© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Den Doktortitel kann er sich an den Hut stecken
Kopieren und einfügen: Karl-Theodor zu Guttenberg steht auch nach seinen bisherigen Erklärungen weiter unter Druck
Heino Bosselmann

In Deutschland lassen Bildungspolitik, Bologna-Prozeß und Karriereplanung die akademischen Gepflogenheiten verkommen. Den Skandal auf der Spitze des Eisbergs löste der Bremer Rechtsprofessor Fischer-Lescano aus. Er verdächtigte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg primär gar nicht der wissenschaftlichen Unlauterkeit, sondern meinte als kritischer Rezensent zunächst nur wahrzunehmen, daß dessen an der Universität Bayreuth mit „summa cum laude“ bewertete Dissertation mit ihrem ambitioniert erscheinenden Thema so innovativ und geistreich nicht wäre; eher „zermürbe“ sie den Leser mit „Politsprech“ und scheine das Besturteil kaum zu rechtfertigen.

Erst als er Textbestandteile durch eine Internetsuchmaschine laufen ließ, fand der am Bremer Zentrum für europäische Rechtspolitik forschende Jurist die ersten schlimmen Plagiate, und andere Rechercheure, vor allem die Süddeutsche Zeitung, förderten immer mehr davon zutage, was weniger den Plagiator beschämte als die Autoren bestürzte, die sich kopiert fanden.

Der selbstbewußte Minister bezeichnete die Vorwürfe zunächst als „abstrus“ und versicherte, er habe seine Dissertation „nach bestem Wissen und Gewissen“ angefertigt. Den hehren Worten folgte dann – unter feiger Umgehung der Bundespressekonferenz – das Zugeständnis, auf das Führen des Doktortitels „vorübergehend“ zu verzichten. Indessen installierten findige Plagiatsjäger im Netz ein „GuttenPlag-Wiki“, das im Verfahren der Schwarmintelligenz akribisch genau eine Menge Seiten mit inkriminierten Textstellen aufführt – eine erdrückende Beweislast, gegen die eine Rechtfertigung extrem schwerfallen dürfte, selbst wenn Volkes Stimme und sogar Akademiker sich immer noch zu schwer nachvollziehbaren Versuchen der Ehrenrettung aufwerfen.

Am Montag dann wie eine Notamputation die Ankündigung, den Titel „zurückzugeben“. Ein wissenschaftsgeschichtlich wohl einmaliger Vorgang. Ja, er habe „Blödsinn“ und „Peinliches“ geschrieben. Solche jähen Wendungen gehören zum Guttenberg-Prinzip. Aber wenn der Doktorhut nun doch zu groß ist, bleibt ja immer noch der Ministermantel. Und jetzt will er sich die Medien vornehmen. Seine Fans werden frohlocken.

Man darf davon ausgehen, daß dieses blamable Fehlverhalten eines sehr prominenten Aufsteigers leider zum gängigen Verfahren avanciert, für das sich der Begriff „Copy-and-Paste-Affären“ zu etablieren beginnt. Die maßgeblichen Motive dafür haben mit dem bloßgestellten Minister nur insofern zu tun, als daß Karrieristen wie ihm die akademische Integrität wenig gilt.

Weiter ausgeholt: Wenn sich etwa die staatliche Bildungspolitik bald siebzig Prozent Abiturienten wünscht, werden auch immer mehr Hochschulabsolventen mit Fach-, Semester-, Bachelor- und Masterarbeiten zu zertifizieren sein, und zwar zwangsläufig im Fließbandverfahren, solange verbindliche Schriftlichkeit künftig überhaupt noch etwas gelten mag. Die reichen Textschaufenster des Internets befördern eine Piratenmentalität, die es legitim findet, sich an geistigem Eigentum zu vergehen, weil dessen Diebstahl einfacher zu bewerkstelligen ist als der Überfall auf einen Supermarkt. Plagiate – oder „Zitierfehler“, wie der geschmeidige Freiherr sie euphemistisch nennt – werden als ein geistiger Mundraub empfunden und gelten als ziemlich sicherer Coup. Man kann nie auf frischer Tat ertappt werden, sondern darf zurückgelehnt davon ausgehen, daß der klammheimliche Betrug kaum auffliegen wird. Je geringer der mit der Arbeit angestrebte Grad, um so unwahrscheinlicher die Entdeckung von Plagiaten. Welcher Urheber prüft schon nach, ob seine Texte kopiert werden?

Was öffentlich zugänglich ist und zunächst weitgehend anonym entzogen werden kann, weckt wie von selbst den Eindruck, eine wohlfeile Ware zu sein, die ein anderer verwenden kann, ohne ihr Markenzeichen zu nennen. Der elektronische Wühltisch ist unübersichtlich und beinahe grenzenlos. Aber Google (und andere Suchmaschinen) hilft ihn zu ordnen. Und damit kann jeder umgehen, der Suchbegriffe einzugeben versteht. Zwar existiert Software, die Texte auf Plagiate abtastet, aber dazu bedarf es immerhin eines Anfangsverdachts.

