© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Was von Multikulti übrigbleibt
Wahlkampf: Vor dem Hintergrund von Ausländergewalt und Sarrazin-Debatte schielt die Berliner FDP auf konservative Wähler
Henning Hoffgaard

Schlange stehen für eine FDP-Veranstaltung in Berlin. Das hat man lange nicht gesehen“, scherzt der Moderator gut gelaunt. Daß ausgerechnet eine Diskussionsveranstaltung der schwächelnden Hauptstadt-FDP, in Umfragen liegt sie bei drei bis vier Prozent, so viele Zuhörer anzieht, liegt vor allem am Thema. „Was bleibt von Multikulti?“ fragen die Liberalen, die genau wissen, wie sehr das Thema Integration die Berliner, nicht erst seit dem brutalen Überfall von vier Ausländern auf einen Malergesellen im U-Bahnhof Lichtenberg, bewegt. So ist es dann auch wenig verwunderlich, daß vieles an diesem Abend nach Sarrazin klingt, besonders die FDP selbst.

Während der Bremer Politikwissenschaftler und Buchautor Stefan Luft („Abschied von Multikulti“)  die Diskussion eröffnet, stehen vor dem Eingang noch immer Leute, die darauf warten, daß die beiden Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Personalausweise kontrollieren und Taschen durchsuchen. Die Sicherheit geht vor. Am Ende ist der Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses zur Freude der blau-gelben Wahlkämpfer fast bis auf den letzten Platz gefüllt.

Viele kommen gerade rechtzeitig, um den Rundumschlag Lufts gegen die gut gebildete Mittel- und Oberschicht, die an diesem Abend auch die große Mehrheit der Zuhörer zu stellen scheint, zu hören. Zu lange habe diese „Multikulti“ nur als gastronomische Vielfalt wahrnehmen wollen, kritisiert der Politikwissenschaftler. Daß die multikulturelle Gesellschaft aber „hart, schnell und grausam“ sei, habe man stets ausgeblendet. Spätestens aber, wenn die eigenen Kinder auf eine Schule mit hohem Ausländeranteil gehen sollten, sei „ganz schnell Schluß mit lustig“. So habe man die Probleme der Ausländerintegration über Jahrzehnte sehenden Auges und wider besseren Wissens ignorieren können.

Im Mittelpunkt seines Vortrags stehen konservative und linke Integrationsapologeten, die zum Teil bis heute daran festhielten, den Zuwanderern ihre Identität zu bewahren. Während man deutschen Kindern in der Schule beigebracht hätte, das Fremde zu lieben, sollten Zuwandererkinder vor allem ihre eigene Kultur behalten. Dabei sei es für die Migranten unmöglich, eine eigene, vom Gastland unabhängige Identität aufzubauen. All das würde man bis heute vergessen. Verärgert kritisiert er die Bestrebungen, jede Anpassung an die deutsche Kultur als „Zwangsgermanisierung und Rassismus“ zu diffamieren.

Viele Zuhörer tuscheln zustimmend. Auch der integrationspolitische Sprecher der Berliner FDP-Fraktion, Kai Gersch, nickt. Ihm liegt der Abend besonders am Herzen. Seine Partei muß zulegen, wenn er seinen Posten behalten will. So liest sich dann auch das 16seitige Integrationskonzept der Liberalen. Neben modernen Floskeln wie dem Hinweis auf die Vorteile einer multiethnischen Gesellschaft und der Zielsetzung, mehr „Diversität“ zu erreichen, atmet das Papier von Seite zu Seite mehr Sarrazinismus. Egal ob Scharia-Ächtung, die Forderung nach härteren Sanktionsmechanismen für Integrationsverweigerer, bis hin zum Entzug des Aufenthalsrechts, oder die Thematisierung der gescheiterten Integration der dritten Generation von Türken, Arabern und Kurden. Die FDP schielt nach rechts, will eher konservativ denkende Wähler mobilisieren.

Der Ton gefällt nicht allen. Ein junges Mädchen, nach eigenen Angaben gerade erst frisch der FDP beigetreten, zeigt sich entsetzt über den Verlauf der Diskussion. „Es wird ja so getan, als ob nur Araber und Moslems“ das Problem seien. Ihr gehe das alles viel zu weit. Das bleibt nicht ohne Widerspruch. Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde beschwert sich über den massiven Antisemitismus der muslimischen Jugendlichen und bekommt prompt Unterstützung. Mitglieder zweier Fußballvereine ärgern sich über die Konkurrenz aus den „ethnischen Kolonien“. Früher hätten noch alle Nationen zusammen gespielt. Heute spielen  Zuwanderer häufig in eigenen Mannschaften.

FDP-Mann Gersch freut sich über solche Meinungen, liegen sie doch ganz auf seiner Linie. Was ist von Multikulti an diesem Abend nun geblieben?
„Wenig“, sagt Stefan Luft.

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