© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Pankraz,
Mephisto und der Tod des Doktortitels

Ein Titel muß sie erst vertraulich machen“, sagt Mephisto, nachdem ihn Faust gefragt hat, wie er an Margarete, das Objekt seiner Begierde, herankommen kann. Mephisto hat da die näheren Lebensumstände Margaretes schon genau erkundet. „Die da? Sie kam von ihrem Pfaffen, / Der sprach sie aller Sünden frei; /  Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei. / Es ist ein gar unschuldig Ding, / Das eben für nichts zur Beichte ging. / Über die hab’ ich keine Gewalt!“

Der Titel also als sicherstes Mittel der Verführung, des intimen Vertrauen-Schaffens, gerade in Fällen absoluter Integrität und Tugendhaftigkeit, an denen sich der Teufel die Zähne ausbeißt. Und natürlich ist der akademische Doktortitel gemeint, nicht irgendein Adelstitel, auch kein politisches Amt, wie etwa Pressechef oder Minister.

Mit einem Grafen oder Freiherrn wäre die tugendsame, auf Ordnung und Qualität bedachte Margarete beileibe nicht so schnell ins Bett gegangen wie mit Dr. Faust. Denn ein Adelstitel bedeutete auch damals schon keineswegs verbürgten Edelmut der Seele, geschweige denn Solidität und Tüchtigkeit, fast im Gegenteil. Adel stand seit Olims Zeiten eher für Anmaßung und leeres Auftrumpfen, war überkommenes Privileg, das erst einmal auf seine individuelle Tauglichkeit überprüft werden mußte.

Was aber die politischen Titel betrifft, so bedeuteten sie auch zu Margaretes Zeiten fast gar nichts. Zwar klangen sie eindrucksvoller als die heutigen, hießen etwa Geheimrat, Kommerzienrat, Kanzleirat, sie waren jedoch alle von einem bürokratischen Odeur umweht, der eher zur Vorsicht mahnte. Auch wußte man nie, wie der jeweilige „Rat“ zu seinem Titel gekommen war, ob wirkliches Verdienst im Spiele gewesen war oder nur die Laune eines Herrschers.

Von Friedrich dem Großen von Preußen (1712 bis 1786) sind viele Kabinettsordres überliefert, die ein bezeichnendes Licht auf das Rätewesen jener Zeit werfen. Ein reicher Tabakhändler etwa möchte zum Kommissionsrat ernannt werden, und Friedrich entscheidet (in eigenwilliger Orthographie und nicht ohne Humor): „Ich kenne Ihn zu wenig, als das ich Ihm Kommissionen antragen sollte. Passender für Ihn ist der Titel: Tabacksrath, den ich Ihm hierdurch beilege, und Ihm gegen Entrichtung der Gebühren zu führen erlaube.“

Und nun dagegen der akademische Doktortitel! Er bezog seine Attraktivität ja nicht zuletzt aus dem Umstand, daß er dem Eingriff der weltlichen Machthaber weitgehend entzogen war. Er war das Eintrittsbillet zu einer Institution sui generis, mit der sich die Mächtigen arrangieren mußten, weil sie sie existentiell nötig hatten. Und er war von Anfang an mehr als bloßes Diplom oder Baccalaureat, er bezeugte Exzellenz und individuelle Tüchtigkeit, und die das bezeugten, waren Meister der „Wissenschaft“, der Welt des Wissens.

Natürlich weckt solch ein Eingangstor zur Exzellenz vielerlei Begehrlichkeiten, es lädt geradezu ein zu genereller Ausweitung und  Verringerung der Eingangshürden. Dennoch sind sich die Wissenschaftshistoriker einig darüber, daß es den Universitäten in Deutschland über die Zeiten hinweg recht gut gelungen ist, die Standards hoch zu halten, Durchstecherei und Korruption abzuwehren und überhaupt alle Einflüsse von draußen zu minimieren.

Schon die Klosterschulen des frühen Mittelalters, die Vorläufer der Universitäten, waren darum bemüht, nur ein einziges Zulassungs- und Auswahlkriterium hochzuhalten: die natürliche Begabung des Doktoranden, das heißt, sein Ingenium, seine logische Schärfe, seinen Forscher-ehrgeiz und seinen unermüdlichen Fleiß. Es kamen keineswegs nur Sprößlinge der Oberklasse zum Einsatz, sondern es gab von Anfang an ein fein gesponnenes Netz von frühkindlichen Begabungserkundungen nebst anschließenden Stipendien.

Erst die monumentale Gleichmacherei und Verpöbelung der Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert führte zur höchsten Gefährdung des Doktorwesens in Deutschland (und nicht nur dort). Zahllose Massenuniversitäten entstanden, und die dort gewalttätig agierenden „Kulturrevolutionäre“ besorgten den Rest. Alle Qualitätsansprüche wurden bewußt über Bord geworfen.

Kein 68er fragte mehr nach Plagiat oder Originalität. Es gab an den behördlich geduldeten „Gremienuniversitäten“ à la Bremen nur noch „Kollektiv-Doktorarbeiten“ bzw. „kumulative Doktorarbeiten“. Will sagen, die Quasseleien irgendeines „Teach-ins“ wurden gebündelt als Dissertation eingereicht, und jeder Teilnehmer wurde daraufhin anstandslos promoviert. Oder ein einzelner bündelte seine im Lauf der Zeit angefallenen Quasseleien „kumulativ“ zusammen, und auch das ergab dann eine Promotion.

Selbstverständlich ging das nicht lange gut, und da die traditionellen autonomen Universitätsverwaltungen durch die „Kulturrevolution“ zerstört waren, ergriff nun der Staat seine lang ersehnte Chance und verwandelte die Universitäten flächendeckend – die alten wie die neuen „Reformuniversitäten“ – in schlichte Oberschulen, in denen nur noch staatlich und politökonomisch vorgegebener Stoff gepaukt und schließlich via „Bachelor“ und „Master“ zertifiziert wird. Das Ganze heißt bekanntlich „Bolognaprozeß“.

Im Grunde bedeutete das das Ende des klassischen Promotionswesens und das Aus für den Doktortitel. Niemand muß sich mehr nach ihm sehnen. Kein  ehrgeiziger Politiker braucht sich mehr in mühevoller Feierabendarbeit, die doch eigentlich der Familie gewidmet werden sollte, nach ihm abzustrampeln, ja, er muß in Notlagen nicht einmal einen Ghostwriter engagieren.

Aber zwei echte Verlierer gibt es dennoch, erstens die Wissenschaft und zweitens die arme Margarete aus Goethes Drama. Oder doch nicht? Zumindest im Fall der Margarete darf man zweifeln. Margaretes spontanes Zutrauen in die moralische Untadeligkeit akademischer Titelträger wäre heute zwar nachhaltig beschädigt, andererseits würde sie sich aber auch unendliches Leid und bitteren Henkerstod erspart haben.

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