräfte angehalten sein, sich „Die Firma dankt“ anzusehen, um mit dem Publikum anschließend über Grundsätzliches in der „heilen“ Arbeitswelt zu diskutieren.

Die nächsten Vorstellungen von „Die Firma dankt“ finden am 26. Februar, 5., 22. und 24. März sowie am 2. und 9. April, jeweils um 19.30 Uhr, im Kleinen Haus – Staatsschauspiel Dresden, Glacisstraße, statt. Kartentelefon: 03 51 / 49 13-555 www.staatsschauspiel-dresden.de

Foto: Adam Krusenstern (Philipp Lux): Eingeschliffene Prinzipien, Hierarchie- und Wertvorstellungen

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