© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Dienen auf der Baustelle
Bundeswehrreform: Karl-Theodor zu Guttenberg hat seinem Nachfolger als Verteidigungsminister, Thomas de Maizière, eine Armee im Umbruch hinterlassen
Karl Feldmeyer

Die Bundeswehr gleicht derzeit einer Baustelle, auf der der Architekt wechselt, kaum, daß der von ihm veranlaßte Umbau begonnen hat und erste Zweifel am Erfolg dieses Unternehmens laut werden. Die Herausforderung, die Bundeswehr von einer Wehrpflicht- in eine Freiwilligenarmee zu verwandeln, sie zugleich drastisch zu verkleinern und dabei auch noch Milliarden einzusparen, hat der in dieser Woche mit einem Zapfenstreich verabschiedete Karl-Theodor zu Guttenberg seinem Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Thomas de Maizière, hinterlassen. Der hat sich als Innenminister ebenso wie zuvor im Kanzleramt als effektiv, kompetent und an Publizität desinteressiert erwiesen.  Die Maxime „Mehr sein als scheinen“ könnte von ihm stammen. Damit folgt er dem Vorbild seines Vaters Ulrich de Maizière.  Zusammen mit Kielmansegg und Baudissin erarbeitete er das Leitbild der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform, das Markenzeichen der Bundeswehr. 1965 wurde er dafür mit dem  Freiherr-vom-Stein-Preis ausgezeichnet. All dies gehört auch zur Vorgeschichte des neuen Verteidigungsministers. Wie sich dies auf  sein Wirken im neuen Amt  auswirkt, wird  das Gesicht der künftigen Bundeswehr beeinflussen.

Die Beschlußlage, die der neue Verteidigungsminister vorfindet, ist in ihrer Zielsetzung klar; unklar ist dagegen, wie dieser Auftrag in der Praxis verwirklicht werden soll: Umwandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- in eine Freiwilligenarmee, Verkleinerung  ihres Umfangs von derzeit noch 235.000 Soldaten auf 185.000 Soldaten und – verbunden damit – die Absenkung des Verteidigungshaushalts bis 2014 um mehr als acht Milliarden Euro. Das kommt der Quadratur des Kreises ziemlich nahe.

Den Anstoß zu diesem Vorhaben gab die Forderung von Finanzminister Schäuble, im Rahmen der Haushaltssanierung den Verteidigungshaushalt bis 2014 um 8,3 Milliarden zu kürzen. Verteidigungsminister zu Guttenberg nahm dies zum Anlaß, die Umwandlung der Bundeswehr in eine stark verkleinerte Freiwilligenarmee anzukündigen. Daß CDU und CSU die Wehrpflicht bis dahin als unverzichtbar bezeichnet und ihre Abschaffung ausgeschlossen hatten, zählte von einem auf den anderen Tag nicht mehr.

Generalinspekteur Wieker mußte mehrere Optionen für einen Umbau der Bundeswehr vorlegen. Sein von Guttenberg akzeptierter Entwurf sah einen Umfang von 163.500 Soldaten vor. Dagegen erhob sich aber in den Regierungsfraktionen Widerspruch, denn eine so kleine Bundeswehr wollte man nun doch nicht. Am 15. Dezember 2010 einigte man sich im Kabinett dann auf „Eckpunkte“ und auf einen Entwurf für ein Wehrrechtsänderungsgesetz, das die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli und die Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für alle Soldaten beinhaltet. Es soll am 1. Juli in Kraft treten. Das hinderte die Regierung aber nicht, die Aussetzung der Wehrpflicht schon im Januar ohne Rechtsgrundlage in Kraft zu setzen. Der Umfang der Bundeswehr wurde auf 185.000 Mann festgelegt; 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 15.000 Freiwillige, deren Dienstzeit von mindestens zwölf bis maximal 23 Monaten reichen soll.

  Um diesen Freiwilligenanteil von 15.000 Männern und Frauen bei den Mannschaftsdienstgraden – denn nur um die geht es dabei – aufrechterhalten zu können, braucht die Bundeswehr bei einer Verpflichtungsdauer zwischen zwölf und 23 Monaten (alle, die sich länger verpflichten, gelten als Soldaten auf Zeit) 12.000 Neuverpflichtungen – und zwar alle Jahre wieder. Daß dies ein hohes Risiko einschließt, ist bereits unmittelbar nach der letzten Einberufung von Wehrpflichtigen zu Jahresanfang deutlich geworden. Die nächsten Einberufungstermine, zu denen nun erstmals statt gezogener Wehrpflichtiger Freiwillige erwartet werden, sind der 1. April und der 1. Juli.

