© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

„Nazi-Halle“ droht die Spitzhacke
Schleswig-Holstein: Weil Hitler den Grundstein legte, soll ein Jugendzentrum abgerissen werden
Hans-Joachim von Leesen

An der Nordseeküste überragt seit 75 Jahren ein Gebäude die Bauernhöfe in der flachen Landschaft Dithmarschens. Es ist die aus rotem Backstein errichtete Neulandhalle. 1971 wurde sie von der evangelischen Kirche erworben und für mehr als zwei Millionen D-Mark zu einer Stätte für Jugendarbeit umgebaut. Damit dürfte es bald vorbei sein. Der zuständige Propst Andreas Crystall verkündete nun, die Kirche, die selbst aus finanziellen Gründen nicht länger in der Lage ist, das Heim zu unterhalten, werde es abreißen lassen, wenn sich nicht bis zum Sommer eine Trägergesellschaft findet, die garantiert, daß dort niemals eine „Pilgerstätte für Neonazis“ entsteht. Die Neulandhalle liegt nämlich inmitten des Dieksanderkooges, der bis 1945 Adolf-Hitler-Koog hieß.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bestanden Pläne, an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste Land zu gewinnen, doch kam die Verwirklichung nicht recht voran. Erst die Nationalsozialisten setzten dann diese Pläne um. Der schleswig-holsteinische Oberpräsident, Gauleiter Hinrich Lohse, bezog das deichreife Gebiet in der Dieksander Bucht in seinen „Generalplan für die Landgewinnung in Schleswig-Holstein“ ein. Es diente als willkommene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Daher verzichtete man weitgehend auf Großmaschinen bei der Urbarmachung und griff auf Arbeitslose aus Dithmarschen sowie aus dem nahen Hamburg zurück. So fanden 1.700 Menschen Arbeit und schufen überwiegend in Handarbeit 1.333 Hektar neues Land, auf dem 63 Bauernstellen, 20 Deich- und Landarbeiterstellen, vier Handwerkerstellen und eine Gastwirtschaft entstanden.

Dithmarscher Nationalsozialisten baten Hitler um die Genehmigung, den Koog nach ihm zu benennen. Hitler willigte ein, und kam am 29. August 1935 zur Einweihung. Er legte auch den Grundstein für den Bau einer Halle als Versammlungs- und Freizeithaus für die neuen Bewohner, die nach der Fertigstellung den Namen „Neulandhalle“ erhielt.

Dies könnte dem Bau nun zum Verhängnis werden. Propst Crystall fürchtet jetzt, daß die evangelische Kirche das Gebäude aus finanziellen aufgeben muß, daß „Neonazis“ sich der Halle bemächtigen könnten, um sie zur Weihestätte umzuwandeln. Wohl in Anlehnung an die Stadtväter von Passau, denen vor Jahren nichts anderes einfiel, als die Nibelungenhalle abzureißen, um zu verhindern, daß dort weiterhin alljährlich eine Großkundgebung der Deutschen Volksunion abgehalten wird, kündigte der Gottesmann an, im Sommer die Neulandhalle, die baulich übrigens in tadellosem Zustand ist, abreißen zu lassen, wenn sich kein Käufer findet, der dafür garantiert, daß sie niemals in die Hände von „Neonazis“ fällt. Die Abrißgenehmigung wurde bereits erteilt. Mittlerweile haben Anwohner eine Interessengemeinschaft gegründet, die sich für den Erhalt des Gebäudes als Gedenkstätte einsetzt. Die Halle sei mit ihrer Geschichte einmalig an der gesamten Westküste Schleswig-Holsteins.

Nicht geklärt ist übrigens, wo die Glocke geblieben ist, die bis zum Einmarsch der britischen Sieger 1945 in einem kleinen Holzturm  neben der Halle hing. Sie, die am Rande die Inschrift „Blut und Boden sind die Grundlagen des deutschen Staates“ trägt, wurde in einem Handstreich von Einheimischen rechtzeitig in Sicherheit gebracht und ist seitdem verschwunden.

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