© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Dreikampf um die Macht
Sachsen-Anhalt: Die Linkspartei hat sich im Wahlkampf zu einem entscheidenden Faktor für die Regierungsbildung entwickelt
Christian Dorn

Die Zeit, da die CDU auf Geheiß des damaligen Generalsekretärs Peter Hinze „rote Socken“ aufhängen wollte, ist längst vorbei. Seit der erste sozialdemokratische Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, 1998 seine Minderheitsregierung mit dem „Magdeburger Modell“ von der PDS tolerieren ließ, ist die heutige Linkspartei im parlamentarischen System der Bundesrepublik endgültig angekommen.

Gerade auch in Sachsen-Anhalt. So lagen hier die Postkommunisten bei der Landtagswahl 2006 mit 24,1 Prozent bereits knapp drei Prozent vor den Sozialdemokraten. Verloren hatte damals aber vor allem das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, betrug doch die Wahlbeteiligung nur 44 Prozent. Diesmal, so die jüngste Sonntagsfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, scheint es noch schlimmer zu kommen: Die Demoskopen erwarten, daß der Wert auf 38 Prozent absinkt, denn beinahe zwei Drittel aller Wähler (62 Prozent) gaben bei der Umfrage an, daß sie sich wenig oder gar nicht für die Landtagswahl am Sonntag interessieren.

Pessimisten sehen darin einen weiteren „Sargnagel für das Vertrauen in die Demokratie“. So hat denn auch die CDU, deren Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (75) aufgrund seines Alters nicht wieder antreten wird, als neue Parole die Losung „Nie wieder rote Laterne“ ausgegeben. Doch diese trägt das von einer Großen Koalition geführte Sachsen-Anhalt auch in anderer Hinsicht. So wirbt es seit Jahren mit dem – für viele Menschen zynisch klingenden – Motto „Wir stehen früher auf“. Schließlich ist dieses Untersuchungsergebnis nicht zuletzt den zahllosen Berufspendlern geschuldet, die in die angrenzenden Bundesländer fahren müssen, weil sie zu Hause keine Arbeit finden. Das Ausbluten des Landes hält insbesondere die NPD den etablierten Parteien vor (JF 11/11), wenngleich mit offenbar deutlich überhöhten Zahlen. Doch auch die realen Werte sind alarmierend genug: So haben im zuletzt verifizierten Jahr 2009 unter dem Strich 12.360 Menschen ihrer Heimat den Rücken gekehrt, statistisch sind dies – aufgrund viel geringeren Zuzugs – etwa 34 Auswanderer pro Tag.

Nach der aktuellen Wahlprognose käme die CDU noch auf 33 Prozent (2006: 36,2 Prozent). Der Spitzenkandidat der Union, Wirtschaftsminister Reiner Haseloff, könnte allerdings noch schlechter abschneiden. Als bürokratischer Typ ist er weit entfernt von der Figur des Landesvaters Böhmer. Auch fehlt ihm der Amtsbonus. Dementsprechend dürfte die auf Harmonie angelegte Große Koalition, die auf einen harten Wahlkampf verzichtet, ihre Arbeit nach der Wahl fortsetzen. Sicher ist diese Option allerdings noch nicht. Denn ausgehend von der erneuten Kernkraft-Debatte nach der Flutwelle und dem Reaktorunglück in Japan könnte es sein, daß die Grünen nicht nur wieder in den Landtag einziehen (2006: 3,6 Prozent), sondern ihre aktuelle Prognose von 5,5 Prozent deutlich übertreffen. Bei einem Ergebnis oberhalb von sieben Prozent, so munkeln Insider des politischen Betriebs, könnte es gut sein, daß die SPD-Führung um Sigmar Gabriel ihrem Spitzenkandiaten Jens Bullerjahn, derzeit Finanzminister Sachsen-Anhalts, aufträgt, als Ministerpräsident eine rot-rot-grüne Koalition anzustreben. Ein Wortbruch wäre dies nicht. Schließlich hat die SPD bislang lediglich betont, daß sie keinen Ministerpräsidenten der Linkspartei unterstützen würde. Als Juniorpartner der Sozialdemokraten haben die Linken um ihren Spitzenkandidaten Wulf Gallert also noch eine reele Chance. Das größte Fragezeichen steht derweil hinter den Freidemokraten. Diese kamen bei der letzten Wahl noch auf 6,7 Prozent, diesmal – so die Infratest-Umfrage – würden sie mit einem halben Punkt an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Anders dagegen die NPD, die sich berechtigte Chancen für den erstmaligen Landtagseinzug ausrechnet. Seit den letzten Umfragen liegt sie kontinuierlich um fünf Prozent, was – allen Erfahrungen nach – einen noch deutlich höheren Prozentsatz am Wahlabend vermuten läßt.

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