© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Der politische Aschermittwoch der EU
Finanzkrise: Stabilisierungsmechanismus und Konkursrecht für Euro-Staaten verhindern, was sie bezwecken – den Bundesstaat Europa
Wilhelm Hankel

Die EU-Planer, Politiker und Repräsentanten werkeln an Konzepten, die aus dem losen Verbund wirtschaftlich verflochtener Staaten einen Bundesstaat à la USA machen sollen. Die Euro-Krise ist ihre Chance und die Hilfe für Pleitestaaten der vertragstechnische Hebel, dieses Ziel zu verwirklichen. Ein dauerhaft mit Kapital und hohen Garantiesummen dotierter Fonds (Europäischer Stabilisierungsmechanismus/ESM) soll den Euro gegen die Attacken profitgieriger Spekulanten immunisieren; Euro-Staaten, die ihren Kredit verspielt haben, sollen über ein Recht auf Umschuldung und geordneten Konkurs der Europäischen Währungsunion (EWU) erhalten bleiben.

Aus der EWU soll eine Transferunion mit Länderfinanzausgleich werden, deren Repräsentanten weder die Kontrolle oder gar den Einspruch von auf ihre nationalen Rechte pochenden Parlamenten oder Verfassungsgerichten zu befürchten haben. Europas politische Eliten hätten ihr langersehntes Ziel erreicht: den alten Kontinent zu einem ebenbürtigen Partner der globalen Großmächte (USA, China) zu machen.

Welch interessante, weil politisch unauffällige Herangehensweise – schade nur, daß sie das Gegenteil bewirkt. Der um hundert und mehr Prozent aufgestockte Stabilisierungsfonds für den Euro ist keiner – denn er beruht auf der fortgesetzten Inflationierung der Euro-Währung: dem Erhalten von Defiziten und dem Drucken frischen Geldes. Zweitens bestärkt der ESM die Euro-Defizitländer in ihrem Weiter-so. Ihre Schulden werden entweder übernommen oder gestrichen. Damit werden die Retter so lange belastet, bis diese daran ersticken. Dann ist der ESM leer, statt einem geordneten Konkurs bleibt nur noch der wilde!

Alles pure Panikmache? Nein, denn die Zahlen dazu könnten alarmierender nicht sein. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat sie erst kürzlich so ganz nebenbei in der FAZ präzisiert: Der Bundeshaushalt würde „nur“ mit maximal 176 Milliarden Euro Haftsumme in Anspruch genommen werden. Hätten die anwesenden Wirtschaftsjournalisten mitgerechnet, wären sie auf zwei Drittel der Jahres-Einnahmen des Bundes gekommen und hätten den Minister fragen können: Wie will der Bund mit dem restlichen Drittel seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen und die grundgesetzliche „Schuldengrenze“ einhalten?

Zeitgleich hat der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, vorgerechnet, daß die Euro-Haftungssumme sogar um gut hundert Prozent darüber liegt. Sie verdoppelt sich auf bis zu 366 Milliarden Euro. Dazu kommen von den Politikern und der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht wahrgenommene (und von ihr auch nicht kommentierte) Kontokorrent-Kredite der Bundesbank an Schwesterinstitute in den defizitären Euroländern im Umfang von bislang 325,6 Milliarden Euro – womit die deutsche Stützungshilfe für den Euro jetzt und in Zukunft die Kleinigkeit von 300 Prozent der Bundeseinnahmen erreicht.

Doch auch diese Leistungsbilanz zum Euro-Erhalt schönt die Wirklichkeit. Sie enthält Luftbuchungen, die sich auch als solche erweisen werden. Zudem werden die Bürger, Rentner und Sparer „kollateral“ über die mit der Euro-Rettung verbundenen Inflationsschäden und Einkommensverluste belastet. Luftbuchungen sind beispielsweise die fragwürdigen Rettungsschirm-Beiträge des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB). Die versprochene IWF-Hilfe von 250 Milliarden Euro widerspricht den eigenen Statuten: Der IWF gewährt Zahlungsbilanzkredite in fremder Währung (Dollar, Sonderziehungsrechte), aber keine Budgethilfen in Landeswährung (Euro) wie im Falle von Griechenland, Irland oder Portugal vorgesehen. Spätestens bei Anweisung der Mittel kommt es zum Schwur.

Der von Frankreich gestellte IWF-Präsident Dominique Strauss-Kahn muß mit dem Veto von IWF-Mitgliedsländern oder seines Justitiars rechnen. Dasselbe gilt für seinen Landsmann Jean-Claude Trichet an der Spitze der EZB. Dessen Aufkäufe von Euro-„Schrottanleihen“ sind ebenfalls vertrags- und statutenwidrig. Das Versprechen, sie später an den ESM weiterzuverkaufen, macht weder den Rechtsbruch ungeschehen noch den eingetretenen Schaden wett. Frankreichs Spitzenmanager in beiden überstaatlichen Finanzierungsinstitutionen haben allerdings im Interesse ihres Heimatlandes und seiner Bankwelt gehandelt – nur nicht in dem Europas.

Was nützt es der EU, den Euro um den Preis seiner Inflationierung zu „retten“ und den Süden der Eurozone vor dem Konkurs zu bewahren, wenn darüber der zahlende Norden selber in die Pleite getrieben wird? Die Vorkämpfer für den Bundesstaat EU sollten einsehen, daß stabile Währungen und intakte Demokratien für die europäischen Völker höhere Werte darstellen als destabilisierende Währungs- oder Transfermechanismen. Der politische Aschermittwoch wäre ein guter Zeitpunkt, solche Wahnideen zu begraben.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und war Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Sein neuestes Buch „Geldherrschaft: Ist unser Wohlstand noch zu retten?“ schrieb er zusammen mit dem US-Ökonomen Robert Isaak.

Foto: Rettungsinstrumentarium der EWU: Euro-Rettung unterminiert Währungsstabilität und Demokratie

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