© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Drei Jahre Sklaverei jenseits des Rheins
Deutsche in Kriegsgefangenschaft, Teil V: Erst Ende 1948 kehrten die letzten Zwangsarbeiter aus Frankreich heim
Dag Krienen

Im Jahr 1945 stand das von seinen Alliierten ehrenhalber zur Siegermacht erklärte Frankreich vor der Aufgabe, den wirtschaftlichen Wiederaufbau voranzubringen, um seinem Großmachtanspruch Substanz zu verleihen. Seine zum größten Teil von seinen Alliierten „entliehenen“ deutschen Kriegsgefangenen zum Arbeitseinsatz zu bringen, stellte für das Land eine „unbedingte Lebensnotwendigkeit“ dar.

Der Anteil der im Außeneinsatz arbeitenden Prisonniers de Guerre (PG) betrug in der Regel über achtzig Prozent der Belegschaft eines Stammlagers („dépôts“). Neunzig Prozent dieser Arbeit erfolgte wiederum bei privaten Unternehmen und auf Bauernhöfen abseits der „dépôts“. Auch die meisten Wiederaufbauarbeiten in den Kampfgebieten, sogar das Minenräumen erfolgte im Rahmen von zivilen Kleinunternehmen, an die die PGs jeweils überstellt wurden. Diese Unternehmen waren nicht nur für die Verpflegung, sondern auch die Unterbringung und Bewachung „ihrer“ Gefangenen verantwortlich, das heißt, sie mußten meist selbst Außenlager einrichten und eigenes Wachpersonal stellen. Auf den Bauernhöfen wurde auf ein konsequentes Einsperren allerdings in der Regel verzichtet. Die „dépôts“ erfüllten nur die Funktion einer zentralen Registrierstelle für die Gefangenen in den Arbeitskommandos und nahmen sie erst dann wieder auf, wenn diese ins Lazarett mußten, von ihrem „patron“ nicht mehr benötigt wurden oder zur Entlassung anstanden. Nur eine geringe Anzahl PGs wurde für spezifische Funktionen in den Stammlagern zurückgehalten.

Härteste Arbeit unter oft miserablen Verhältnissen

Die jeweiligen „Arbeitgeber“ hatten für einen Kriegsgefangenen den ortsüblichen Arbeitslohn zu entrichten, abzüglich Pauschalen für seine Verpflegung, Unterbringung und Bewachung sowie eines kleinen Taschengeldes, das dem PG zur Hälfte auf einem Konto gutgeschrieben und zur anderen Hälfte direkt in „Lagergeld“ ausgezahlt wurde. Die Differenz ging an den französischen Staat, der so finanziell von der Kriegsgefangenenarbeit erheblich profitierte. Für einen entflohenen deutschen Arbeitssklaven verlangte er zudem von dem verantwortlichen Unternehmen eine Entschädigungszahlung.

Um den Hungerrationen in den Stammlagern zu entkommen, drängten die meisten PGs zum Arbeitseinsatz. Begehrt war vor allem die Zuteilung zu einem Bauern, die meist mit einer deutlichen Verbesserung der Ernährung verbunden war. Im einzelnen hing die Qualität des Lebens auf den Höfen zwar von einer Reihe von individuellen Umständen ab, und viele Bauern nutzten die Gelegenheit, die ihnen angebotenen Gefangenen wie auf einem Sklavenmarkt auszuwählen. Doch bot sich einem willigen „prisonnier“ manchmal die Chance, das Wohlwollen des Patrons zu gewinnen und so seine Lebensumstände erheblich zu verbessern.

Aber auch in der gewerblichen Wirtschaft konnte sich das Leben eines Gefangenen recht unterschiedlich gestalten, je nachdem, wie er es bei seinem „Arbeitgeber“ und dessen Wachpersonal antraf. Durch die allmähliche Gewöhnung aneinander, die Heimkehr der meist mehr Verständnis zeigenden kriegsgefangenen Franzosen aus Deutschland und das Voranschreiten des wirtschaftlichen Aufbaus des Landes entspannte sich im allgemeinen die Lage der PGs mit den Jahren deutlich.

Noch 1946 arbeitete die Hälfte der deutschen Zwangsarbeiter in der französischen Land- und Forstwirtschaft. In der verarbeitenden Industrie, bei der staatlichen Eisenbahn und bei anderen öffentlichen Arbeiten wurde nur ein geringer Teil, insgesamt etwa zehn Prozent, eingesetzt. Für den raschen Wiederaufschwung der Produktion des primären Energieträgers der französischen Volkswirtschaft war hingegen die deutsche Zwangsarbeit von überragender Bedeutung: 1946 und 1947 schufteten 50.000 Gefangene in den französischen Kohlebergwerken und zeichneten für gut 30 Prozent der Steinkohleförderung verantwortlich. Die meisten der dort eingesetzten Männer verfügten über keine einschlägigen beruflichen Erfahrungen, hatten aber körperlich härteste Arbeit unter zunächst miserablen Verhältnissen zu verrichten. Zudem blieb anders als auf dem Land die Verpflegungssituation in den vielen, relativ großen und anonymen Außenlagern im Bergbau und auch in der Industrie bis zum Frühjahr 1947 prekär, auch weil Regierungsverordnungen zur Verbesserung der Rationen und der Arbeitsbedingungen nur langsam „unten“, das heißt in den Betrieben, griffen.

Gut 100.000 PGs wurden zur Beseitigung von Kriegsschäden abkommandiert. Rund 50.000 von ihnen zwang man dabei zum Räumen der in Frankreich verlegten Minen, obwohl dies gegen Artikel 32 der Genfer Konvention (Verbot gefährlicher Arbeiten) verstieß. Anders als bei Amerikanern und Briten, die überwiegend Pioniere und teilweise auch ganze Pioniereinheiten der Wehrmacht zum Räumen von Minenfelder einsetzten, wurde die „déminage“ in Frankreich von kleinen Privatunternehmen durchgeführt. Die ihnen überstellten PGs waren meist unerfahrene Männer ohne einschlägige Ausbildung. Sie mußten mit primitivsten Methoden, durch bloßes Herumstochern mit Metallstäben und Bajonetten im Boden, die Minen aufspüren. Das eigentliche Entschärfen übernahmen dann zwar französische „Experten“, doch die Verluste unter den Gefangenen waren zunächst entsetzlich hoch, und der Einsatz bedeutete meist ein Himmelfahrtskommando.

Im September 1945 schätzte das Rote Kreuz die Zahl der Todesopfer unter den Minenräumern auf 2.000 pro Monat. Später reduzierten Erfahrung, bessere Ausbildung und die Bereitstellung von modernem Minenräumgerät die Zahl der Opfer. Das Rote Kreuz stellte dennoch bei vielen Minenräumkommandos Verlustraten von weit über zehn Prozent der Gefangenen fest. Von mindestens 4.000 bis 5.000 deutschen Todesopfern bei der „déminage“ muß ausgegangen werden, die Zahl der durch Minenexplosionen „nur“ Verwundeten und Verstümmelten dürfte kaum darunter gelegen haben.

Entlassung erfolgte nach 1947 erst auf Druck der USA

Da Frankreich auf ihre Arbeitsleistungen dringend angewiesen war, zeigte es zunächst kaum Neigung, Gefangene zu entlassen. Die Regierung war sich bewußt, daß eine nach Kriegsende noch jahrelang fortgesetzte Kriegsgefangenschaft dem geltenden Völkerrecht widersprach, legitimierte aber den Arbeitseinsatz der festgehaltenen Deutschen als „Reparationsleistung“, auf die das Land Anspruch habe. Mit Ausnahme der Arbeitsunfähigen wurden deshalb Repatriierungen nur sehr zögerlich vorgenommen, auch den überlebenden Minenräumern wurde die versprochene Heimfahrt nach Beendigung der „déminage“ verwehrt.

Erst im Frühjahr 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, veröffentlichte Paris auf Druck der USA einen Entlassungsplan, der die stufenweise Repatriierung aller Gefangenen bis Ende 1948 vorsah und es jedem einzelnen erlaubte auszurechnen, wann er an der Reihe war. Zugleich wurde allen PGs die sofortige Entlassung aus der Gefangenschaft angeboten, falls sie einen verbindlichen einjährigen Arbeitsvertrag als „freier Zivilarbeiter“ unterzeichneten. Als solcher erhielten sie normalen Tariflohn und nahezu alle Rechte normaler Arbeiter sowie einen Urlaub in der Heimat. Insgesamt 138.000 der gut 500.000 im Sommer 1947 noch in Frankreich festgehaltenen Kriegsgefangenen nahmen das Angebot an. Auch jene, die es vorzogen, ihren Entlassungstermin als Kriegsgefangene abzuwarten, erhielten ab Anfang 1948 ein höheres Taschengeld für ihre Arbeit.

Von Ende 1945 bis Mitte 1947 war die Zahl der registrierten deutschen Gefangenen nur von 700.000 auf 500.000 gesunken. Danach ging sie aufgrund der regelmäßigen Entlassungen gemäß Plan und der Umwandlungen in Zivilarbeiter schneller zurück. Anfang 1948 waren es aber immerhin noch fast 250.000 PGs. Erst Mitte Dezember 1948, drei Jahre und sieben Monate nach Kriegsende, endete für die letzten deutschen Soldaten die Zeit der Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in Frankreich.

 

Foto: Deutsche Kriegsgefangene bei Enttrümmerungsarbeiten im kriegszerstörten Saint-Dié-des-Vosges (deutsch Sankt Didel) in Lothringen, Februar 1946: Arbeiten in offiziellen Arbeitskommandos waren die Ausnahme. Neunzig Prozent dieser Arbeit erfolgte wiederum bei privaten Unternehmen und auf Bauernhöfen abseits der „dépôt“ genannten Stammlager

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