© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Die zwanghafte Suche nach Originalität
Deutschland und der Islam: Mit seinem Buch „Die Panikmacher“ kritisiert „FAZ“-Feuilletonchef Patrick Bahners die Islamkritiker und konterkariert den „FAZ“-Politikteil
Karlheinz Weissmann

Auf die Islamkritik folgt die Islamkritikkritik, erkennbar mit drei Tendenzen: einer natürlichen, einer ideologischen und einer intellektuellen. Die natürliche ist die der Islamverbände und einzelner Muslime, die aus eher weltlichen oder eher religiösen Motiven jede negative Aussage zu ihrem Glaubenssystem zurückweisen. Die ideologische ist die der Wächter über den gesellschaftlichen Konsens, die alles mit Mißtrauen beobachten und als Erkrankung des sozialen Körpers deuten, was ihnen „islamophob“ erscheint. Die intellektuelle Islamkritik schließlich ist die der Causeure, der Geistreichen, die ihre Haltung dadurch markieren, daß sie sich gegen die wirkliche oder vermeintliche Mehrheitsmeinung stellen – um fast jeden Preis.

Patrick Bahners ist ein typischer Vertreter dieser dritten Position. In seinem gerade erschienenen Buch „Die Panikmacher“ (siehe Seite 23) hat er dargelegt, daß der Islam nicht nur zu Deutschland gehöre, sondern daß das auch eine begrüßenswerte Sache sei, daß es zwar gewisse Anpassungsschwierigkeiten gebe, die sich aber bei gutem Willen überwinden ließen; im übrigen empfiehlt er, den eingeschlagenen Weg der Integration durch Vorleistung und Angleichung der Rechtsstellung des Islam an die der Kirchen fortzusetzen. Man müsse im Grunde nur wiederholen, was dem säkularen Staat mit der Aufklärung gelungen sei, als er dem Christentum sein fundamentalistisches Gift entzog und es zur Privatsache oder Morallehre neutralisierte. Die Islamkritik zeiht Bahners der „Illiberalität“ und des Alarmismus; wer eine Strategie der Landnahme oder der Täuschung behauptet, verfällt seiner Meinung nach dem Verschwörungswahn, ganz gleich, ob er Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder, Alice Schwarzer, Necla Kelek oder Peter Sloterdijk heißt.

Unbestritten sei, daß es unangenehm auffällt, wenn die Verfechter der offenen Gesellschaft bei dieser Gelegenheit ausgesprochen rigide nicht nur in das soziale, sondern auch in das Seelenleben der Menschen eingreifen wollen, ohne sich je über die innere Widersprüchlichkeit ihrer Argumentation Rechenschaft abzulegen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Thesen von Bahners eine ungebührliche Aufmerksamkeit finden. Die erklärt sich aus seiner Stellung als Feuilletonchef der FAZ. Denn der 44jährige Bahners ist neben Frank Schirrmacher (51) der letzte aus jenem „Kindergarten“, den Joachim Fest aufgezogen hatte, als er in den achtziger Jahren lauter begabten, aber unerfahrenen jungen Männern den Kulturteil der Frankfurter Allgemeinen übergab. Zwischenzeitlich haben sich einige vom Journalismus abgewandt (Gustav Seibt), einige sind zu anderen Blättern gewechselt (Jens Jessen, Jan Ross), Schirrmacher selbst ist rasch in das Herausgebergremium aufgestiegen und hat dann Bahners mit der Leitung der Kultur betraut.

Beider Interesse ist es, die Bedeutung des FAZ-Feuilletons zu wahren, aber sie neigen zur Überinszenierung der Debatten, die sie anstoßen. In diesem Fall mußte der Leser etwa irritiert feststellen, daß nach zwei Vorabdrucken aus Bahners Buch plötzlich Thilo Sarrazin, dann Necla Kelek die Gelegenheit zur Replik bekamen. Womit wohl der Eindruck des offenen Gedankenaustauschs vermittelt werden sollte, aber doch eher eine gewisse Ratlosigkeit erzeugt wurde, zumal die Erwiderungen nicht nur treffend waren, sondern teilweise auch den Charakter der Bloßstellung Bahners hatten. Sarrazin über Bahners: Ein Mann, „der in der ausländer- und gewerbefreien Bonner Südstadt im Einfamilienhaus aufwuchs, im fußläufig entfernten Bonner Beethovengymnasium zur Schule ging, sodann in Bonn und Oxford studierte und anschließend, im Alter von 22 Jahren, der Redaktion der FAZ beitrat. Von den Stürmen des Lebens ist Patrick Bahners wahrlich verschont geblieben.“

Den Gescholtenen stört das offenbar wenig, denn er sieht sich nicht nur ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, sondern auch von der Konkurrenz hofiert. Bahners schmeichelt der Zuspruch von links gewiß, aber er weiß genau, daß seine Wirkung ganz von seiner Position in der führenden bürgerlichen Zeitung abhängt.

Die ist nicht zu verstehen ohne einen Hinweis auf die Sonderfunktion des Kulturteils im Gesamtkonzept der FAZ, der sich immer wieder und deutlich von der – liberalkonservativen – Hauptlinie absetzen durfte. Das galt schon zu Zeiten Karl Korns, der in den fünfziger Jahren der heimatlosen Linken Asyl bot, reicht über die Ära Karl Heinz Bohrers, der nach ’68 seinen Salonbolschewismus kultivierte, bis zum Entschluß von Seibt und Schirrmacher, sich gegen den Historiker Ernst Nolte und gegen die Neue demokratische Rechte zu stellen.

Wenn Bahners jetzt die Gelegenheit nutzt, die Einwände des Politikteils gegen Zuwanderung oder Multikulturalismus zu konterkarieren, so hat das in erster Linie mit dieser Art von Binnenpluralismus zu tun. Aber auch mit der Persönlichkeit eines Mannes, der vom Historikerstreit über die Diskussion der Schwulenehe bis zur Sarrazin-Debatte immer eine Meinung vertrat, die in der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung, der taz oder dem Spiegel niemandem auffallen würde, indes unter den Durchschnittslesern der FAZ für Verblüffung sorgt.

Um das zu erklären, sollte man weniger über Bahners individuelle Weltanschauung rätseln, eher von seinem intellektuellen Selbstverständnis ausgehen. Das macht viel von seinem Originalitätsdrang begreiflich, auch dem oft Gesuchten und Verschrobenen seiner Argumentation. Schließlich kommt noch eins hinzu, worauf Karl Mannheim in seinen Bemerkungen zur Soziologie des Intellektuellen hingewiesen hat. Es gehöre zu den wesentlichen Eigenschaften des Intellektuellen, so Mannheim, daß er sich von den sozialen Bindungen und normativen Vorgaben seiner Umgebung frei halte, und zu seinen wichtigsten Bedürfnissen, sich weniger mit der Gegenwart als mit der Zukunft im Einklang zu finden, Partei für die zu ergreifen, die zwar nicht heute, aber morgen das Sagen haben werden, weshalb der Intellektuelle seine Rolle als Oppositioneller oder Prophet genießt, solange er seine eigene Überzeugung mit der „einer bestimmten aufstrebenden Schicht (…) in Deckung“ weiß.

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