© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Die Schuldenkönigin und der Atomminister
Nordrhein-Westfalen: Nach dem Urteil zum Nachtragshaushalt könnten sich Hannelore Kraft und Norbert Röttgen bald im Wahlkampf gegenüberstehen
Ansgar Lange

Der Nachtragshaushalt der rot-grünen Minderheitsregierung in Nord-rhein-Westfalen ist verfassungswidrig. Die Verfassungsrichter aus Münster haben mit ihrer Entscheidung vom Dienstag der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine schwere Niederlage zugefügt, CDU und FPD gehen vorerst als Sieger vom Platz. Auch eine vermeintliche Politik des „vorsorgenden Sozialstaats“ muß sich an gesetzliche Vorgaben halten, so kann man das Urteil lesen. Regelungen des Nachtragshaushalts verstoßen nach den Worten des Präsidenten des Landesverfassungsgerichts, Michael Bertrams, gegen die Landesverfassung und seien damit nichtig.

Der CDU-Landesvorsitzende Norbert Röttgen, der in Fragen von E10 und der Atompolitik in der Defensive ist, durfte am Dienstag jedenfalls jubilieren. Mit seinem Urteil habe das Gericht die „massive Verletzung der Interessen unserer Kinder und Enkelkinder durch die Schuldenpolitik von Frau Kraft für verfassungswidrig erklärt“. Damit sei die Landesregierung des Verfassungsbruchs überführt. „Frau Kraft hat als erste Regierungschefin Verschuldung ausdrücklich zu ihrem Regierungsprinzip erklärt. Diesen Politikansatz muß sie nun aufgeben“, sagte Röttgen. Er erwarte von Rot-Grün nun unverzüglich einen verfassungsgemäßen Haushalt für 2011.

Viele Beobachter interessiert aber noch mehr, ob das Land auf Neuwahlen zusteuert. Die formalen Hürden sind niedrig. Wenn sich die Mehrheit der Mitglieder des Düsseldorfer Landtags für die Auflösung des Parlamentes entscheidet, wird spätestens nach 60 Tagen gewählt. Doch will keiner mehr so recht Neuwahlen, abgesehen davon, daß sich dadurch an der Sachlage nichts ändern würde. Auch eine neue Landesregierung wäre angehalten, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Bisher haben FDP und CDU noch nicht verraten, wo sie denn konkret sparen würden, wenn es tatsächlich für eine Mehrheit reichen sollte.

Und ob die SPD-Spitzenfrau die Kraft fände, mit einer neuen rot-grünen Landesregierung, die nicht mehr auf die Duldung der Linken angewiesen wäre, einen strikten Sparkurs zu fahren, glaubt keiner. Denn das hieße, daß sie ihre zentralen Wahlversprechen einkassieren müßte: „Wir verschulden uns jetzt massiv, damit es auch unseren Kindern und Enkeln noch gut geht.“ Die Ereignisse in Japan und die neu entflammte Debatte über die Kernenergie machen den Ausgang von möglichen Neuwahlen überdies völlig unkalkulierbar. Hannelore Kraft würde als „Schuldenkönigin“ gegen einen „Atomminister“ Röttgen in die offene Feldschlacht ziehen. Eine Aussicht, die die Strategen in den Parteizentralen nicht gerade optimistisch stimmen dürfte. Außerdem nehmen viele Röttgen nicht ab, daß er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde. Anders als die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz, die ihren Berliner Posten als Staatssekretärin für Mainz aufgab, wird der karrierebewußte Minister wohl nicht alles auf eine Karte setzen.

Erfolge der jetzigen Landesregierung muß man mit der Lupe suchen. Sylvia Löhrmann von den Grünen ist es nicht gelungen, mit ihrer ideologisch angehauchten Schulpolitik für eine Aufbruchstimmung zu sorgen. Und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr, Harry Voigtsberger (SPD), sagt mancher nach, daß er für Termine nach 18 Uhr und an Wochenenden nur sehr schwer zu begeistern sei. „Die 250 Leute aus dem alten Wirtschaftsministerium fühlen sich wie im Vorruhestand, spottet ein altgedienter Ministerialer“, berichtet die Neue Westfälische aus Bielefeld.

Die CDU wiederum räumt mit atemberaubendem Tempo traditionelle Positionen in der Schulpolitik: Sie rückt  von der Hauptschule ab und lobt die einst verbissen bekämpfte Gesamtschule über den grünen Klee. Eigene Vorstellungen zur Wirtschaftspolitik oder einen Gegenentwurf zur „Politik des Schuldenmachens“ unter Rot-Grün sind der Parteivorsitzende Röttgen, sein Generalsekretär Oliver Wittke und der Fraktionschef Karl-Josef Laumann bisher schuldig geblieben.

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