© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Kalte Herzen am Tag der Einheit
Italien: Die 150-Jahr-Feier zur Staatsgründung o‑ enbart die Zerrissenheit des Landes / Linke entdecken Vaterland
Paola Bernardi

Vor 150 Jahren, genau gesagt am  17. März 1861, wurde Viktor Emanuel II. von Savoyen zum König von Italien proklamiert. Zeit zu feiern. Doch nicht alle wollen mitfeiern. Wochenlang tourte der 85jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano durch das Land und appellierte an die Politiker: Drückt euch nicht vor diesem Jubiläum. Der Aufruf blieb nicht ungehört.

 Also werden am 17. März nun die Fahnen an allen öffentlichen Gebäuden im Lande aufgezogen. Roms Nationaldenkmal an der Piazza Venezia, das dem König und der Einheit des Vaterlandes geweiht wurde, wird grandios illuminiert unter dem dunkelblauen Nachthimmel der Ewigen Stadt aufscheinen. Vom Gianicolo, dem höchsten Hügel Roms, der den Garibaldinern gewidmet ist, werden die Kanonenschüsse auf die Stadt herabdonnern.

Die Feierlichkeiten beginnen bereits am Vorabend. Er wurde zur „Nacht der Trikolore“ ausgerufen. Museen und Geschäfte sind geöffnet. Konzerte werden auf allen öffentlichen Plätzen von Rom stattfinden, vor allem werden natürlich Verdi-Klänge ertönen. Im Parlament ist eine feierliche Sondersitzung geplant und die Bürger sind aufgerufen, grünweißrote Trikolore-Fahnen aus den Fenstern zu hängen. Zudem soll am 2. Juni, der Ausrufung der Republik im Jahre 1946, ein großer Staatsakt mit Dutzenden von Staatschefs aus den EU-Ländern sowie den USA und Rußland in Rom stattfinden.

Mögen die Äußerlichkeiten für diesen Gedenktag auch Harmonie vortäuschen, doch die Spannungen lassen sich nicht so einfach wegretuschieren. Bei den monatelangen Vorbereitungen zu dieser 150-Jahr-Feier haben sich Gräben wieder aufgetan, die man längst zugeschüttet geglaubt hat. Überdeutlich hat sich gezeigt, daß Italien eine „verspätete Nation“ ist.

So tobte wochenlang ein Streit, ob man diesen Jubiläumstag überhaupt als arbeitsfreien Feiertag begehen sollte. Die Unternehmer machten geltend, daß sich das Land einen solchen Arbeitsausfall aus Kostengründen nicht leisten könne. Für ein Offenbleiben der Schulen sprach sich auch die Bildungsministerin Mariastella Gelmini aus. Sie erklärte, daß die Bedeutung des Einheitsstaates am besten von den Lehrern den Schülern bewußt gemacht werden könne.

Sogar der offizielle Garant dieses Jubiläums, der frühere sozialistische Regierungschef Giuliano Amato, teilte die Meinung der Unternehmer und der Bildungsministerin. Es sei „überflüssig, eine Nation zu feiern, die es gar nicht gibt“, erklärte Amato lapidar.

Der frühere Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, ein glühender Patriot, empörte sich derart über diese Debatte, daß er aus dem Festkomitee ausschied. „Mit kaltem Herzen“ begehe das Land diesen wichtigen Tag, klagte Ciampi.Erst in allerletzter Minute ordnete die Regierung Berlusconi per Dekret an, daß der 17. März als Tag der nationalen Einheit arbeitsfrei sei.

Nicht nur dagegen wehrte sich jedoch die Lega Nord. Der Koalitionspartner Berlusconis will überhaupt die Feier boykottieren und hält diesen Tag für reine Geldverschwendung. Die Lega Nord träumt von ihrem eigenen Staat „Padanien“, im reichen Industrie-Norden Italiens. Sie will weg vom „räuberischen Rom“ und vom „afrikanischen Süden“, der nach ihrer Auffassung bereits hinter Florenz beginnt. Ihre Hymne ist nicht Italiens „Mameli“, sondern der Gefangenchor aus Verdis „Nabucco“. Und gegen die grünweißrote Trikolore setzt sie ihre eigene grüne Flagge.

In ihrer massiven Ablehnung ist die Lega nicht allein. Auch Südtirol werde nicht an der Einheitsfeier für den Staat Italien teilnehmen, teilte der langjährige Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) mit. Niemand könne von Südtirolern verlangen, die Einheit Italiens und damit Südtirols Loslösung von Österreich zu feiern. „150 Jahre Italien bedeuten für uns die Trennung vom Vaterland, die Angliederung an Italien, Faschismus sowie die Nachkriegszeit mit der Verweigerung der Selbstbestimmung oder die bewußt falsche Auslegung des Ersten Autonomiestatuts.“ Und er fügte noch hinzu „‘Es lebe Italien’, das kommt niemals über meine Lippen.“

Doch nicht nur die Lega und die Südtiroler boykottieren die Feiern, auch der vielfach verachtete Süden, sonst eher mit seiner Mißwirtschaft, Korruption und dem allgegenwärtigen organisierten Verbrechen in den Schlagzeilen, erlebt neuerdings das Aufkommen eines Lokalpatriotismus. Voller Stolz entdecken viele Süditaliener ihre eigene Identität und verweisen auf die mit der nationalen Einheit verschwundene Bourbonen-Monarchie (Neapel und Sizilien). Es ist sogar eine Bewegung mit dem bezeichnenden Namen „Lega Sud“ entstanden.

Seltsam erscheint, was die Besinnung auf dieses historische Ereignis so alles  zutage wirbelt. So sind es paradoxerweise die italienischen Linken, die sich in ihrer Haltung in Gegenüberstellung zum skandalträchtigen Berlusconi und seinem politischen Partner der Lega Nord auf die Werte von Vaterland und Vaterlandsliebe berufen.

Die Linken, die immer antinational waren und nie einen Hehl aus ihrer Aversion gegen die „bürgerlichen“ Werte gemacht haben, spielen jetzt aus taktischen Gründen die Patrioten und kämpfen für die Einheit des Vaterlandes. Ein bedeutender Beitrag in diesem Sinne kam unerwartet während des Liederfestivals von San Remo vom bekannten linken Schauspieler Roberto Benigni, der die Nationalhymne sang und gar die nationale Idee beschwor.

Letztendlich spiegelt der neu eingeführte Feiertag zur Einheit die ganze Zerrissenheit des italienischen Selbstverständnisses wider.

Foto: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Lega-Nord-Chef Umberto Bossi: Kein einiges Band bei den 150-Jahr-Feierlichkeiten

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