© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Siegesfeier vor dem Kanzleramt
Marcus Schmidt

Am Montagnachmittag flatterten im Regierungsviertel die gelb-roten Fahnen der Atomkraftgegner im Berliner Vorfrühlingswind. Als sich mehrere hundert Demonstranten unter den Rufen „Abschalten“ vor dem Kanzleramt sammelten, da war die erste Schlacht allerdings bereits geschlagen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der Hauptstadtpresse zuvor überraschend das Moratorium für die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke verkündet, das Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nun auf den Nachrichtenkanälen wortreich erklärte.

Die Demonstration vor dem Kanzleramt, mit der weiter politischer Druck aufgebaut werden sollte, geriet unversehens zu einer kleinen Siegesfeier. Die zunächst kämpferische Stimmung drohte zeitweise ins Ausgelassene zu kippen.Auch Grünen-Chefin Claudia Roth, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der Chef der Linksfraktion, Gregor Gysi, waren vor das Kanzleramt gezogen, um rechtzeitig für die Abendnachrichten vor Transparenten mit Aufschriften wie „Solidarität mit Japan – Ausstieg jetzt“ die passenden Fernsehbilder zu liefern.

Doch der Erdrutsch, der die bisherige Atompolitik der schwarz-gelben Koalition unter sich begrub, hatte bereits am Wochenende begonnen, als vor allem Politiker der Grünen die sich abzeichnenden Probleme in dem japanischen Kernkraftwerk Fukushima nutzten, um von Berlin aus die Debatte um die Laufzeitverlängerung neu anzuheizen. Etwa zur selben Stunde, als am Sonnabend in Hamburg der bereits angelaufene Druck des Spiegel gestoppt wurde, um die Titelgeschichte über die Erdbebenkatastrophe in Japan durch eine Geschichte über „Das Ende des Atomzeitalters“ zu ersetzen, lief die Führungsriege der Grünen zu Hochform auf. Claudia Roth und Cem Özdemir bezeichneten die nach Ansicht von Experten realistische Einschätzung von Umweltminister Röttgen, bei einem Gau in Japan drohe den Menschen in Deutschland keine Gefahr, als  „vorschnell und unüberlegt“. Seine Behauptung, die Atomkraftwerke in Deutschland seien sicher, sei unhaltbar.

Diese und ähnliche Äußerungen, die über alle Kanäle verbreitetet wurden, gingen in Verbindung mit den dramatischen Fernsehbildern aus Fukushima schnell eine explosive innenpolitische Mischung ein, die Merkel am Montag mit dem hastig verkündeten Moratorium zu entschärfen versuchte.

Innerhalb der völlig überraschten Union regte sich zunächst nur sehr zögerlich Widerspruch gegen ihren Kurs. „Ich bin nicht bereit, ohne Grund unser Energiekonzept aufzugeben“, sagte etwa Fraktionsvize Christian Ruck der Rheinischen Post. „Das Energiekonzept beruht darauf, daß wir die Atomenergie als Brückentechnologie noch eine längere Zeit brauchen, um die erneuerbaren Energien hochzufahren“, sagte der für Reaktorsicherheit zuständige Fraktionsvize. Doch Ruck war einer der wenigen, der sich aus der Deckung wagte. Längst hatte sich der anfängliche Wind zum Sturm entwickelt, der die Fahnen der Anti-Atombewegung im Regierungsviertel um so lebhafter wehen ließ.

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