© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

„Unser Land kann uns nicht mehr schützen“
Berlin: Vier jugendliche Ausländer prügeln auf einem U-Bahnhof im Stadtteil Lichtenberg einen Handwerker ins Koma
Henning Hoffgaard

Eine Kerze, ein paar Blumen und ein handgeschriebener Zettel. „In Gedenken an den Schwerverletzten“ steht darauf geschrieben. Man muß schon genau hinsehen, um ihn überhaupt zu finden, versteckt hinter einer Infosäule der Berliner Verkehrsbetriebe.

Mehr erinnert im U-Bahnhof Lichtenberg nicht an den Gewaltexzeß, der sich hier in der Nacht zum 12. Februar abspielt. Das Opfer Marcel R. liegt seitdem mit schweren Hirnschäden im Koma auf der Intensivstation. Sein Zustand ist äußerst kritisch. Die Ärzte sagen, er wird, sollte er überleben, sein Leben lang schwer behindert bleiben.

Die Täter heißen Etrit E., Jeffrey W., Dino M. und Naceh A. stammen aus dem Kosovo, Kenia, Bosnien und Irak. Die 14 bis 17 Jahre alten Ausländer streifen um kurz vor Mitternacht im Bahnhof umher, später werden sie sagen, sie wollten nur jemanden „abziehen“. Um 23.50 Uhr entdecken sie Marcel R. und einen Arbeitskollegen. Die beiden Malergesellen hatten noch ein paar Feierabendbiere getrunken und wollen sich auf den Heimweg machen.

Auf einem Überwachungsvideo ist zu sehen, wie die vier unvermittelt auf Marcel R. und seinen Begleiter einschlagen. Der Kollege des Malers kann den Angreifern zunächst entkommen. Die konzentrieren sich jetzt auf den 30jährigen. Mit äußerster Brutalität wird er eine Treppe hinuntergeprügelt. Immer wieder treten die Jugendlichen gegen seinen Kopf. Der Malergeselle versucht, den Tätern zu entkommen. Vergeblich. Als er sich erschöpft gegen einen Pfeiler lehnt, wird ihm mit Anlauf in den Rücken getreten. Marcel R. bricht zusammen und liegt regungslos am Boden. Bevor die vier Ausländer den Tatort verlassen, stehlen sie dem Bewußtlosen noch die Jacke und sein Handy.

Vor dem Bahnhof entdecken sie den geflüchteten Arbeitskollegen wieder. Auch ihn schlagen sie rücksichtslos zusammen. Gerettet wird er schließlich durch die Anwesenheit eines Mitgliedes der Rockergruppe Bandidos, der dem am Boden liegenden zu Hilfe kommt. Die Jugendlichen lassen daraufhin von ihrem Opfer ab und flüchten vom Tatort.

Alle vier werden schließlich am vergangenen Dienstag festgenommen. Ein Polizeibeamter hatte den 17jährigen Jeffrey W. auf dem Überwachungsvideo wiedererkannt. Der Schüler hatte an einem Anti-Gewalt-Projekt der Polizei teilgenommen. Nach seiner Verhaftung führt er die Beamten zu seinen drei Komplizen. In einer ersten Vernehmung werfen die Jugendlichen Marcel R. vor, er hätte sie mit „Sieg Heil“-Rufen und rassistischen Äußerungen provoziert. Nachdem Staatsanwaltschaft und Polizei diese Unterstellung als Schutzbehauptung zurückweisen, ziehen die Täter ihre Anschuldigung schließlich zurück und gestehen die Tat. Reue zeigen sie keine. Einer hatte mit der Tat sogar vor seiner Freundin geprahlt.

Die vier sind in Lichtenberg nicht unbekannt. Ein Zeitungsverkäufer im U-Bahnhof sagt der JUNGEN FREIHEIT, die Clique sei immer schon „laut und auffällig“ gewesen. Die Behauptung der Polizei, es handele sich um keinen „Kriminalitätsschwerpunkt“, können viele Passanten nicht nachvollziehen. Paul Köhring, der jeden Tag im Bahnhof arbeitet, sagt: „Lichtenberg ist schon ein heißes Pflaster geworden.“ Vor allem junge Migranten würden immer wieder für Ärger sorgen. Er war es auch, der den Zettel über den Blumen und Kerzen angebracht hat. Damit die Leute überhaupt wissen, was hier passiert ist, sagt er.

Die Polizei teilte auf Anfrage mit, es habe sich nur um einen „Einzelfall“ gehandelt. Die Präventionsbeauftragte der Polizei, Susanne Bauer, weist darauf hin, daß die Zahl der Gewaltverbrechen stark rückläufig sei. Hauptursache für die Übergriffe von Jugendlichen sei häusliche Gewalt. Das betreffe vor allem jugendliche Migranten, die aus Kriegsgebieten stammen.

Inzwischen hat sich auch die Schwester von Marcel R. geäußert. Auf
Facebook schreibt sie: „Unser Land kann uns nicht mehr schützen, bald sind wir Flüchtlinge aus Deutschland, wenn wir das alles nicht mehr aushalten können. Wir müssen uns bewaffnen, damit wir nicht von Kindern totgeschlagen werden auf offener Straße! Wer gibt mir eine Waffe?“

Eine Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe ließ einen Tag nach der Festnahme der Täter mitteilen: „Der öffentliche Personennahverkehr ist sicher.“

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