© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Merkwürdige Gestalten in den Archiven
SED-Regime: Die Beteiligung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern an der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ist seit Jahren bekannt
Paul Leonhard

Die Enttarnung ehemaliger Stasi-Leute in der Birthler-Behörde, der Aufschrei der Opferverbände, die Forderungen nach Konsequenzen und Entlassungen – nichts davon ist neu (siehe Seite 2). Ex-Stasi-Mitarbeiter sitzen überall in den Verwaltungen der östlichen Bundesländer und auch in der zentralen Unterlagenbehörde.

Von einem „Skandal erster Güte“ sprach die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) schon im Juli 2009, als bekannt wurde, daß noch 17.000 ehemalige Spitzel im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Berichtet wurde von 2.247 übernommenen Geheimdienstlern in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg waren es 2.942, in Sachsen-Anhalt 4.000, in Sachsen 4.101 und in Thüringen 800. Es dränge sich der Verdacht auf, daß der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern durchsetzt sei, warnte damals VOS-Sprecher Ronald Lässig. Von SED-Kadern, die es wie die mit SPD-Parteibuch ausgestattete Eva-Maria Stange sogar bis zur Kultusministerin in Sachsen gebracht hatten, wurde gar nicht gesprochen.

Joachim Gauck bezeichnete es nach seiner zehnjährigen Amtszeit als Hüter der Stasi-Akten als einen Fehler, daß nicht das gesamte SED-Regime in die Aufklärungsarbeit einbezogen wurde. Aber Gauck sagte dem Spiegel, „es wäre fatal, da jetzt noch was zu ändern“.

Daß in der Aufbauphase der Gauck-Behörde ehemalige Stasi-Mitarbeiter als Wachschutzleute und 15 als Archivexperten eingestellt wurden, war bekannt. Das Fatale daran: Sie bestimmten und bestimmen zum Teil immer noch mit darüber, wer welche Akten zu sehen bekommt – und damit möglicherweise noch unbekannte Spitzel enttarnt. Ende 2006 wurde zudem enthüllt, daß es sich bei den 52 Ex-Stasi-Mitarbeitern keineswegs nur um einfache Angestellte handelte: So war Egon K. Leiter des Sachgebiets ZV7 und damit für das Ausstellen von Hausausweisen zuständig. Der ehemalige Stasi-Spitzel Klaus R. war Leiter des Referats, dem jene Mitarbeiter unterstanden, die alle Behördenmitarbeiter intern auf Stasi-Mitarbeit überprüfen sollten. Im Personalrat saßen zwei frühere hauptamtliche Mielke-Mitarbeiter, jetzt vom Dienst freigestellte Personalvertreter. Zehn Ex-Stasi-Mitarbeiter besaßen ein Mandat als Personalvertreter. Ein hoher Anteil angesichts von 2.000 Behördenmitarbeitern, von denen nach damaligen Angaben der Behördenleiterin Birthler lediglich 52 eine Stasi-Vergangenheit besitzen.

So ist das eigentliche Wunder, daß der Personalratschef der Behörde, Lutz Penesch, Ende Februar tatsächlich sein Amt niederlegte, nachdem über ihn bis dato unbekannte Stasi-Unterlagen entdeckt wurden. Daß der jetzt als ehemaliger Stasi-Offizier enttarnte oberste Systemmanager der Behörde, Peter Schmidt, entlassen wird, erscheint aus arbeitsrechtlichen Gründen unwahrscheinlich. Schmidt hatte sich als Wachschutzmann zum Leiter des „IT-Architekturbüros“ hochgedient. Die Proteste der Opferverbände und auch der des Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz (CDU) dürften ins Leere laufen. Auch stellen diese die wichtigste Frage nicht: Wie viele ehemalige SED-Mitglieder sind in der Birthler-Behörde untergeschlüpft und welche Rolle spielen diese? Im Juni 2007 war Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) ein Gutachten vorgelegt worden, in dem von mehreren hundert SED-Systemträgern die Rede war. Birthler hatte damals betont, daß frühere Mitarbeiter des DDR-Staatsdienstes nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürften.

Die Wahrheit über das, was sich in der Unterlagenbehörde abspielt, formulierte frühzeitig ein ehemaliger DDR-Dissident: „Jürgen Fuchs war der erste, der die in die Gauck-Behörde eingeschleusten Stasi-Mitarbeiter bemerkte: sogenanntes Wachpersonal, eine Militärhistorikerin aus der DDR, eine Dame aus der Kaderabteilung der Mitropa, eine Reihe merkwürdiger Gestalten in den Archiven“, erinnert sich Freya Klier im Juli 2007. Der 1999 verstorbene Schriftsteller habe sie an der Sprache, an den mißtrauischen Blicken erkannt, „denn auch sie wußten, wer er ist“, und er habe vor den Gefahren und Problemen gewarnt. Vergeblich.

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