© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

„Unsere Anhängerschaft wächst“
Sie über­flügelt in Meinungsumfragen die Sozialisten und Sarkozy. – Er war Vize-Parteichef und galt bereits als „Kronprinz“, bis er ihr im Januar unterlag. Bruno Gollnisch über Marine Le Pens sagenhaften Aufstieg
Moritz Schwarz

Herr Professor Gollnisch, die jüngste Umfrage zur kommenden Präsidentenwahl in Frankreich sorgte für eine Sensation: Die neue Front-National-Chefin Marine Le Pen überholt Sozialisten und Bürgerliche und geht vor Amtsinhaber Nicolas Sarkozy mit 23 Prozent in Führung.

Gollnisch: Das ist ermutigend und zeigt, daß die Anhängerschaft des Front National wächst, aber es ist lediglich eine Umfrage. Man sollte sich vor übertriebenem Optimismus hüten.

Warum?

Gollnisch: Seit einigen Jahren ist in Frankreich die Tendenz zu beobachten, daß Umfragen die öffentliche Meinung weniger abbilden, sondern sie vielmehr zu lenken versuchen: zum Beispiel, um die Wähler der Gegenseite zu mobilisieren und um unseren Anhängern das Gefühl zu vermitteln, das Spiel sei schon gewonnen und sie bräuchten sich gar nicht an die Urne zu bemühen. Allerdings zeigt die besagte Umfrage, daß die Franzosen die Politik und die Haltung von Nicolas Sarkozy ablehnen, daß die Linke keine Alternativen zu bieten hat und daß insgesamt viel Verwirrung herrscht.

Der „Spiegel“ schreibt, „Marine Le Pen feiert Erfolge, macht die Runde bei Talkshows und TV-Sendungen“, sie sei ein „Phänomen“, ein „Idol“ und habe in Frankreich inzwischen „Kultstatus“ erreicht.

Gollnisch: Marine hat von einer intensiven Medienaufmerksamkeit sehr profitiert, und zweifellos wird sie als weniger „bedrohlich“ wahrgenommen als ihr Vater. Zudem bot sich ihr die Möglichkeit, sich zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen zu äußern, die unsere Landsleute stark beschäftigen, die aber in der Vergangenheit von den Medien unterschlagen wurden, wenn man jemanden vom FN interviewte. Heute heißt es, der FN verführe die Unterschichten – dabei wird vergessen, daß er seit Jahren die erste französische Arbeiterpartei ist!

Sie waren auf dem Nominierungsparteitag im Januar ihr Gegenkandidat um die Nachfolge des Parteivorsitzes. Was kritisieren Sie an Marine Le Pen?

Gollnisch: Es geht nicht um Kritik oder Vorwürfe. Ich war schlicht der Meinung, und bin es immer noch, daß ich der bessere Kandidat sei, sowohl um die Partei zu führen als auch um die nationale Bewegung zusammenzuhalten.

Was würden Sie denn anders machen als Marine Le Pen?

Gollnisch: Zum Beispiel habe ich noch während des parteiinternen Wahlkampfs immer wieder betont, daß man die Parteiführung und die Präsidentschaftskandidatur getrennt voneinander behandeln könnte, wenn es um den Erfolg und die Durchsetzung unserer Ideen geht. Dieser Plan stieß auf einige Begeisterung bei unseren Anhängern.

Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, daß Marine Le Pen die Präsidentenwahl im Mai 2012 tatsächlich gewinnen könnte?

Gollnisch: Man darf nicht die Fähigkeit des Systems unterschätzen, sich selbst und die Posten und Pfründen zu verteidigen, von denen seine Mitglieder profitieren. Wenn der Kandidat des FN in den zweiten Wahlgang kommt, steht zu befürchten, daß die Medien wie 2002 hysterisch gegen ihn agitieren und sich die etablierten Parteien verbünden.

Damals setzte sich Parteichef Jean-Marie Le Pen im ersten Wahlgang überraschend mit knapp 17 Prozent durch und erreichte die Stichwahl gegen Jacques Chirac, für den dann aber auch viele Linke stimmten, um Le Pen zu verhindern.

Gollnisch: Die Geschichte wird sich nicht zwangsläufig wiederholen. Die Franzosen müssen entscheiden, ob sie sich wie 2002 manipulieren lassen und mit einem Wahlergebnis „nach sowjetischem Vorbild“ einen UMP- oder sozialistischen Kandidaten zum Präsidenten wählen, den sie im Grunde gar nicht wollen. Zum Beispiel steht überhaupt nicht fest, ob konservative Wähler im Falle eines zweiten Wahlgangs zwischen Marine Le Pen und einem linken Kandidaten bereit wären, ihre Stimme einem Sozialisten zu geben.

