© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Zu den besonders unerfreulichen Begleiterscheinungen der Affäre Guttenberg gehört, daß der Minister im Ruf eines Konservativen steht. Das hat, wie bei anderer Gelegenheit erwähnt, eher mit seinem Habitus, weniger mit seiner Weltanschauung zu tun. Trotzdem bleibt ein „Geschmäckle“; triumphiert der Gegner über die Heuchler, wirkt der Generalverdacht in bezug auf alle anderen.

Von „Humanisierung der Arbeitswelt“ ist keine Rede mehr, seitdem sie für schwere Handarbeit erreicht wurde. Das Schicksal des Kumpel, der mit seiner Staublunge leben mußte, des Ladearbeiters mit dem „kaputten Rücken“, der Wäscherin mit den rheumatisch verkrümmten Fingern, ist entweder gemildert oder das ganze Berufsfeld verschwunden. Die Erleichterung oder Erledigung durch Maschinen hat allerdings die Tätigkeiten im Tertiären Sektor nicht wirklich erfassen können oder zusätzliche Belastungen mit sich gebracht. Auffällig ist die große Zahl derjenigen, die man früher beneidete, weil sie „sich die Hände nicht schmutzig machen mußten“ und deren Arbeit heute von diffusem „Streß“, Bürokratisierung und Zeitnot bestimmt wird. Vor allem muß auf die Muße verzichtet werden, die einmal selbstverständlich zum bürgerlichen Leben gehörte. Das hat nicht nur mit Egalitarismus zu tun, auch mit dem Kult der Effizienz.

Bildungsbericht in loser Folge VII: Es fehlt im Literaturkanon der Schulen seit längerem die schwarze Utopie. Offenbar sind wir über den Punkt hinaus, wo „1984“ oder „Schöne neue Welt“ zur Warnung dienen könnten.

Die Brutalität, mit der Gaddafi gegen die Opposition vorgeht, erinnert an die Vorgänge in Rumänien beim Sturz Ceaucescus. Auch im zusammenbrechenden Ostblock war es die Ausnahme, nicht die Regel, daß ein Regime sich mit aller Gewalt wehrte, der Staatschef seine Prätorianer gegen das eigene Volk einsetzte und Massaker anrichten ließ. Im Fall Rumäniens wurde zur Erklärung auf die blutige Geschichte des Landes hingewiesen, die lange Tradition rabiater Machtausübung, aber dasselbe hätte auch für Rußland gegolten, wo die Revolution eine sanfte war. Offenbar spielte der Charakter des Potentaten eine entscheidende Rolle und der „Mut zur eigenen Barbarei“, von dem Proudhon gesprochen hat.

Noch zur Muße: Als Beilage in einem antiquarischen Buch fand sich eine Postkarte, die der Soziologe Hans Freyer im August 1967 an den Theologen Wolfgang Trillhaas schrieb. Das Bild auf der Vorderseite ist bieder, eine Dünenlandschaft an der Nordsee, bei Freyers Ferienort St. Peter-Ording, der Text auch: in kleiner Schrift, gestochen, ein Dank für die Geburtstagswünsche von Trillhaas, dem Freyer gerade dreimal persönlich begegnet war. Die Postleitzahl ist zweistellig, und auch sonst wirkt das Stück bunter, etwas vergilbter Karton wie ein Rest aus einer anderen Welt.

Wenn der Konservative tut, was er sagt, hat das den Nachteil des Unspektakulären. Man rechnet es ihm nicht als Verdienst an, daß er treu, fleißig, pünktlich, ordentlich ist. Es gilt als Selbstverständlichkeit.

Wer zuletzt bei Besuchen in Südtirol den Eindruck hatte, daß die sanfte Italianisierung anders als die rohe – faschistischer wie republikanischer Prägung – zum Erfolg kommen werde, sieht sich überrascht und erfreut durch den erklärten Widerwillen der Südtiroler, den 150. Jahrestag der Gründung des Königreichs mitzufeiern: „terra irredenta“ – „unerlöstes Gebiet“ war immer ein Schlüsselbegriff des italienischen Nationalismus.

„Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten so auch jetzt noch, in Sklaven und Freie; denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter.“ (Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches)

Die Frankfurter Allgemeine hat angesichts des Flüchtlingsstroms aus Nordafrika wieder auf Jean Raspail und sein Buch „Das Heerlager der Heiligen“ hingewiesen. Das geschieht in relativ kurzem Zeitabstand zum zweiten Mal und, was besonders bemerkenswert ist, in diesem Fall kommt die Anerkennung von Jürg Altwegg, einem Linken deutlich „antifaschistischer“ Prägung. Die prophetische Kraft dieses Romans, in dem die – friedliche – Invasion verzweifelter Massen in Europa beschrieben wird, die zum Untergang der alten Welt führt, betont Altwegg, aber die Tatsache, daß Raspail ein Reaktionär und mithin ein Mann der Rechten ist, kaschiert er. Vielleicht muß man sich so Erfolge im Kampf um die kulturelle Hegemonie vorstellen: der Mainstream ändert unmerklich die Richtung, ziert sich noch etwas, die Gegner vermeiden jeden Hinweis auf den eigenen Irrtum, erkennen aber großzügig die richtige Prognose der anderen an und versuchen klammheimlich Positionen aufzugeben, die nicht mehr zu halten sind.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 18. März in der JF-Ausgabe 12/11.

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