© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Hans-Christof Kraus hat in der Historischen Zeitschrift (Oldenbourg Verlag) einen langen Aufsatz über die Geschichte der Idee des „Geheimen Deutschland“ veröffentlicht, der noch einmal von der Frage ausgeht, mit welchen Worten der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg gefallen ist. Interessanterweise widerspricht Kraus dem weitgehenden Konsens, daß Stauffenberg vor der Erschießung „Es lebe unser heiliges Deutschland!“ gerufen habe und nimmt Bezug auf Argumente, die für die früher schon erwogene Formel „heimliches“ oder „geheimes Deutschland“ sprechen. Eine letzte Klärung ist nicht mehr möglich, aber Kraus entwickelt eine beeindruckende Genese der dahinterstehenden Vorstellung, die, obwohl niemals massenwirksam, doch im Ästhetischen und Politischen etwas war wie die deutsche Utopie des 20. Jahrhunderts.

Eine „Stammeskunde“ der Deutschen kann man nicht mehr schreiben. Es gibt zwar noch Folklorereste, Regionen mit Eigencharakter, Dialekte, die auch in der Metropole gesprochen werden, aber selbst die ländlichen Gebiete hat der große Wandel erfaßt. Das gilt sogar für die kleinen Städte des Südwestens, die lange ein besonderes Gepräge bewahrt hatten. Die Veränderung vollzieht sich ebenso schnell wie unauffällig: Vom letzten Jahr her hat der Besitzer der Gaststätte mit Schlachterei gewechselt, die Einrichtung ist jetzt stylish, die Hintergrundmusik auch, der neue Inhaber trägt einen griechischen Namen, serviert wird von einer freundlichen jungen Türkin. Die Maultaschen sind übrigens nach wie vor ausgezeichnet.

Stauffenbergs Sarg steht nirgends, man kann nicht zu ihm wallfahren. Immerhin hat man ihm und seinen Brüdern im Alten Schloß zu Stuttgart eine Gedenkstätte errichtet. Der Raum ist fast leer, es gibt nur wenige Gegenstände, die die Beschlagnahme durch die Gestapo und dann die Wirren des Kriegsendes überstanden haben. Dazu gehört Stauffenbergs Ehrensäbel, der ihm als Bestem seines Offizierslehrgangs verliehen wurde. Er war offenbar von sowjetischen Soldaten als Beute nach Moskau gebracht und dann Mielke übergeben worden, der ihn aus ungeklärten Gründen an Herbert Mies weiterreichte, den Vorsitzenden der DKP; erst 1997 kam das „Schwert des geheimen Deutschlands“ an die Witwe Stauffenbergs zurück. Außerdem gibt es noch eine Bratsche, auf der Stauffenberg gespielt hat. Es handelt sich um das erste Exponat des Gedenkraums, und wenn man sich ihm nähert, ertönt Musik des Instruments, Teil einer Klangcollage, zu der am Schluß auch der Vortrag jener „Sprüche an die Toten“ von George gehört, die mit der Zeile „Wenn einst dies Geschlecht sich gereinigt von Schande“ beginnt. Die Aufsicht sagte, ältere Besucher bäten manchmal, den Ton abzustellen.

Entfremdung: Ich kann mich nicht daran gewöhnen, daß Menschen, um ihre Schuhe zu schnüren, den Fuß auf jede verfügbare Fläche – bevorzugt Sitzfläche – stellen, anstatt sich zu bücken, so wenig wie mir das Nichtgrüßen der Jungen oder die Neigung behagt, eine Tür schlängelnd zu passieren, um sie niemandem aufhalten zu müssen. Solche Ungezogenheit löst sogar stärkere Irritation aus als das Vorhandensein von Biochemikern, die alles mögliche „wahnsinnig spannend“ oder von Germanisten, die irgend etwas „supertoll“ finden oder von Zeitgenossen, die es im Ernst als Einwand betrachten, wenn sie auf mangelnde „politische Korrektheit“ eines Arguments hinweisen.

„Das Vaterland wartet immer!“ (Hans Karl von Rohr)

Der antikommunistische Widerstand der Nachkriegszeit gehört auch zu den blinden Flecken des historischen Bewußtseins. Soweit das Thema nicht überhaupt ignoriert wird, beurteilt man es mit einer Mischung aus Irritation und Mißbilligung. Das gilt in besonderem Maß für die Aktionen, die von der Bundesrepublik beziehungsweise West-Berlin ausgingen und gegen die DDR beziehungsweise die sowjetische Besatzungsmacht gerichtet waren. Nimmt man nur die Tunnelbauer und jene, die Anschläge auf die Mauer verübten, kann die Zahl Anfang der sechziger Jahre nicht ganz klein gewesen sein, und die Klärung ihrer Motive wäre sicher aufschlußreich. Gelegentlich findet man den einen oder anderen Hinweis: etwa auf den Studenten Hans-Jürgen Bischoff, der 1963 beim Hantieren mit Ammongelit in seiner Berliner Wohnung am Hohenzollerndamm ums Leben kam. Er hatte offenbar vor, einen Sprengsatz zu bauen und an der Mauer zu zünden. Die Polizei versuchte seine Motive zu klären, vermutete einen „neonazistischen Hintergrund“, stieß aber bei ihren Ermittlungen auf den Entwurf eines „Deutschen Manifests“, in dem die Jugend zur Erhebung gegen ihre Unterdrücker aufgerufen wurde, auf Verbindungen zu Südtiroler Autonomisten – und auf ein Bild Stauffenbergs, das an der Wand in Bischoffs Wohnung gehangen hatte.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 1. April in der JF-Ausgabe 14/11.

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