© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Unser Platz an der Sonne
Samoa: Noch heute lassen sich in dem Südseeparadies Spuren aus der deutschen Kolonialzeit finden
Joachim Feyerabend

Hermann Theodor Retzlaff ist stellvertretender Premierminister und steht dem Ressort für Handel, Industrie und Arbeit vor. Zudem ist der Geschäftsmann Manager bei Polynesian Airlines und Telecom Samoa: Misa Foni. Sein Vater brachte die ersten Telefone nach Samoa und wurde deswegen der „Telefoni“ genannt. Tupua Fred Wetzell – von Insidern manchmal „Whisky“ genannt – ist hingegen Chef der Zementfabrik „Apia Concrete Products“ und Generalkonsul Japans in Samoa. Er besitzt die größte Plantage auf der samoanischen Insel Savaii. Beide Männer waren schon in Deutschland, dem Land ihrer Vorväter, und kehrten Anfang der 1980er Jahre mit einem Aktenkoffer zurück, in dem sich eine Million D-Mark verbargen – ein Kredit des Bad Füssinger Bäderkönigs und Steuerflüchtlings Eduard Zwick, der glaubte, sein Paradies gefunden zu haben.

Und ein solches ist Samoa für zahlreiche Urlauber von heute ohne Zweifel. „Afio mai“ (Herzlich willkommen) und „Talofa“ (Guten Tag) werden sie am Faleolo Airport begrüßt, den Air New Zealand, Polynesian Airlines, Virgin Blue und Air Pacific von Fidschi, Los Angeles, Hawaii und Auckland anfliegen. Jeder kann am Airport in ein kleines Heft Einblick nehmen, in dem die Taxipreise zu jedem Ort auf der Insel verzeichnet sind. Betrug unmöglich. Die Gäste treffen während ihres Aufenthalts neben dem Zauber einer Südseeinsel überall auf Spuren deutscher, kolonialer Vergangenheit. Und dies ganz ohne den Neonglimmer Hawaiis oder die Totalvermarktung Tahitis zu Höchstpreisen. Ob sie sich im McDonald-Restaurant von Joachim Keil einen Hamburger einverleiben oder am Strand von Apia in „Ottos Reef“ ein Bier der Marke „Vailima“ genehmigen – etwas Deutsches ist immer dabei. Keil ist Hobbypilot und war Minister, seine Familie brachte das deutsche Lotto nach Samoa und betankt mit der H-J-Keil Tankstelle an der Taufusi-Kreuzung in Apia die Autos der Insel, auf der seit kurzem vom Rechts- auf den Linksverkehr umgestellt wurde.

Der Grund: Günstigere Autoimporte aus Ländern wie beispielsweise dem ebenfalls links fahrenden Neuseeland. Otto soll ein deutscher Seemann gewesen sein, der in Apia hängenblieb. Die Vailima-Brauerei wiederum ist eine Gründung aus Kulmbach und gehört heute zum Bierkonzern Fosters in Australien. Das Telefonbuch der Hauptinsel Upolu ist gut bestückt mit deutschen Namen wie Diethelm, Hertel, Jahnke, Kleis, Markgraff, Meyer, Schmidt, Schreckenberg und Schuster, um nur einige zu nennen. Viele der teils mit samoanischem Blut gemischten Familien sind aus der deutschen Kolonialzeit von 1900 bis 1914 unter Kaiser Wilhelm II. übriggeblieben. Dessen Staatssekretär des Äußeren, Bernhard von Bülow, pries die äquatorialen Inseln in der Mitte des Pazifiks als „einen der schönsten Brillanten in unserem kolonialen Diadem“. In den Farn-, Myrthen- und Muskatnußdschungeln der Berge auf Sawaii segeln die Flughunde mit ihren neunzig Zentimetern Spannweite über die Wipfel der Bayan-Baumriesen. Im Geäst krächzen die Blaukappenloris. 500 verschiedene Blütenpflanzen, 200 Arten Farne – oft in Baumgröße – und 100 Orchideenspezies empfangen den Besucher mit ihrer Pracht.

Als die Kolonialwarenläden in Deutschland wie Spargel aus dem Boden schossen, war das ehemalige Königreich Samoa, die Wiege der polynesischen Kultur, eine bedeutende Drehscheibe des europäischen Handels. Kaufmannsfamilien wie das Hamburger Haus Godeffroy wurden mit den Produkten der Insel wie Kopra für die Gewinnung von Palmöl und Kakaoder reich.

