© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Fidels Oldtimertaxis
US-Straßenkreuzer brummen noch heute auf Kuba – ein stiller Sieg des „Klassenfeindes“
Paul Leonhard

Laut dröhnt die Hupe. Der Motor brummt tief. Und reihenweise drehen die Touristen die Köpfe. Die Chevrolet-Limousine ist zwar ein Hingucker, aber gegen das knallrote Buick-Cabrio hat sie keine Chance. Zumal von der breiten Rückbank vier karibische Schönheiten winken: „Auf zum Strand mit dem grünblauen Wasser.“ Und vor den Hotels locken andere zum Wechsel der gerade erst gemieteten Braut: Studebaker, Packard, Mercury und Rambler, sogar ein Cadillac.

Überall in Kuba werden in diesen Tagen die amerikanischen Straßenkreuzer aus den fünfziger Jahren  aus den Verschlägen geholt, wird an Motoren gebastelt und an Karossen geschweißt. Die Lackierer arbeiten Tag und Nacht. Schuld ist die Regierung von Raúl Castro. Die hat Anfang des Jahres den Taximarkt liberalisiert. Wessen Familie ein Auto der großen amerikanischen Hersteller General Motors, Chrysler und Ford ihr eigen nennt, der versucht den Wagen durch die technische Überprüfung zu bringen. Der büffelt, um den Taxiführerschein zu bekommen und steht nach der begehrten Lizenz Schlange.

Die Nutznießer des Taxibooms sind die Touristen. Noch nie hatten sie eine so große Auswahl unter chromblitzenden Oldsmobilen, Desotos, Chevrolets, Pontiacs und Buicks. Auf den zentralen Plätzen Havannas, Santiago de Cubas oder Holguins bieten sich ihre Eigentümer samt Fahrzeugen zu Rundfahrten an. Gierig glitzert der große Haifischgrill eines Buicks, sinnlich lockt die nackte Frau, die als Haubenfigur einen Desoto schmückt, grimmig blicken die Adler und stilisierten Flugzeuge. Wer sich auf ein Gespräch mit den Fahrern einläßt, bekommt meist ein Stück kubanischer Familiengeschichten zu hören. Es sind die Enkel der Eigentümer, die die Oldtimer durch die Städte lenken.

Kuba gilt heute als das weltgrößte Freiluftmuseum für amerikanische Straßenkreuzer. Zehntausende müssen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Förderbänder in Detroit und anderswo verlassen haben, um direkt auf die Zuckerinsel in der Karibik geliefert zu werden. Es war die große Zeit des Automobilbaus, als der technische Fortschritt keine Grenzen zu kennen schien, die Heckflossen immer größer und die Innenausstattung immer luxuriöser wurde.

Nach 14 Jahren – am Neujahrsmorgen 1959 – endet die Moderne auf Kuba mit dem Sieg der Revolutionäre um Fidel Castro. Die USA erklären den Wirtschaftsboykott, und die Straßenkreuzer sind seitdem ein sorgsam behüteter Schatz ihrer Besitzer. Sie dienen als Transportmittel im Stadt- und Überlandverkehr. Ersatzteilmangel ließ die Kubaner zu gewieften Automechanikern werden. Längst brummen in vielen Oldtimern russische oder japanische Motoren. Den Kuba-Besuchern ist das egal. Sie wollen auf den breiten Lederbänken sitzen, die hauchdünnen Lenkräder berühren und staunen, daß es schon damals Automatikgetriebe gab.

Den Wert der Oldtimer für den Tourismus erkannte vor Jahren bereits Fidel Castro, als er die ehrwürdigen Autos zum nationalen Kulturgut erklärte und viele ihrer Besitzer überzeugen konnte, Chevrolet oder Ford gegen einen nagelneuen russischen Lada einzutauschen. Fortan fuhren die Amerikaner, gekennzeichnet mit blauen Nummernschildern, als Taxis Devisen für die kommunistischen Machthaber ein. Die privaten Taxis, erkennbar an gelb unterlegten Kennzeichen, durften nur die eigenen Landsleute transportieren. Zuwiderhandlungen wurden streng bestraft.

Nun ist diese Praxis aufgehoben. Jetzt darf jeder, der über eine Taxilizenz verfügt, Touristen für Devisen transportieren. Seitdem boomt der Markt, werden Preise und Dummheit der Ortsfremden ausgetestet. Und doch kann sich jeder Kuba-Reisende den Traum erfüllen und  ganz legal durch die kolonialen Straßen chauffieren lassen. Der Preis ist Verhandlungssache. In Santiago de Cuba kostet eine Stadtfahrt drei Dollar, eine Fahrt vom Stadtzentrum Holguins zum Flughafen zehn Dollar. Für längere Strecken seien aber Mietwagen empfohlen oder Taxifahrer mit europäischen oder asiatischen Autos.

Foto: Kubanisches Oldtimertaxi: Der wuchtige Kühler gehört zu einem Dodge, einer US-Automarke, die 1928 an die Chrysler-Gruppe verkauft wurde

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