© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

„Der Islam ist die Lösung“
Ägypten I: Die Muslimbrüder als unbekannte Größe / Lieber politisch lavieren als offen agieren
Bodo Bost

Im Westen geht die Angst um, Ägypten könne zu einem zweiten Iran werden, wenn dort die Islamisten die Macht übernähmen. Doch wer sind die Muslimbrüder? Wofür stehen sie?

Die Muslimbruderschaft gehört zu den großen Unbekannten der derzeitigen Umwälzungen in Ägypten, obwohl sie zu den ältesten und wichtigsten Gruppierungen zählt. Sie wurde 1928 von dem Volksschullehrer Hassan al-Banna als Sozialbewegung des aufstrebenden Bürgertums gegründet, das in der Rückkehr zu islamischen Werten unter dem Motto „Der Islam ist die Lösung“ eine Erneuerung der Gesellschaft und die Wiedererrichtung eines Kalifats anstrebte.

Schnell wuchs die Bruderschaft zu einer mitgliederstarken Organisation mit Hunderttausenden von Sympathisanten, die sich aber nicht nur auf religiöse und soziale Arbeit beschränkte, sondern sich mit ihrer Beteiligung an Anschlägen und Staatsstreichen (Attentat auf Präsident Gamal A. Nasser, 1954) zum Staatsfeind Nummer eins entwickelte. Einige ihrer Führer wurden ermordet (Al-Banna 1949) oder hingerichtet (Sayyid Qutb 1966), die Bruderschaft selbst verboten. Doch auch die Illegalität hinderte sie nicht daran, ihren Einfluß auf weite Teile der Gesellschaft auszubauen. Sie gründeten Krankenhäuser, stärkten die Solidarität unter Muslimen, kümmerten sich um Jugendliche, Arme und Alte. Gleichzeitig bekannten sie sich zum Dschihad, propagierten die Verbreitung des Islam und unterstrichen dessen Totalitätsanspruch.

Parteiprogramm mit Widersprüchen

Erst unter Präsident Sadat (1970–1981) verzichtete die Führung der Muslimbrüder auf Gewalt als Mittel des politischen Kampfes (Ausnahme: Kampf gegen Besatzer). Dies führte zwar dazu, daß sich radikalere Gruppen, wie die Jama‘at Islamiyya, abspalteten, doch kehrten parallel dazu viele „Brüder“, die vor den Verfolgungen durch Präsident Nasser ins Ausland geflohen und dort zu Wohlstand gekommen waren, nach Ägypten zurück und begannen ihr angespartes Kapital zu investieren. Entsprechend sollen sich heute unter den 18 größten Unternehmerfamilien Ägyptens angeblich acht Muslimbrüder befinden.

Die Emordung von Präsident Sadat 1981 und die Präsidentschaft von Hosni Mubarak zwangen die Muslimbrüder jedoch wieder in die Halblegalität. Dennoch konnten „Brüder“ seit den 1990er Jahren als unabhängige Kandidaten ins ägyptische Parlament einziehen, im Jahr 2005 sogar mit einem Anteil von 20 Prozent der Abgeordneten. Ein achtbarer Erfolg, der die Verwurzelung der Muslimbrüder in der ägyptischen Gesellschaft manifestierte.

Inhaltlich legte sich die Muslimbruderschaft dann im Jahre 2007 ein neues Parteiprogramm zu, das allerdings viele Widersprüche offenbarte. So lag dem Programmentwurf ein wertegeleiteter Scharia-Begriff zugrunde, der trotz steter Bekenntnis zur Demokratie in der ägyptischen Öffentlichkeit Irritationen auslöste. Stein des Anstoßes war einerseits die Forderung, wonach Frauen und Christen vom höchsten Staatsamt ausgeschlossen bleiben sollten. Zweitens wurde in dem Entwurf die Einsetzung einer Kommission aus Rechtsgelehrten als oberster juristischer Instanz gefordert. Aber just die Herrschaft der Rechtsgelehrten ist genau das Staatsprinzip des Gottesstaates Iran. Als man anschließend einige dieser Passagen wieder gestrichen hatte, sah und sieht sich die Muslimbruderschaft Vorwürfen ausgesetzt, sie benutzten die Demokratie lediglich als Mittel zum Zweck.

Ein ägyptischer Khomeini ist noch nicht in Sicht

Seit gut einem Jahr steht Mohammed Badie an der Spitze der Bewegung. Der Tiermedizinprofessor hatte sich bei den Wahlen im Dezember 2009 durchgesetzt, bei denen sich Expertenmeinungen zufolge der konservative Flügel der Muslimbrüder den „Reformern“ überlegen zeigte. Badie ist sicher kein „ägyptischer Khomeini“, allerdings ist kurz nach dem Sturz Mubaraks der legendäre „Medienmufti“ Yusuf al-Qaradawi (85), einst Schüler Hassan al-Bannas, nach 50 Jahren Exil in Qatar wieder nach Ägypten zurückgekehrt.

Da der „Medienmufti“ anders als die Mehrheit der „Brüder“ auch große Sympathien unter den Al-Azhar-Gelehrten besitzt, könnte ihm die Symbiose zwischen Volksislam und Orthodoxie (Azhar-Universität) gelingen, womit die Muslimbrüder zum entscheidenden Machtfaktor in einem demokratischen Ägypten würden. Doch erst einmal wird die traditionelle Gegnerschaft zwischen Muslimbrüdern und Militärs dazu führen, daß sich die „Brüder“ in der vom Militär geleiteten Übergangsphase eher lavierend verhalten werden.

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