Wenn innerhalb der Überzahl der Studierenden immer mehr Aspiranten schon allein sprachlich-stilistische Schwierigkeiten haben und wenn darüber hinaus durch den Bologna-Prozeß permanent aufs Tempo gedrückt wird, verlocken die appetitlich aufbereiteten Textbänke des Internets zur Selbstbedienung. Nebeneffekt: Was viele praktizieren, gilt gemeinhin als Kavaliersdelikt, ähnlich dem Raubkopieren von Film- oder Musikdateien. Virtuellem und gedanklichem Mate-
rial scheinen die flinken Datenpiraten keinen Sachcharakter zuzuweisen. Wer im Netz hemmungslos stiehlt, würde es so dreist nie und nimmer im Geschäft tun.

Die Beweggründe des geistigen Diebstahls reichen von persönlicher Eitelkeit bis zum Karrierestreß. Wo, mit dem Abitur beginnend, Prädikate inflationär erteilt werden, da läßt im Gegensatz zu den Massengraduierungen und Phantasietiteln der ursprünglichste und traditionellste Abschluß, die Promotion eben, immer noch hoffen, daß wer Doktor ist, mindestens nicht ganz unfähig sein könne, weil er doch mindestens für seine Dissertation mal wissenschaftlich zu arbeiten und darzustellen verstand.

Um ihren hohen Wert zu erhalten, plädiert der Soziologe und Exzellenzforscher Richard Münch dafür, die Promotion doch der Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses vorzubehalten und sie nicht so immens zahlreich für außerakademische Berufe zu verwenden. Besonders verdächtig sind ihm gerade die externen Promotionen, die insbesondere in der Rechtswissenschaft vorkommen, weil sie dort „effektives Karrierevehikel“ sind.

Daher kassieren Promotionsagenturen und Ghostwriter satte Honorare. In Deutschland stehen hundert Professoren wegen Promotionsberatung in Korruptionsverdacht! Das Institut für Wissenschaftsberatung in Bergisch Gladbach soll regelmäßig Schmiergelder an Hochschullehrer gezahlt haben, die sich um die Promotion seiner Kunden kümmerten. Gegenüber Guttenberg steht mindestens in Rede, er habe vielleicht nicht nur abgeschrieben, sondern gleich schreiben lassen. Sogar den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages schöpfte er zur Interpretation der Rolle des Gottesbezuges in der US-Verfassung umstandslos für seine Zwecke ab.

Das Plagiat im Sinne wissenschaftlichen Fehlverhaltens hat übrigens ein häßliches Geschwisterteil, die Fälschung. Die Beispiele sind gerade für den naturwissenschaftlichen Bereich mittlerweile Legion. Nur das jüngste Beispiel: Der Anästhesist Joachim Boldt wurde seines Amtes als Chefarzt und seiner Professur enthoben, weil er in einer angesehenen Fachzeitung eine angebliche Originalarbeit zu einem Blutplasmaersatzstoff veröffentlicht hatte, „deren Aussagen keine relevanten Labor- und Patientenwerte zugrunde lagen“. Auch wer Drittmittel einzuwerben hat, glättet schon mal ein paar Daten, damit die Nachweise stimmen.

Weil Wissenschaftsmeriten nach wie vor ein hohes Prestige genießen und den Graduierten als intellektuell beweglich ausweisen, weil der Doktor vorm Namen gewissermaßen der S-Klasse vor der Hauseinfahrt entspricht, sind Titel nach wie vor begehrt. Lästig ist wiederum nur, daß die Götter vor den Preis das Manuskript setzten. Wer sich für clever hält, findet sich nicht unmoralisch, sondern per se schlauer als andere. Wer seinen Titel türkt, geht davon aus, daß er ihn ohnehin verdient hat und sich selbst und anderen keinen umständlichen Nachweis schuldet.

So konservativ Guttenberg zuweilen auftritt, so modern verfuhr er mit seiner Doktorarbeit und in seinem Selbstverteidigungsmanagement. Ihm lag am Titel (und noch mehr am Posten), nicht an wissenschaftlicher oder – falls es das gibt – politischer Redlichkeit. Vielleicht hätte er, vergleichsweise bescheiden, zunächst seinem zweiten juristischen Staatsexamen den Vorzug geben sollen. Im konservativen Wertebewußtsein kommt Haltung lange vor Karriere.

 

Promotionsordnung

Promotionsordnung für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth in der Fassung vom 1. März 1994, zuletzt geändert am 5. März 2007:

§ 7 Dissertation

(1) Die Dissertation muß eine selbständige wissenschaftliche Leistung darstellen und zur Lösung wissenschaftlicher Fragen beitragen (…)

§ 8 Antrag auf Zulassung zur

Promotion

Die Zulassung zum Promotionsverfahren ist schriftlich beim Dekan zu beantragen. Dem Antrag sind beizufügen: (…)

6. eine ehrenwörtliche Erklärung des Bewerbers darüber, daß er die Dissertation selbständig verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat; (…)

§ 16 Ungültigkeit der Promotionsleistungen

(1) …

(2) Wird die Täuschung erst nach Aushändigung der Urkunde bekannt, so kann nachträglich die Doktorprüfung für nicht bestanden erklärt werden. Die Entscheidung trifft die Promotionskommission.

www.rw.uni-bayreuth.de

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