Die Handelsbeziehungen mit Deutschland stammen allerdings schon aus dem Jahr 1855. In der Folgezeit stritten sich England, die USA und Deutschland um das Inselreich, und 1889 wäre es beinahe zum Ausbruch eines Krieges gekommen, als sich die Schiffe Deutschlands und der USA, die bis heute die östlichen Inseln als „US-amerikanisches Außengebiet“ behaupten, in der Bucht von Apia gegenüberlagen. Die Lunten glühten bereits, da brach ein verheerender Zyklon über die Inseln herein und zerstörte zahlreiche Schiffe. Auch des Kaisers dreimastiges Flaggschiff „Adler“ wurde von Monsterwellen weit ins Land gerissen. Insgesamt fanden 92 deutsche Seeleute den Tod.

Samoa ist bezahlbar gebliebene, weitgehend unverfälschte Südsee, allerdings mit dem Stempel der christlichen Missionierung. Der Sonntag gehört den Kirchen und der Familie. Der Gesang der weißgekleideten Samoanerinnen dringt dann über die ganze Insel mit ihren meist noch offenen, ovalen Häusern, den sogenannten Fales.

Die Männer tragen ihre traditionellen Lava-Lava-Röckchen und sind tätowiert. Auch werktags strahlt die Hauptstadt Apia die Gelassenheit einer längst vergangenen Epoche aus, denn die inneren Uhren der Insulaner ticken anders. Apropos Zeit: Bei Buchungen ist Vorsicht geboten. Oft wird vergessen, daß Samoa auf der Datumsgrenze liegt. 12 Uhr nachts heißt beispielsweise in Deutschland 12 Uhr mittags, aber bereits einen Tag weiter. Samoaner verstehen fast alle englisch, feiern mit Leidenschaft ihre „Fia-Fias“, besonders dann, wenn Ende Oktober die Palolo-Würmer aus den Korallen ausschwärmen und als Eiweißbombe von manchen sogar lebend geschluckt werden. Bei einem in Bananenblätter eingewickelten, in der Erdgrube langsam durchgegarten, saftigen Schweinebraten allerdings vergißt der Reisende die üppigen Büfetts der Nobelherbergen. Nach dem Festessen, bei dem niemand zulangen darf, bevor der Gast die Speise gekostet hat, kreist die Kokosschale mit dem Nationalgetränk Kawa-Kawa, einem milchigen, berauschenden Getränk aus der Wurzel des Rauschpfefferstrauches. Der Kultdrink hat eine alte, rituelle Bedeutung und macht zuerst die Lippen taub.

Lebensgefühl, Lebensart und Identität der Samoaner faßt der Begriff „Faa Samoa“ zusammen. Er beinhaltet alles, was dem Insulaner lieb und wert ist. Daß nichts und niemand in der Welt dies ändern kann, demonstrierte Samoas Botschafter einst in Bonn. Er setzte sich als erster Vertreter der Dritten Welt über die strenge Etikette zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten hinweg und erschien – anstatt in Frack oder Smoking – mit Sandalen und im traditionellen Lava-Lava. Von da an getrauten sich auch die Inder im Sari aufzutreten und Afrikanerinnen brillierten in bunten Wickelröcken.

Zum Fall der Mauer gaben die Samoaner, die für ihre bunten Briefmarken bei Sammlern beliebt sind, übrigens eine Sonderbriefmarke heraus. Denn auch Samoa ist von Teilung der Inseln in West-Samoa und Amerikanisch-Samoa auf der Insel Tutuila betroffen. Das im östlichen Teil herrschende Nebeneinander von US-Lebensstil und samoanischen Traditionen trägt wohl dazu bei, daß 93,5 Prozent der knapp 60.000 Einwohner einen Body-Maß-Index (BMI) von über 25 haben und damit weltweit die höchste Quote von Übergewichtigen aufweisen.

Zum Samoa-Archipel gehören die Hauptinseln Savaii (1.708 km²) und Upolu (1.118 km²), die bewohnten Inseln Manono und Apolima sowie sechs weitere  Inseln, die bis auf eine Ferienanlage auf Namua unbewohnt sind. Die Hauptstadt Apia an der Nordküste der Insel Upolu beheimatet mit rund 37.000 Einwohnern (Stand 2006) zirka ein Sechstel der Gesamtbevölkerung des Inselstaates. Die Streitigkeiten zwischen Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Deutschland um die Südseeinseln wurden 1889 auf der Berliner Samoa-Konferenz beigelegt. Der Samoa-Vertrag von 1899 teilte sie in das deutsche Schutzgebiet West-Samoa und Ost-Samoa,  das bis heute zu den USA gehört. Großbritannien erhielt als Entschädigung andere pazifische Inseln. Im Ersten  Weltkrieg besetzte Neuseeland West-Samoa, das erst 1962 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Es bildete sich eine parlamentarische Demokratie heraus, die  1970 dem britischen Commonwealth of Nations beitrat. 1997 erfolgte die Namensänderung in Samoa.

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