Um ihren Bedarf von 12.000 Soldaten zu decken, hatte die Bundeswehr zu Jahresbeginn etwa 160.000 Jugendliche angeschrieben und zu werben versucht. Das Ergebnis blieb unter allen Erwartungen: Nur um die 4.000 von ihnen antworteten und bekundeten „grundsätzliches“ Interesse. Von den 3.000 jungen Männern und Frauen, die die Bundeswehr zum 1. April benötigt, hatten sich bis Ende Februar nicht einmal 500 gemeldet. Angesichts dieser Fakten hat der Inspekteur des Heeres, General Freers, den Minister darauf hingewiesen, daß derart große Einbrüche in den Personalkörper nicht nur langfristig schwerwiegende Konsequenzen hätten, sondern auch kurzfristig: „Die Bereitstellung der Einsatzkontingente wird bereits 2012 (also im nächsten Jahr) nicht mehr im heutigen Umfang möglich sein“, teilte er mit. Aber auch bei den Zeitsoldaten (sie haben Verpflichtungszeiten zwischen zwei und 15 Jahren) bereitet die Reform Probleme, noch bevor sie richtig angelaufen ist. Bei ihnen ist der Bedarf an freiwilligen Bewerbern derzeit nur zur Hälfte gedeckt. Das ist zwar mehr als bei den Kurzzeit-Freiwilligen bis 23 Monate, aber viel weniger als die Truppe benötigt. Auch hier zeigt sich, wie recht die Politiker hatten, die so lange die Wehrpflicht mit dem Argument verteidigten, die Bundeswehr komme ohne diejenigen nicht aus, die sich erst als Wehrpflichtige dazu entschieden, länger Soldat zu bleiben. Genau die fehlen jetzt.

Da wundert es nicht, daß de Maizière bereits am ersten Tag in seinem neuen Amt klargemacht hat, daß er die von seinem Vorgänger getroffenen Entscheidungen nicht ungeprüft übernehmen wird. In seinem ersten Tagesbefehl teilte er mit, er benötige zunächst einmal Zeit für eine „gründliche Lagefeststellung“. Erst danach werde er die nächsten Entscheidungen treffen. „Ich weiß um die Dringlichkeit, dennoch: Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche,“ betonte de Maizière. Seinem Sprecher überließ er es, hinzuzufügen, der Minister behalte sich „bestimmte Streckungen, Kürzungen oder leichte Richtungsänderungen“ vor. Das ist ein Vorbehalt, der keiner Entscheidung Bestandsschutz zusichert.

Während die Koalition bisher zu den mit der Suspendierung der Wehrpflicht selbst geschaffenen Problemen schweigt, machte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), Minister und Öffentlichkeit problembewußt. „Im Moment ist die Bundeswehr keine attraktive Armee“, stellte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fest und belegte dies mit zahlreichen Mißtänden, von der unsicher gewordenen Laufbahnplanung vieler Soldaten, über unzureichende Besoldung von Unteroffiziersdienstgraden, fehlenden familienfreundlichen Rahmenbedingungen bis hin zur ausbildungsfremden Verwendung von hochqualifizierten Piloten des „Eurofighters“, die angesichts der stark reduzierten Flugstunden nicht die nötige Zahl an Stunden in ihren Jets absolvieren können. „Das frustriert die Männer und Frauen sehr“, sagte der Wehrbeauftragte und warnte die Führung der Bundeswehr davor, „ein Image aufzubauen, das in dem Moment zusammenfällt, in dem jemand aus der Realität erzählt. Das Produkt muß attraktiver werden, nicht das Schaufenster,“ fügte er hinzu. Auch kritisierte er den Führungsstil, bei dem oft mehr Energie darauf verwendet werde, Fehler zu bestreiten, als sie abzustellen. Und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, kritisierte, daß den Freiwilligen, die sich vor dem 1. Juli verpflichten, die Leistungsverbesserungen, die das Wehrrechtsänderungsgesetz ab Juli bringen soll, nicht von Anfang an  gewährt werden können. Alle diese Beanstandungen haben eines gemein: Ihre Beseitigung kostet Geld, viel Geld. Von Einsparungen, wie sie Schäuble fordert, kann bis auf weiteres somit keine Rede sein, wenn die Bundeswehr die Zahl an Freiwilligen gewinnen will, die sie dringend benötigt.

