© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Leuna-Benzin 2.0
Alternative Synthetikkraftstoffe sind Mittel erster Wahl, um fossile Kraftstoffe nach und nach zu ersetzen
Paul Leonhard

Bis 2050 soll der Verkehrssektor in Europa nicht mehr vom Öl abhängig sein. Alternative Kraftstoffe seien hierfür das Mittel erster Wahl. Sie sollten den fossilen Sprit nach und nach ersetzen, heißt es in einem Sachverständigenbericht, den die EU-Kommission Ende Januar veröffentlicht hat. Der Energiebedarf aller Verkehrsträger könne durch eine Kombination aus Elektrizität (Batterien oder Wasserstoff/Brennstoffzellen) und Biokraftstoffen als Hauptoption, synthetischen Kraftstoffen als Brückenlösung, Methan (CH4) als zusätzlichem Kraftstoff und Flüssiggas als Ergänzungslösung gedeckt werden, heißt es in dem Bericht.

Eine allumfassende Einzellösung für den Ersatz fossiler Kraftstoffe – wie das von manchen dafür gehaltene diskutierte Elektroauto (JF 3/11) – gibt es nach Ansicht der EU-Experten nicht. Vielmehr werde es erforderlich sein, einen Mix von Kraftstoffen einzusetzen, die aus ganz unterschiedlichen Primärenergiequellen hergestellt werden können. „Ein wirklich nachhaltiges Verkehrssystem können wir nur schaffen, wenn wir auf alternative Kraftstoffe setzen und dabei den Bedarf aller Verkehrsträger berücksichtigen“, erklärte Siim Kallas, für Verkehrsfragen zuständiger Vizepräsident der EU-Kommission. Kraftstoffe mit einer höheren Dichte würden sich besser für lange Strecken wie den Straßengüter-, den See- und den Luftverkehr eignen. Auch die Kompatibilität der neuen Kraftstoffe mit vorhandenen Technologien und Infrastrukturen (Tankstellennetz, Ladestationen) sowie die Notwendigkeit von Systemänderungen, die zu Störungen führen könnten, seien zu bedenken. Diese Faktoren würden insbesondere die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Möglichkeiten entscheidend beeinflussen.

Der Entwicklungsstand der Technologien zur Nutzung der verschiedenen Biokraftstoffe ist unterschiedlich. Die Anpassung von Dieselmotoren auf reines Pflanzenöl ist beispielsweise relativ kostenintensiv. Rapsölmethylester (Biodiesel) ist dagegen seit Jahren ein marktgängiger Treibstoff und mit normalem Dieselkraftstoff vergleichbar. Auch Bioäthanol ist prinzipiell nutzbar. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg verkaufte die Reichskraftsprit-Gesellschaft (RKS) ihr Monopolin (Benzin mit 25 Prozent Agraralkohol). Im Zuckerrohrland Brasilien ist E85 (Benzin mit 85 Prozent Äthanol) seit Jahrzehnten im Einsatz. Die in Deutschland gesetzlich verordnete E10-Einführung stößt hingegen nicht nur auf technische Probleme (JF 51/10), sondern die Ökobilanz des Biosprits ist je nach Rohstoff, Herkunft und Verarbeitung äußerst fragwürdig.

Von der Kohleverflüssigung zu Kraftstoffen aus Biomasse

Deutsche Autohersteller setzen daher seit einigen Jahren auf synthetische Biomass-to-Liquid-Kraftstoffe (BTL). Diese Biokraftstoffe der zweiten Generation verfügen über günstige technische Eigenschaften und nutzen alle Arten von Biomasse. Ein langfristiges Entwicklungsziel sind auch weiterhin wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen. Im sächsischen Freiberg entstand dazu eine großtechnische Benzin-Pilotanlage an der TU Bergakademie. Hier entwickelt und erforscht der Chemieanlagenbau Chemnitz (CAC) zusammen mit den TU-Wissenschaftlern neue Technologien. Ziel ist die Marktreife eines hochoktanigen STF-Benzins, das aus Synthesegas entsteht.

Ausgangsstoffe sind bisher ungenutzte Erdölbegleitgase und nachwachsende Rohstoffe. In einer weiteren Versuchsanlage werden mittels eines Hochdruckverfahrens Synthesegase aus gasförmigen oder flüssigen Kohlenwasserstoffen erzeugt. Diese Gase gelten als optimaler Ausgangsstoff für die Benzinsynthese. Am Ende der Entwicklung sollen Kraftstoffe erzeugt werden, die sich chemisch etwas von Benzin oder Diesel unterscheiden, aber gleichfalls in Verbrennungsmotoren (deren Sparpotential bei einem Wirkungsgrad von bislang etwa 45 Prozent längst nicht ausgereizt ist) verwendet werden können.

Im Herbst 2010 präsentierte das Institut für Energieverfahrenstechnik an der TU Freiberg sein erstes synthetisch hergestelltes Benzin. Dabei hatte man ein seit 1935 bekanntes Verfahren weiterentwickelt. Man könne aber inzwischen viel effizienter Kraftstoff produzieren, erklärte TU-Rektor Bernd Meyer. Das ab 1936 in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet hergestellte synthetische Leuna-Benzin wurde noch unter enormem Energieeinsatz mittels Kohleverflüssigung gewonnen.

Dieses Hydrierverfahren wurde von Anton Zischka in seinem in 18 Sprachen übersetzten Buch „Wissenschaft bricht Monopole“ (Wilhelm Goldmann Verlag, Leipzig 1936) anschaulich beschrieben. Die Freiberger Forschungen werden von Daimler und VW unterstützt, der Shell-Konzern ist Ende 2009 ausgestiegen. Die beiden Automobilhersteller gehören neben dem Bundeslandwirtschaftsministerium und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) auch zu den Veranstaltern der internationalen BTL-Kongresse.

Um die fossilen Kraftstoffe zu ersetzen, prüft die EU-Kommission derzeit die vorhandenen politischen Konzepte. Die Ergebnisse des aktuellen Sachverständigenberichts sollen im Rahmen der künftigen „Initiative für umweltfreundliche Verkehrssysteme“ berücksichtigt werden. Ziel sei es, eine kohärente langfristige Strategie zu entwickeln, um die Energieversorgung im Verkehrssektor bis 2050 vollständig auf alternative und nachhaltige Ressourcen umzustellen, versprach EU-Kommissar Kallas. Entscheidend für einen Erfolg der unterschiedlichen Kraftstoffe und Fahrzeugtechnologien seien jedoch die technische und wirtschaftliche Durchführbarkeit, eine effiziente Nutzung der Primärenergiequellen und die Marktakzeptanz.

Die EU-Studie IP 11/61 „Alternative fuels could replace fossil fuels in Europe by 2050“ www.ec.europa.eu/transport/urban 

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