© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Die Nerven der Linken liegen blank
Frankreich: Die neue Chefin des Front National, Marine Le Pen, bestimmt die politische Agenda / Umfragehoch setzt Gegner unter Druck
Friedrich-Thorsten Müller

Anfang März ermittelte das Meinungsforschungsinstitut „Harris Interactive“ für die Tageszeitung Le Parisien Umfrageergebnisse, die Marine Le Pen auf Platz eins im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2012 sehen. Seit dieser Umfrage ist das politische Frankreich, insbesondere da am 20. März Kantonalwahlen anstehen, in heller Aufregung. Weitere Demoskopen haben diese Momentaufnahme zumindest teilweise bestätigt. Eine der Umfragen hält gar das Scheitern des amtierenden Präsidenten im ersten Wahlgang für möglich. Der Einzug der neu gewählten Chefin des Front National (JF 4/11) im kommenden Jahr in die Stichwahl wird damit in Paris immer mehr als realistische Option gehandelt.

Entsprechend liegen in Frankreichs Politbetrieb die Nerven blank. So forderte unter dem Eindruck dieser Umfrageergebnisse die Abgeordnete der Regierungspartei UMP, Chantal Brunel, „die Mittelmeerflüchtlinge mit ihren Booten wieder aufs offene Meer hinauszutreiben“ und erklärte, daß es nicht Le Pen sei, die politische Lösungen anzubieten habe. Gleichzeitig trägt der UMP-Abgeordnete Christian Vanneste dem offenkundigen Erstarken des FN Rechnung und spricht sich für Wahlabsprachen zur Kantonalwahl aus. Er handelte sich damit gleichwohl einen strengen Rüffel von Präsident Nicolas Sarkozy ein, der seinen Anhängern für den Fall solcher Absprachen, zumindest für den ersten Wahlgang, mit Parteiausschluß drohte.

Auch die politische Linke ist nervös: Der frühere Parteichef der Sozialisten, François Hollande, rief unter dem Eindruck der Umfrageergebnisse für die Kantonalwahl zum Schulterschluß „der gesamten Linken“ auf. Jean-Luc Mélenchon, Chef der kommunistischen Linksfront, beschimpfte Marine Le Pen dazu gleich noch als „Faschistin“, womit er sich allerdings eine Strafanzeige der streitbaren Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen einhandelte. Der französische Fernsehjournalist Charles Villeneuve sprach von Marine Le Pen darüber hinaus als einem „Goebbels im Rock“.

Mit Abstand am kuriosesten ist aber die ernstgemeinte Anregung der Sozialisten, künftig Meinungsumfragen durch „Qualitätsanforderungen“ zu reglementieren. Eine Forderung, der sich auch das Neue Zentrum des Abgeordneten François Sauvadet angeschlossen hat. Diese Idee war gleichwohl nur so lange interessant, wie das gute Ergebnis für Le Pen nur der „Ausreißer“ einer einzelnen Umfrage zu sein schien.

Unterdessen treibt Marine Le Pen, die von den französischen Medien weitaus weniger geschnitten wird, als dies bei rechten Politikern in Deutschland üblich ist, das politische Establishment mit ihren Themen vor sich her. Immer einflußreichere rechte Internetblogs, wie FdeSouche, verstärken ein Stimmungsbild in Frankreich, das die Ausgrenzung des FN „mit der Nazikeule“ immer schwieriger macht.

Selbst der französisch-jüdische Radiosender Radio J wollte Marine Le Pen in diesen Tagen zu einem Interview einladen. Erst unter dem Druck einzelner jüdischer Aktivisten – unter anderem von der Union jüdischer Studenten Frankreichs (UEJF) – zog man es dann doch vor, sie wieder auszuladen. Doch selbst diese zurückgezogene Einladung ist als ein starkes Signal zu werten, hatte Marine Le Pen die Absage an den Antisemitismus ihres Vaters und Parteigründers doch im Januar zu einem wichtigen Thema ihres Vorsitzes gemacht.

Ferner setzt Marine Le Pen die Regierung insbesondere mit dem Thema „Immigration“ unter Druck, das aktuell durch eine steigende Zahl von Wirtschaftsflüchtlingen aus Nordafrika in der Bevölkerung große Besorgnis erregt. Wie sie der Öffentlichkeit kundtat, wurden ihr kürzlich von einem „hohen patriotischen Beamten wahre Zahlen“ über die aktuelle Einwanderung nach Frankreich zugespielt, mit denen sie Sarkozy das Scheitern seiner Ausländerpolitik nachzuweisen versucht. In diesem Kontext unternahm sie Anfang der Woche eine  medienwirksame Reise zur italienischen Flüchtlingsinsel Lampedusa.

Doch auch die Linke bleibt von den Aktivitäten der umtriebigen FN-Chefin nicht verschont: So kündigte sie gegenüber dem Radiosender Europe 1 an, das alte FN-Projekt einer eigenen Gewerkschaft, mit dem Ziel der Bevorzugung Einheimischer bei der Einstellung, zum Abschluß zu bringen. Das „sektiererische Verhalten“ der bisher führenden Gewerkschaft CGT würde ihr diesbezüglich einen „großen Dienst“ erweisen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen