© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Mehr Schein als Sein
Plagiatsaffäre: In der Debatte um den abgestürzten Überflieger Karl-Theodor zu Guttenberg ging es nie um dessen politischen Kern
Thorsten Hinz

In dem vielbeachteten Buch „Wenn der Westen will“ schrieb Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg, der Kampf um die Freiheit könne nur gewonnen werden, wenn mutige Führer sich an seine Spitze setzten. Guttenberg ging es nicht um äußerliche Kategorien, sondern um die innere Kraft, sich den natürlichen Verführungen menschlicher Schwäche zu stellen. Kein Zeitgenosse zweifelte daran, daß der Freiherr die Kraft zum Widerstehen besaß. Freund und Feind hoben den Scharfsinn des CSU-Mannes hervor und konstatierten neidvoll die Synthese aus wirtschaftlicher, geistiger und politischer Unabhängigkeit, die er verkörperte. Er war couragiert und standesstolz, gelegentlich auch arrogant, außerdem ein Konservativer, sogar ein Erzkonservativer, den man wegen seiner Qualitäten jedoch respektierte.

Der Außenpolitiker Karl Theodor zu Guttenberg erschien Golo Mann als der „begabteste und geistvollste Schüler“ Konrad Adenauers. Buchstäblich bis zum letzten Atemzug stemmte er sich gegen die Akzeptanz der deutschen Teilung und der Oder-Neiße-Linie. Todkrank ließ er sich 1972 im Rollstuhl in den Plenarsaal schieben, um als einer von 17 letzten Mohikanern gegen die Ostverträge zu stimmen. Von 1967 bis 1969 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Als er im Oktober 1972, erst 51jährig, einem grausamen Rückenmarksleiden erlag, war sein gleichnamiger Enkel, der heutige Verteidigungsminister, noch kein Jahr alt.

Der Großvater war nicht das einzige verpflichtende Vorbild aus der über 800 Jahre alten Familiengeschichte der Guttenbergs. Ein Urgroßonkel des Ministers wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und in den letzten Kriegstagen ermordet. Sein Vater Enoch zu Guttenberg ist ein bekannter Dirigent und Umweltschützer. Solche Familientraditionen setzen ihre Erben unter Druck. Einige zerbrechen daran, bei anderen wird der Ehrgeiz herausgefordert, der ihnen mitunter über den Kopf wächst. Wie dem am Dienstag zurückgetretenen Verteidigungsminister, der an den selbstgesteckten Erwartungen  menschlich und dann politisch gescheitert ist.

Das Thema seiner Dissertation, „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“, war viel zu groß für eine Doktorarbeit. Andererseits zeugte es vom Willen, in die Fußstapfen des Großvaters zu treten und ihn zu übertreffen. Zuerst als politischen Denker, dann als praktischen Politiker. Jetzt steht Guttenberg als Betrüger da. Seine glänzende Rhetorik und Erscheinung, sein gesellschaftlicher Hintergrund hatten die akademischen Instanzen überwältigt. Ein Versicherungsvertreter der gehobenen Sorte und ein Blender, der selber geblendet wurde von dem Spiegelbild, das ihm aus den Medien entgegenlächelte. Mit seinen behaupteten Erfahrungen in der Privatwirtschaft und in Zeitungsredaktionen ist es ebenfalls nicht weit her. Der Grundsatz: „Mehr Sein als Schein“ ist durch Guttenberg ins Gegenteil verkehrt worden.

Dabei schien sich alles zum Eindruck natürlicher Überlegenheit zu fügen: Adelstitel und aristokratischer Habitus, das Familienschloß, der sagenhafte Reichtum, die phantastisch sitzenden Anzüge, die Summa-cum-Laude-Dissertation. Die Herkunft seiner Frau aus der Bismarck-Familie weckte zusätzliche historische Reminiszenzen – und Zukunftserwartungen.

Er hatte es nicht nötig, eine politische Karriere zum Zweck des sozialen Aufstiegs anzustreben. Guttenberg brauchte keine neureiche Attitüde, um das Publikum zu verblüffen. Sein Auftritt folgte der gemessenen Dramaturgie einer Operninszenierung: Die Diva tritt aus dem Zimmer im Obergeschoß, das den Blicken gewöhnlich Sterblicher entzogen ist. Sie entstammt einer höheren Ordnung, der Welt der Schönheit, der veredelten Gefühle, Gedanken und Träume. Tapfer schreitet sie die Treppe hinunter in die profane Welt und wendet sich mit ausgebreiteten Armen dem Publikum zu, als wolle sie sagen: Und all die Herrlichkeit, die ihr in mir versammelt findet, bin ich bereit, mit euch zu teilen. Worauf das Auditorium begeistert Beifall spendet. Oder, mit Max Weber gesprochen: Endlich einer, der nicht von, sondern für die Politik lebt.

Die Darbietung erfolgte in der Ikonographie der Popkultur, wie man sie aus amerikanischen Wahlkämpfen kennt. Intellektuelle konnten das kitschig, verlogen oder substanzlos finden, die allgemeine Wahrnehmung war eine andere. Guttenberg und seine Frau symbolisierten und beglaubigten mit ihren Auftritten unter anderem die traditionelle Familie. Wenn der Minister, der auf eine lange Generationenfolge zurückblickt und sie auch fortsetzt, von Verantwortung für die Kinder und Kindeskinder sprach, hatten die Worte ein anderes Gewicht als aus den Mündern kinderloser Quoten- und Karrierefrauen. Endlich mal ein Mannsbild, für das man sich auch im Ausland nicht genieren mußte. Er personifizierte ein Wunschbild, das das Publikum sich so schnell nicht nehmen lassen wollte.

Guttenberg hat wissenschaftliche Standards verletzt? Seine Anhänger konnten in der Tat zurückfragen: Welche Standards? Sind die promovierten Klima-Hysteriker, Eurokrisen-Verharmloser, Schweinegrippen-Alarmisten und Multi-Kulti-Lügner nicht allesamt Huren der Macht, die gar nichts anderes verdienten, als vorgeführt zu werden? Er hat falsche Nachweise über seine Befähigung geführt, Hochstapelei begangen? –  Ein abstruser Vorwurf angesichts der Berufsabbrecher und zweifelhaft Qualifizierten, die den Politikbetrieb okkupieren. – Guttenberg hätte seine Glaubwürdigkeit verspielt? – Was bedeutet dieses Wort, wenn Politik darin besteht, den Systemkollaps zu verschleiern? Guttenberg verfügte wenigstens über Charisma, an das man sich halten kann.

Es fällt auf, daß es in der Guttenberg-Debatte nie um den politischen Kern des Überfliegers ging. Bei seinem Großvater wußte jeder, woran er war. In „Wenn der Westen will“ hatte er seine außenpolitischen Vorstellungen klar umrissen: Zuallererst galt es, daß das geteilte Deutschland sich weder politisch, juristisch noch moralisch seine Interessen abhandeln ließ. Zweitens mußte das Bündnis mit den Vereinigten Staaten als Überlebensgarantie gegen die sowjetische Bedrohung gefestigt werden. Drittens sollte die Bundesrepublik zusammen mit Frankreich versuchen,
Europa eine eigene Stimme im Weltkonzert zu geben. Und viertens mußten deutsche Politiker stets im Hinterkopf behalten, daß Amerikaner, Briten, Franzosen und Russen ein gemeinsames Interesse daran hatten, Deutschland niederzuhalten. Das war die Analyse eines Patrioten im Jahr 1964.

Für welches politische Programm stand sein Enkel? Hatte er eines? Oder wurde er selber programmiert? Zwar nicht in der deutschen Presse, aber im Internet, insbesondere im Blog „Zeitgeist-online“, wird man fündig. 2002 zog er mit 31 Jahren in den Bundestag ein und wurde auf Anhieb Mitglied im exklusiven Außenpolitischen Ausschuß. Seine amerikanisierte Ikonographie könnte weit mehr sein als bloße Äußerlichkeit, denn lange bevor er zu Ministerwürden aufstieg, hatte er sich – und wurde er – in einem transatlantischen Netzwerk etabliert. Er ist Mitglied der Atlantik-Brücke, des amerikanischen Aspen-Instituts und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, ein Ableger des amerikanischen  Council of Foreign Relations. Kontakte bestehen zur American Academy und dem American Council on Germany. Diesem Netzwerk gehören Politiker, Wirtschaftsführer, Pressemagnaten und einflußreiche Journalisten an. Sie bilden eine transatlantische Elite, die effektiven Einfluß auf die Politik, auf die Sprachregelung und die Auswahl und Formung des politischen Nachwuchses nimmt, wobei die Amerikaner den aktiven Part beanspruchen.

Bereits 2007, als er der deutschen Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war, durfte Guttenberg vor der American Academy in New York zum Thema „political Berlin“ mit hochrangigen amerikanischen Außenpolitikern diskutieren. Der spätere Jubel um ihn und der Aufbau zum Reservekanzler waren wohl doch keine spontanen Eingebungen, und das deutsche Publikum darf sich manipuliert und um einen deutschen Helden betrogen fühlen.

In diesem Licht erhalten die Entlassung des Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhahn und die Absetzung des „Gorch-Fock“-Kommandanten Norbert Schatz einen politischen Hintersinn: Mit beiden Aktionen hat er das Selbstbewußtsein der Armee ramponiert. Nimmt man die Abschaffung der Wehrpflicht und seine Idee hinzu, auch Ausländer in die Bundeswehr zu übernehmen, kommt man zu dem Schluß, daß ihm eine Armee vorschwebte, die von Deutschland zwar finanziert wird, aber keine unmittelbare Bindung und Loyalität mehr zu ihm empfindet, sondern sich reibungslos in die amerikanische Politik einfügt.

Dieser Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg war kein mutiger Führer, sondern ein Plagiator, der fremde Gedanken kopierte. Nur in seiner Dissertation?

Foto: Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU): Das deutsche Publikum darf sich manipuliert und um einen Helden betrogen fühlen

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