© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Volles Register
Traditionshandwerk in Mitteldeutschland: Seit Silbermann blüht der sächsische Orgelbau
Paul Leonhard

Mitteldeutschland ist das Land der Orgeln. Egal ob Landstädtchen oder verwunschenes Dorf, nahezu in jeder Kirche befindet sich eine Orgel. Die meisten stehen unter Denkmalschutz. Viele sind mehrere hundert Jahre alt und stammen von berühmten Orgelbaumeistern. Der bekannteste ist wohl Gottfried Silbermann (1683–1753). Ein Meister des Barocks, der Mitte des 18. Jahrhunderts Einflüsse des französischen Orgelbaus nach Mitteldeutschland gebracht und mit seinem Schaffen die sächsische Orgellandschaft bis heute geprägt hat. 23 Silbermann-Orgeln haben sich im Freistaat Sachsen erhalten und werden liebevoll gepflegt und gespielt.

Silbermann blieb nicht der einzige, der in hoher Qualität dem reichen Bestand mitteldeutscher Orgeln immer neue Schätze hinzufügte. So ist der Orgelbau auch heute ein prosperierender mittelständischer Wirtschaftszweig, bei dem sich Restaurierung und Neubau die Waage halten. Einige Orgelbaufirmen können auf fünf und mehr Generationen zurückblicken. Sie schöpfen aus reichen Erfahrungen und stellen sich neuen Herausforderungen. So gelang es der Orgelbaufirma Hermann Eule aus Bautzen unlängst, für die Lalaport Mall im japanischen Yokohama eine weltweit einmalige Kombination von Porzellanglocken und Porzellanpfeifen herzustellen.

Orgeln sind mächtig, vermögen Dome mit ihrem Klang zu füllen und das „anzurühren, was da im Menschen als Seele steckt – darum also drängen sie hervor und wollen, daß sie Geschichte seien“, würdigt der sorbische Schriftsteller Jurij Brezan die Königin der Instrumente. Er fragt nach den Erbauern: „Aber wer dachte über sie nach? Wer schnitt ihr Holz zurecht? Wer goß das Zinn? Wer fügte sie zusammen und gab ihnen ihre Seele?“ Während die Firma Eule in Bautzen seit 1872 Orgeln baut, reicht die Geschichte des Orgelbaus Jehmlich in Dresden weiter zurück. Der älteste noch bestehende Orgelbaubetrieb in Deutschland wurde von Gotthelf Friedrich Jehmlich begründet, der sein Handwerk Anfang des 19. Jahrhunderts in Constappel bei Meißen erlernte. Mehr als hundert Jahre übernahm die Firma Jehmlich den großen Umbau der Silbermannorgel in der Dresdner Frauenkirche.

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute sie die Silbermannorgel in der Katholischen Hofkirche Dresden wieder auf und restaurierte die große Silbermannorgel im Freiberger Dom. 1972 wurden Orgelbaubetriebe wie Jehmlich und Eule zwangsweise verstaatlicht. Da sie wichtige Devisenbringer waren, „durften“ die bisherigen Eigentümer die Geschäfte weiterhin führen. So ging wenigstens die handwerkliche Tradition nicht verloren. Erst 1990 reprivatisierte man die Unternehmen.

Der in Ahrenshoop geborene Kristian Wegschneider sammelte als Leiter der Restaurierungsabteilung bei Jehmlich genug Erfahrungen, um Anfang 1989 in Dresden eine eigene Orgelwerkstatt zu gründen. Inzwischen beschäftigt er zehn Orgelbauer und liefert seine Meisterwerke nach Norwegen, Frankreich, in die USA und die Schweiz. Auf die Restaurierung und Reparatur pneumatischer Instrumente hat sich Orgelbaumeister Benjamin Welde spezialisiert, der seinen Betrieb in Olbersdorf in fünfter Generation führt. In Moritzburg ist Orgelbaumeister Christoph Rühle zu Hause, der 1988 von seinem Vater die Firma übernahm. Die von ihm restaurierten kunst- und kulturgeschichtlich bedeutenden Orgeln erklingen in Burg Schönfels bei Zwickau, im Köthener Schloß und im Kloster Grüssau in Schlesien.

Foto: Orgelprospekt im Freiberger Dom: Silbermanns Nachfolger restaurierten sie nach dem Zweiten Weltkrieg

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen