© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen
Teure Altlast
Jens Jessen

Die nicht erwerbstätigen Familienangehörigen eines in Deutschland lebenden Türken sind kostenlos in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mitversichert. Ganz unabhängig davon, ob dieser arbeitet oder arbeitslos ist. Grund dafür ist ein Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei vom 30. April 1964.

Ähnliches gilt durch ein Abkommen mit Jugoslawien vom 12. Oktober 1968 auch für Bürger von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro. Das empört viele Deutsche, und mehr als 10.000 haben daher eine Petition an den Bundestag unterzeichnet, um eine vermutete Besserstellung im Vergleich zu Deutschen oder EU-Bürgern abzuschaffen.

Sinn der Regelung ist es, die Familien der angeworbenen Gastarbeiter in ihren Heimatländern abzusichern. Allerdings wird mit Rücksicht auf die dortigen Traditionen der Begriff „Familienangehörige“ im Abkommen viel weiter gefaßt. Daher sind nicht nur Ehegatten und Kinder mitversichert, sondern auch Mitglieder der Großfamilie wie für ehelich erklärte Kinder.

Leistungen erhalten auch die Eltern des unterhaltspflichtigen türkischen Versicherten. Voraussetzung ist eine Vorversicherung von 120 Tagen. Die der türkischen Krankenversicherung entstehenden Behandlungskosten werden von der GKV über eine vereinbarte vorläufige Monatspauschale erstattet, die auf durchschnittlichen Behandlungskosten für Patienten in der Türkei basiert. 2000 wurde die Monatspauschale auf 17,75 Euro (213 Euro pro Jahr) festgelegt. 2002 waren es schon 336 Euro jährlich – das ist eine Steigerungsrate von 58 Prozent. Neuere Erkenntnisse über die Entwicklung der Pauschale konnte oder wollte das Bundesarbeitsministerium bislang nicht beisteuern. Ein Schelm, der unterstellt, daß die florierende Wirtschaft in der Türkei (inklusive höherer Inflationsraten) Steigerungsraten der Pauschalen mit jährlich 29 Prozent ermöglicht hat. 2009 soll die Pauschale bei 48,50 Euro angekommen sein – 582 Euro jährlich.

Insgesamt sollen der Türkei etwa zehn Millionen Euro überwiesen worden sein. Das Arbeitsministerium koppelt die Pauschalenentwicklung bei Anfragen einfach ab. Aus Angst, das Blut des deutschen GKV-Beitragszahlers in Wallung zu bringen? Wie viele Familienangehörige in der Türkei behandelt werden, ist sicher unbedeutend, solange tatsächlich pauschal abgerechnet wird.

Den wohl wahren Grund für das eiserne Festhalten an der Regelung verriet der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy. In einer Antwort auf eine Wähleranfrage verwies der ansonsten vor allem im „Kampf gegen Rechts“ engagierte SPD-Politiker darauf, daß die Kosten für die deutsche Krankenversicherung deutlich höher ausfallen würden, wenn die anspruchsberechtigten Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten, sondern in Deutschland wohnen würden. Da hat er sicher derzeit noch recht.

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