© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Wer soll das bezahlen?
Verschuldung: Dank der Euro-Rettung verletzt Deutschland die Stabilitätskriterien
Bernd-Thomas Ramb

Die Nettoneuverschuldung Deutschlands hat 2010 die Maastricht-Schranke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts durchbrochen. Das Statistische Bundesamt beziffert den Fehlbetrag der öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden auf 3,3 Prozent – in Euro: 81,6 Milliarden. Der Aufschrei, der deshalb durch die Medien ging, gleicht der allgemeinen Betroffenheit über den Sack Reis, der in China umgefallen ist. Warum sollte sich auch jemand darüber aufregen? Bis 2005 hat Deutschland jahrelang und in prozentual größerem Umfang dieses Stabilitätskriterium verletzt. Fast alle am Euro beteiligten Länder verschulden sich höher, als es der Stabilitätspakt zuläßt. Schließlich wurde er aus diesem Grund 2005 faktisch außer Kraft gesetzt, als die Sanktionierungsmaßnahmen bei Verstößen in den Bereich der Beliebigkeit verbannt wurden.

Eher eine Schlagzeile wert ist die Tatsache, daß die Gesamtschulden von Bund, Ländern und Gemeinden zum Jahresende die Höhe von zwei Billionen Euro erreicht haben – das ist eine Zwei mit zwölf Nullen oder zwei Millionen mal eine Millionen Euro. Aber auch die bombastische Schuldenhöhe regt niemanden mehr auf. Die Meldung landet auf den hinteren Seiten der großen Gazetten als Kurznachricht. Nach den Berechnungen des Bundes der Steuerzahler kommen in diesem Jahr jeden Tag neue Schulden in Höhe von 196,9 Millionen Euro hinzu, nach den Plänen der Bundesregierung allein beim Bund bis 2015 insgesamt 131,2 Milliarden Euro. Doch das verblaßt hinter Themen wie der Guttenberg-Dissertation oder arabischen Demonstrationen.

Was in puncto Schulden noch wahrgenommen wird, sind die der anderen: Griechenland, Irland und Portugal, demnächst Spanien, Italien und Frankreich. Beim Thema Euro-Rettung besteht öffentliche Sensibilität, die sich zuvorderst in der Empörung niederschlägt, warum Deutschland für das Schuldenmachen der Euro-Problemländer haften soll. Die Umwandlung der Währungsunion in eine Haftungsunion und nachfolgender Transferunion elektrisiert die Deutschen. Die Größenordnung der dadurch drohenden finanziellen Belastung wird eher wahrgenommen als der innerdeutsche Schuldenanstieg, der im übrigen im letzten Jahr noch nicht durch die Euro-Rettungsmaßnahmen berührt war.

Diese Rechnung kommt erst noch. Ganz oben steht der aktuelle „Euro-Rettungsschirm“ mit einer Gesamtsumme von 750 Milliarden Euro. Griechenland erhielt bereits Sofortzahlungen, und die erste Anleihe der „Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF) zugunsten Irlands erfolgte im Januar dieses Jahres. Obwohl kaum in Anspruch genommen, werden schon kritische Stimmen laut, die den Umfang der Rettungsmaßnahme für zu gering erachten. Im Pleitefall der unterstützten Staaten drohen Deutschland Ausfälle in einer Gesamthöhe von 123 Milliarden Euro; wohlgemerkt allein durch diese erste (laut Bundeskanzlerin „alternativlose“) Spontanhilfsmaßnahme. Wird die Haftungssumme fällig, kann sie Deutschland nicht aus den laufenden Haushaltsmitteln begleichen. Dazu ist eine zusätzliche Kreditaufnahme notwendig.

Da der Rettungsschirm nicht nur als vorübergehende Hilfsmaßnahme hastig zusammengezimmert wurde, sondern auch unter Prüfung des Bundesverfassungsgerichts steht, ist der Wunsch der Euro-Retter nach einer dauerhaften Unterstützung der maroden Euro-Staaten nur zu verständlich. Dem geplanten Schirmnachfolger, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), soll zudem der direkte Ankauf von maroden Staatsanleihen der potentiellen Pleitestaaten ermöglicht werden. Dagegen protestieren mittlerweile selbst die Fraktionen der Regierungsparteien CDU/CSU und FDP. Sie sehen darin zu recht den endgültigen Einstieg in eine Transferunion. Weniger deutlich wird das Argument vorgetragen, daß ein solches Engagement die deutschen Staatsschulden noch weiter vorantreibt. Denn auch hier können die Kosten nicht aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert werden.

Weit im Hintergrund lauert noch ein anderer Risikoposten: Der Ankauf maroder Staatspapiere durch die Europäische Zentralbank. 80 Milliarden Euro hat die EZB bislang direkt eingesetzt. Daneben besteht aber ein schwer durchschaubares Gewirr von Überkreuzkäufen der nationalen Zentralbanken im Euro-System. Sie betreffen nicht nur den Ankauf von Staatspapieren anderer Euro-Staaten, sondern auch von Schuldverschreibungen eigener maroder Banken. So hat die irische Nationalbank in Milliardenhöhe irische Banken mit „frischgedruckten“ Euros unterstützt – zu Lasten der EZB-Bilanz. Selbst die Bundesbank hat da ihre dunklen Geheimnisse.

Platzt die Unterstützung der maroden Euro-Länder, platzt auch der Euro. Dann aber wird die Sache für Deutschland richtig teuer. Nicht nur die vergeblichen Rettungsmaßnahmen müssen finanziert werden, auch der Verlustbetrag der EZB. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat diesbezüglich schon Überlegungen angestellt und kommt auf den optimistisch niedrigen Gesamtbetrag von lediglich 174 Milliarden Euro. Wahrscheinlich werden die Kosten des Euro-Abenteuers eher bei 350 Milliarden Euro liegen. Dieser Betrag wird dann zusätzlich die deutschen Staatsschulden erhöhen. Die Drei-Billionen-Marke ist so nicht mehr weit.

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