© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Klassenkampf gegen die Bauern
Wirtschaftsgeschichte: Die Zwangskollektivierung wurde in der DDR ohne Rücksicht auf Verluste umgesetzt – ihre Folgen wirken bis heute
Klaus Peter Krause

Wie kam es zur Zwangskollektivierung in der DDR-Landwirtschaft? Wie lief sie ab? Welche Folgen hatte sie? Und welche hat sie noch immer? Antworten darauf finden sich in dem Buch „Klassenkampf gegen die Bauern – Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute“. Es dokumentiert und analysiert das Geschehen in elf Beiträgen verschiedener Autoren.

Der erste Schritt zur Kollektivierung wurde ab Herbst 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vollzogen: Die „demokratische Bodenreform“ war eine politische Verfolgung – „Klassenkampf“ gegen die „Junker“ und alle Großlandwirte mit hundert Hektar und darüber. Alle Betroffenen wurden verhaftet, verschleppt oder zu Tode gebracht – es sei denn, sie konnten sich diesem Schicksal Hals über Kopf durch Flucht entziehen. Sie alle wurden auch entschädigungslos von allem enteignet.

Schon 1947/48 wurden Betriebe mit über 20 Hektar ins Visier genommen, um die „Großbauern“ ebenfalls auszuschalten. Dies bereitete den zweiten Schritt zur sozialistischen Landwirtschaft vor: die Kollektivierung schließlich sämtlicher Bauern, die zunächst allerdings nachdrücklich dementiert worden war. Im Juli 1952 ließ die DDR-Führung dann ihre Maske fallen: Auf der II. Parteikonferenz der SED erklärte Generalsekretär Walter Ulbricht die Kollektivierung zum Staatsziel. Daraufhin wurden die Bauern samt ihren Flächen in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) gepreßt, also die bäuerlichen Betriebe aufgelöst und deren Familien damit faktisch enteignet.

Einen in dieser Kürze guten Überblick über die Vorgehensweise und das Geschehen bis zum Mauerbau 1961 gibt der Historiker Jens Schöne. Wie sehr sich die Bauern zur Wehr gesetzt haben und daß 1953 der Aufstand gegen die DDR-Machthaber an erster Stelle von der Landbevölkerung ausging, ist wenig bekannt, findet bei Schöne aber die notwendige historische Würdigung. Vertiefend dargestellt werden die Methoden der Kollektivierung von dem Soziologen Falco Werkentin.

Im engen Zusammenhang mit dem Auflehnen gegen die Zwangskollektivierung steht der Beitrag des Historikers Udo Grashoff (Universität Leipzig) über die bäuerlichen Selbstmorde als verzweifelte Reaktion auf die Ausweglosigkeit, dieser Kollektivierung zu entrinnen. Genaue Zahlen darüber, wie viele sich  umgebracht haben, gibt es zwar nicht, aber die Indizien sprechen dafür, wie Grashoff schreibt, daß es mehrere hundert Bauern waren, die sich das Leben nahmen, weil sie ihre Höfe verloren.

Die „Vollkollektivierung“ der DDR-Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild verkündete SED-Parteichef Walter Ulbricht am 25. April 1960. Rund 850.000 Bauern waren bis dahin mit ihrem Agrar- und Forstland in die LPG-Kollektive gepreßt worden. Wirtschaftlich, sozial, kulturell und für das Landschaftsbild wurde damit eine Veränderung in Gang gesetzt, die katastrophale Folgen hatte und immer noch hat. Mit diesen bis in die Gegenwart weitreichenden Folgen befaßt sich der Privatdozent und Landwirt Jörg Gerke in seinem Beitrag über die Auswirkungen der DDR-Agrarstrukturen auf Landwirtschaft und ländliche Regionen in Ostdeutschland nach 1990. Hier prangert er unter anderem die Subventionierung der agrarischen Großbetriebe an. Es sind umgewandelte LPG, die sich die einstigen DDR-Agrarkader angeeignet haben. Ausführlich hat Gerke das auch schon in seinem Buch „Nehmt und euch wird gegeben“ getan (JF 37/09).

Der Geograph Helmut Klüter (Universität Greifswald) stellt die wirtschaftlich und sozial schädliche Großbetriebsstruktur der mitteldeutschen Landwirtschaft heraus, besonders die in Mecklenburg-Vorpommern. Hier gleiche die Besitzstruktur einer spätfeudalen umgestülpten Pyramide. Für die regionale Wirtschaft sei sie schädlich. Die hohen betriebswirtschaftlichen Gewinnmargen hätten wenig mit landwirtschaftlicher Produktivität, um so mehr aber mit erfolgreicher Lobbyarbeit, Bevorzugung mit Agrarflächen durch die staatliche Flächenverwaltung BVVG und Subventionierungseffekten zu tun. Die großbetriebliche Monostruktur sei außerstande, in den ländlichen Raum ausreichendes Wachstum zu tragen.

Daniela Münkel schildert den Abschluß der Kollektivierung im Spiegel der Stasi-Berichte an die SED-Führung. Sie ist Projektleiterin beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin. Der Biologe Hans Dieter Knapp beschreibt die Auswirkungen der Kollektivierung auf mitteldeutsche Kulturlandschaften. Die agrarische Kulturlandschaft sei zum agrar-industriellen Produktionsraum geworden. Der Sozialwissenschaftler Uwe Bastian befaßt sich mit den Folgen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes von 1991/92 am Beispiel des Peenelandes.

Jörg Gerke konstatiert, die große Mehrheit der mitteldeutschen Landbevölkerung gehöre nach der Wiedervereinigung anders als die DDR-Agrarkader zu den Verlierern. Rund 1,5 Millionen Betroffene und Familienangehörige seien rechtswidrig um ihre Vermögensteile an der LPG zugunsten einer kleinen Minderheit gebracht worden. Mehrere zehntausend wiedergründungswillige Bauern hätten keine Betriebe oder nur Nebenerwerbsbetriebe aufbauen können, weil ihnen der Zugang zu den Flächen verwehrt worden sei. Bastian schreibt, daß heute über 1.600 Agrarunternehmen überwiegend den einstigen SED-Kadern gehören: „In der Geschichte Deutschlands gab es noch nie einen derartigen Großgrundbesitz.“

Michael Beleites u.a. (Hrsg.): Klassenkampf gegen die Bauern. Metropol-Verlag, Berlin 2010, broschiert, 167 Seiten, 16 Euro

Foto: Zwei Gesichter der DDR-Zwangskollektivierung: Mit Parolen wird die Vertreibung der „Junker“ gefeiert

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