Die „Süddeutsche Zeitung“ prognostiziert für die Wahl: „Sie hat keine Chance.“

Gollnisch: Wie ich schon sagte, die Geschichte wiederholt sich nicht zwangsläufig. Alles wird von der Konstellation im zweiten Wahlgang abhängen und davon, ob es gelingt, uns als glaubwürdige Alternative darzustellen. Das Spiel ist eröffnet. Mögen die Franzosen merken, daß wir nicht nur die richtigen Fragen bezüglich der Zukunft unserer Gesellschaft stellen, sondern auch über tüchtiges, fähiges Personal verfügen, um Regierungsverantwortung wahrzunehmen.

Sie waren Marine Le Pens innerparteilicher Hauptkonkurrent, wie gut ist Ihr Verhältnis zu ihr?

Gollnisch: Wir haben ein gutes Verhältnis. Sie ist die Vorsitzende der Bewegung, in der ich Mitglied bin.

Immerhin sind Sie nach der Niederlage gegen sie von Ihrem bisherigen Posten als Vize-Parteichef zurückgetreten.

Gollnisch: Ihr Angebot, ihr Stellvertreter zu sein, habe ich ausgeschlagen, weil mir schien, daß das der Bewegung keinerlei konkreten Nutzen bringen würde. Aber ich bin Mitglied im „Bureau Politique“ des FN. Und schließlich sind wir Kollegen im Europäischen Parlament.

Das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ spricht davon, Marine Le Pen wolle die Partei „modernisieren“, ihr einen „neuen Look“ verpassen.

Gollnisch: Ich warte immer noch darauf, daß man mir erklärt, was das bedeuten soll – „modernisieren“. Unter dem Vorsitz von Jean-Marie Le Pen hat der FN stets mit den aktuellen Ereignissen und Entwicklungen Schritt gehalten und sie bisweilen sogar eher vorhergesehen als andere. Seine Beurteilungen der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Lage zeugten stets von Weitsicht. Und häufig wußte er innovative Lösungen vorzuschlagen. Als erste französische Partei begriff der FN unter ihm die Bedeutung der neuen Kommunikationsmittel, etwa des Internets, und machte sie sich nutzbar. Zudem bin ich überzeugt, daß die einzige wahre Modernität in der Tradition verwurzelt ist, in Werten und Grundsätzen. Wir sind längst modern, und zwar als einzige.

Was glauben Sie, will Marine Le Pen anders machen?

Gollnisch: Das fragen Sie sie selbst.

Etwa soll sie parteiintern „fundamentalistischen Katholiken“ und „Pétainisten“, wie eine Zeitung schreibt, den Kampf angesagt haben.

Gollnisch: Die Medien und die Pseudo-Politologen haben den FN immer als Karikatur dargestellt. Nun versuchen sie, Spannungen innerhalb der Partei zu erzeugen. Dabei haben bei uns immer – und darin liegt unsere große Stärke – Männer und Frauen aus den verschiedensten sozialen Verhältnissen, aus den unterschiedlichsten politischen, ethnischen und religiösen Umfeldern zusammengearbeitet. Was sie verbindet, ist die Liebe zu Frankreich! Die Personen, um die es in Ihrer Frage geht, haben meiner Meinung nach sehr wohl ihren Platz in diesem großen Ganzen.

Die „Zeit“ spricht von einer „Absage an den Antisemitismus“ der Partei durch Marine Le Pen. Hatte der Front National bisher ein Antisemitismus-Problem?

Gollnisch: Es ist zum Verzweifeln, wenn man immer wieder feststellen muß, welchen Schaden die Medien mit ihren Falschinformationen anrichten. Der FN war zu jeder Zeit eine demokratische Partei, weder rassistisch noch fremdenfeindlich, noch antisemitisch. Weder in dem, was er gesagt, noch in dem, was er getan hat. Mit solchen Begriffen werfen Menschen um sich, die unseren Lagebeurteilungen und unseren Lösungsvorschlägen keinerlei Argumente entgegenzusetzen haben. An die Stelle der Debatte wird Diffamierung gesetzt, das ist schließlich viel einfacher. Diejenigen, die uns Antisemitismus vorwerfen, sind absolut nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Juden in Frankreich.

Das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ meint, Marine Le Pen habe den „radikalen Islam“ als Hauptproblem ausgemacht und gehe deshalb auf „projüdischen“ Kurs.

Gollnisch: Eine nationale Rhetorik richtet sich nicht gegen diese oder jene Religion. Sie ist national! Die Religionszugehörigkeit unserer Mitbürger interessiert uns herzlich wenig, solange diese Frankreich lieben und dessen Gesetze und Bräuche achten. Was wir dagegen bekämpfen, ist die Bildung aggressiver und feindseliger Gemeinschaften, sei es auf religiöser oder ethnischer Grundlage oder auf der Grundlage einer ausländischen Herkunft.