De Maizière muß somit zuallererst den drohenden Kollaps bei der Freiwilligenwerbung verhindern. Gelingt ihm das nicht, bleibt der Bundesregierung nur die Wahl zwischen zwei Entscheidungen: die Bundeswehr auf den Umfang schrumpfen zu lassen, der angesichts der unzureichenden Zahl von Freiwilligen möglich ist, oder aber die suspendierte Wehrpflicht wieder in Kraft zu setzen – was dem offenen Eingeständnis des eigenen Versagens gleichkäme. Er wird sich aber darauf nicht beschränken können.

Weitere Entscheidungen zur Umsetzung der Reform stehen an, insbesondere die Straffung der Führungsstruktur der Streitkräfte und die Neubestimmung von Zuständigkeiten im Ministerium. Die erste wichtige Veränderung nahm de Maizière schon am Tag seines Dienstantritts vor: Er entließ den von Guttenberg ins Verteidigungsministerium geholten Staatssekretär Otremba, der mit der Umstrukturierung und Verkleinerung des Verteidigungsministeriums auch das Ziel verfolgte, die Kompetenzen des Generalinspekteurs auf die Führung, die Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sowie auf den Einsatz der Bundeswehr zu begrenzen. Sollte de Maizière es dabei belassen, so würden dem Generalinspekteur zentrale Befugnisse genommen, die er seit dem Inkrafttreten des Blankeneser Erlasses von Verteidigungsminister Helmut Schmidt 1976 innehat: die Gesamtverantwortung für die Rüstungsplanung im Verteidigungsministerium  sowie die für die Behandlung der militärischen Angelegenheiten in der Nato, die in dem wichtigsten Führungsstab der Streitkräfte, dem „Fü S III“, bearbeitet werden. Ihn wollte Otremba der Zuständigkeit des Generalinspekteurs entziehen und dem Staatssekretär direkt zuordnen.

 Ob es de Maizière dabei beläßt, oder zu dem gegenteiligen Vorschlag der Reformkommission und ihres Vorsitzenden Weise zurückkehrt, dem Generalinspekteur diese Verantwortlichkeit zu belassen, ist von großem Gewicht.

Das gilt auch für andere Bausteine der Bundeswehrreform, wie die Ausplanung der Teilstreitkräfte, insbesondere ihren Umfang und ihre Ausrüstung, sowie die Verkleinerung des Ministeriums, von derzeit noch 3.100 Dienstposten auf weniger als 2.000 und die Auslagerung der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte aus dem Ministerium. Dazu gehört dann auch festzulegen, wie viele Geschwader der Luftwaffe bleiben, wie viele Verbände das Heer auflösen und auf welche Schiffe die Marine verzichten muß. Alle diese Entscheidungen können nur dann verantwortungsgerecht getroffen werden, wenn ihm eine Bedrohungsanalyse Deutschlands zugrunde liegt, die bewertet, welche Risiken vernachlässigt werden können und welche nicht. Das stellt den Minister und seine militärischen Berater vor schwierige Entscheidungen.

Die Öffentlichkeit aber wird das weit weniger interessieren als die Entscheidungen darüber, welche Standorte erhalten bleiben und welche aufgegeben werden. Die Bundes- wie die Landespolitiker sind längst alarmiert. Da gilt dann das Stankt-Florians-Prinzip: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus; zünd andere an! Auch so können Politiker zeigen, woran sie wirklich denken, wenn sie in Sonntagsreden von der Bedeutung der Bundeswehr für unser Land sprechen.

 

Bundeswehrreform

Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation hat die Bundeswehr mehrere Reformen durchlaufen, die sie von einer Armee zur Landesverteidigung in eine „Armee im Einsatz“ verwandelt hat, die auch im Ausland eingesetzt werden kann.

Deutlich wird dieser Strategiewechsel in der Zahl der Kampfpanzer. Während die Bundeswehr 1990 noch über mehr als 2.100 Kampfpanzer verfügte, sind es heute noch rund 260. Gleichzeitig stieg die Zahl der geschützten Fahrzeuge, wie sie etwa in Afghanistan eingesetzt werden, deutlich an.

Die jetzt diskutierten Reformvorschläge gehen auf die im vergangenen Jahr von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingesetzte Strukturkommission unter dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, zurück. Die Vorschläge wurden von dem jetzt in den Ruhestand versetzten Staatssekretär Walther Otremba nochmals überarbeitet.

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