© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Gruß aus San Francisco
Religiöse Selbstzucht
Elliot Neaman

Seitdem Jerry Brown im Januar das Amt vom „Gouvernator“ Arnold Schwarzenegger übernommen hatte und sogleich die Axt präsentierte, die er an den Haushalt anzulegen gedenkt, hält ganz Kalifornien den Atem an. Zwölf Milliarden Dollar sollen eingespart werden. Während in der Vergangenheit versucht wurde, die Defizite mit Bilanzakrobatik zu übertünchen, will Brown einschneidende Kürzungen.

Die Sache ist heikel und jeder fragt: Kann der 72jährige das durchstehen? Doch Brown, der bereits zwischen 1975 und 1983 Gouverneur von Kalifonien war, ist zäh und sein Hang zur Askese in der Haushaltspolitik legendär. Seine Sparmaßnahmen führten einst dazu, daß Kalifornien einen Überschuß von rund fünf Milliarden Dollar anhäufte. Browns jesuitisches Gewissen verbot ihm, den protzigen Amtssitz zu beziehen, und die Gouverneurslimousine tauschte er gegen einen alten Plymouth. Er war in seinem Element: Politik als Zurschaustellung religiöser Selbstzucht oder als Gestalttherapie.

Bei den Wählern kam die Mischung aus Haushaltsdisziplin, liberalem Gedankengut und leicht verrückten Ideen gut an. Nachdem er 1978 spielend die Wiederwahl geschafft hatte, berief er einen bekennenden Schwulen in ein hohes Richteramt. Damit nicht genug, träumte er davon, in Kalifornien eine Weltraum-Akademie zu gründen.

Nachdem Brown jedoch Anfang der 1980er Jahre daran gescheitert war, einen Senatssitz zu ergattern, erlebte er seine „Midlife-Crisis“. Er ließ sich in Japan in die Grundsätze des Buddhismus einweisen, griff in Kalkutta Mutter Teresa unter die Arme. Erleuchtet kehrte er 1988 in die Politik zurück und bewarb sich zum dritten Mal vergeblich um das Präsidentenamt. Brown lag gut im Rennen, bis er vor jüdischem Publikum erklärte, daß er Jesse Jackson als Vizepräsidenten in Erwägung ziehe. Jackson stand wegen seiner Kontakte zu Jassir Arafat und zu Louis Farrakhan, dem Anführer der „Black Muslim“-Bewegung, unter Verdacht, Antisemit zu sein.

Nun ist Brown zurück. Seinen Ruf als integrer Politiker mit ungewöhnlichen Ideen hat er aber behalten. Und wie 1974 scheint er der richtige Mann am richtigen Ort zu sein – einst verkörperte er das Land des ewigen Sonnenscheins, nun einen winzigen Hoffnungsschimmer am Horizont.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

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