Geert Wilders, die FPÖ oder die deutsche Pro-Bewegung suchen inzwischen die Nähe Israels gegen die Islamisierung Europas. Schließt sich der FN unter Marine Le Pen dem an?

Gollnisch: Europa ist mit echten Gefahren konfrontiert, die seine Identität, seine Kultur, seine Zivilisation, seine demographische Zusammensetzung bedrohen. Eine dieser Gefahren besteht in der massenhaften und ständig wachsenden Präsenz von Einwanderern. Bestimmte Gruppen unter diesen Einwanderern, insbesondere die Muslime, stellen inakzeptable Ansprüche auf Sonderrechte und weigern sich, unsere Gesetze, Bräuche und Sitten anzuerkennen. Diese Menschen müssen das Land verlassen. Freilich glaube ich nicht, daß dies viel mit der Lage im Nahen Osten zu tun hat. Allerdings ist Israel wie früher Jugoslawien ein Beweis dafür, daß eine multikulturelle Gesellschaft zwangsläufig eine Gesellschaft vielfältiger Konflikte ist.

Also, welchen Kurs sollte der FN verfolgen?

Gollnisch: Einen ausgewogenen Kurs,   wir dürfen uns nicht um die Unterstützung der einen Interessengruppe gegen die andere bemühen. Die Chancen einer europäischen Partei der nationalen Rechten können nicht in einem vom Ausland erteilten Ritterschlag liegen. Das Beispiel des Herrn Fini in Italien hat gezeigt, daß so etwas einem höchstens vorübergehende Erfolge verschafft, daß man dabei aber gleichzeitig seine Seele in Kompromissen und Zugeständnissen verspielt und die Glaubwürdigkeit der betreffenden Partei dauerhaft beschädigt. Im übrigen bin ich kein Anhänger des „Kampfs der Kulturen“, wie er George W. Bush so sehr am Herzen lag. Ich will nicht, daß in meinem Land eine multikulturelle Beliebigkeit mit lauter Parallelgesellschaften herrscht – deswegen bin ich aber noch lange kein Anhänger des Heiligen Krieges gegen den Islam, solange er sich nicht bei uns ausbreitet. Schließlich muß man in aller Deutlichkeit festhalten, daß unsere außenpolitische Position eine friedliche Lösung für den Nahen Osten auf der Grundlage eindeutiger  und anerkannter Grenzziehungen und der Souveränität aller Parteien, einschließlich des palästinensischen Volkes, befürwortet.

Ob Neuerungen oder nicht, Ihre Partei wird von Medien und Establishment weiterhin isoliert. Der FN hat also auch in Zukunft keine Chance auf aktive Politik.

Gollnisch: Ist man wirklich isoliert, wenn man Millionen von Wählern hat? Wir sind ja nicht angetreten, um uns ins System zu integrieren oder ein Zweckbündnis mit den etablierten Parteien zu schließen. Vielmehr bekämpfen wir das System und wollen es verändern. Wir wollen dem Verfall Frankreichs ein Ende setzen, seinem Verschwinden im formlosen Magma des Brüsseler Europa, seinem Ruin durch die Globalisierung und die Dominanz der Finanzmärkte. Wir wollen unserem Land seinen Reichtum, seine Unabhängigkeit, seine Identität und den ihm gebührenden Rang im Konzert der Nationen wiedergeben.

 

Prof. Dr. Bruno Gollnisch Im Januar unterlag der stellvertretende Parteichef und „Kronprinz“ (Die Zeit) des Front National der Gegenkandidatin Marine Le Pen in einer Urwahl auf dem Parteitag in Tours im Kampf um den Vorsitz (JF berichtete). Der Rechtsanwalt und zuerst Juraprofessor an der Universität Metz, später für Japanologie in Lyon gilt dennoch als intellektueller Kopf der Partei. Immer wieder bekleidete er Spitzenämter, war Generalsekretär, Erster Delegierter und Parteivize. 2007 führte Gollnisch – seit 1989 Abgeordneter in Straßburg – zudem den Vorsitz der Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ im Europäischen Parlament. Verheiratet ist er mit einer Japanerin, geboren wurde er 1950 bei Paris. Nach der Niederlage gegen Marine Le Pen trat Gollnisch als stellvertretender Vorsitzender zurück, gehört jedoch weiterhin dem „Bureau Politique“ und „Comité Central“, dem Vorstand der Partei (Logo rechts), an.  www.frontnational.com

Foto: Parteichefin Marine Le Pen, jubelnde Anhänger auf dem Parteitag in Tours: „Marine hat von der intensiven Medienaufmerksamkeit enorm profitiert. Nun, das Spiel ist eröffnet“

 

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