© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Midas’ Hütte, Danaes Reich
Deutsche Oper Berlin: Kirsten Harms inszeniert als letztes Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“
Jens Knorr

Die Kieler Wochen an der Deutschen Oper Berlin gehen ihrem Ende entgegen. Nach sieben Jahren verabschiedet sich Kirsten Harms mit der Neuauflage einer jener Inszenierungen, mit denen sie der Kieler Oper überregionale und die Aufmerksamkeit des damaligen Berliner Kultursenators Thomas Flierl verschaffte, der ihr die Intendanz des West-Berliner Hauses antrug, eine kardinale Fehlentscheidung, sowohl für das Haus als auch für Harms.

Als Intendantin und Regisseurin mußte sie in ihrem Versuch scheitern, ein dem Vernehmen nach für Kieler Verhältnisse stimmiges Konzept in vergrößertem Maßstab auf Berliner Opernverhältnisse zu übertragen. Als Regisseurin hat sich die im Selbstverständnis „weltweit zu den bekanntesten Opernregisseurinnen“ zählende nicht in die Berliner Theatergeschichte einschreiben können. Als Intendantin zumindest 2006 mit Absetzung und Wiederansetzung von Mozarts „Idomeneo“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels – die Absetzung nach einer vom Berliner Innensenator herbeihalluzinierten islamistischen Terrorgefahr, die Wiederansetzung nach kollektivem Aufschrei der Demokratenschickeria, deren couragierteste Vertreter drei Stunden lang die abendländische Kultur in den Parkettsesseln des Hauses an der Bismarckstraße verteidigten. Harms hat die Arbeit von Neuenfels nie verstanden, und angesichts ihrer hilflosen Personenregie für Straussens heitere Mythologie in drei Akten, „Die Liebe der Danae“, denkt der Zuschauer wehmütig an dessen modellhafte für das Quartett im 3. Akt zurück, die allein schon Grund genug gegeben hätte, diesen „Idomeneo“ im Repertoire zu halten.

Richard Strauss’ vorletzte, jedoch als letzte uraufgeführte Oper nun ist eines der merkwürdigen Hybride des greisen Komponisten, die in den letzten Jahren wieder auf breiteres Interesse auch außerhalb des Festspielgeschäfts gestoßen sind. „Friedenstag“, „Daphne“ und „Capriccio“ gehören in diese Reihe, und bei allen drei Opern hatte der Wiener Theaterwissenschaftler Joseph Gregor seine Hände im Spiel. Den hatte noch Stefan Zweig an Strauss empfohlen und von Stund an der mit dem seine liebe Müh. In Zusammenarbeit mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal hatte Strauss noch immer vermocht, der Tiefe der Hofmannsthalschen Poesie die musikalische Oberfläche zu geben, unter der sie sich bestens verstecken ließ, fast immer. Die Drechslerarbeit des Joseph Gregor aber ist selbst ganz Oberfläche.

Gregor greift einen Entwurf Hofmannsthals aus dem Jahre 1920 auf, den Strauss zwischenzeitlich vergessen hatte. König Pollux von Eos will den Staatsbankrott abwenden, indem er seine Tochter Danae dem reichsten Mann der Welt, König Midas, vermählt. In dessen Gestalt will der höchste Gott der Welt, Jupiter, Danae gewinnen. Danae und Midas, der für Jupiter den Boten macht, verlieben sich ineinander. Midas’ Berührung läßt Danae zu Gold erstarren, Jupiters Wort löst die Erstarrung. Von Jupiter vor die Wahl gestellt, entscheidet sich Danae gegen den Gott und für den armen Eseltreiber, der Midas war, bevor er mit Jupiter den Pakt einging, dem Gott die Gestalt zu leihen und dafür die Fähigkeit verliehen zu bekommen, alles zu Gold zu machen, was seine Hände berühren. Danae entsagt dem Gold, Jupiter entsagt den Menschen, die er zwar geschaffen, von deren Liebe er aber immer ausgeschlossen bleiben wird.

Ist den Menschen des Stücks der Gott am Ende fern, so Regie und Ausstattung der Gott des Theaters von Anfang an. Nachdem Goebbels am 10. August 1944 „alle öffentlichen Veranstaltungen nicht kriegsgemäßen Charakters“ im Reich untersagt hatte, brachte es die bereits 1940 vollendete Oper am 16. August lediglich bis zur Generalprobe vor geladenen Gästen in Anwesenheit des Komponisten. Die Uraufführung konnte erst am 14. August 1952 bei den Salzburger Festspielen stattfinden.

Das Bühnenbild von Harms-Ehemann Bernd Damovsky und die Kostüme von Dorothea Katzer nun transportieren die Handlung in die Zeit und an den Ort des Dritten Reichs, vielleicht ein wenig früher, vielleicht ein wenig später, vielleicht auch ganz woanders hin. Der Einheitsraum, marmorn austapeziert, ist der Palast des Pollux, vielleicht aber auch ein Raum im Münchner Haus der Deutschen Kunst – eingangs von König Pollux’ Gläubigern abtransportierte Ölschinken und Skulpturen legen diese Interpretation nahe.

Der dritte Akt spielt auf übereinandergefallenen Wänden, den in Trümmern gesunkenen Palast vorstellend. Personenregie verwechselt Harms wie sonst mit dem Nachstellen von gesprächsähnlichen Situationen und, was den Chor betrifft, pauschalen Tableaus. Ihre herbeigesuchten Bildfindungen bleiben kraft- und machtlos: Ein Konzertflügel, in der ersten Szene von den Technikern des Hauses in den Bühnenhimmel gezogen, dräut für den Rest des Abends verkehrt herum mit aufgeklapptem Deckel über der Szene. Über ihn – aus ihm? – und über Danae ergießt sich ein Goldregen aus Notenblättern, die immer einmal wieder bedeutungsvoll ins Spiel kommen und, als Bündel, letztes Gold, das Danae verblieben, dem scheidenden Gott in die Hand gedrückt werden. Für die Verwandlungen gibt es goldfarbene Folien vor die Scheinwerfer, für die ehemaligen Geliebten Jupiters Sahnetorte, von Merkur serviert.

Der Chimäre aus Danae- und Midas-Mythos, aus Reminiszenz, Selbstzitat und Erschöpfung, seltsam aus der Zeit gefallen, an die es unlösbar gebunden bleibt, kommen zage Versuche der Regie nicht bei, sie als Kommentar zur offenbaren Krise des warenproduzierenden Systems zu lesen und zu inszenieren. Daß Geld nicht glücklich mache und Armut ein großer Glanz aus Innen sei, das ist den Reichen von jeher einsichtiger gewesen als den Armen. Doch ist von Librettist und Komponist ja nicht das Hohelied der materiellen Armut, sondern das der Befreiung von der Knechtschaft durch das Gold – Eigentum, Besitz – intendiert, freilich in Text und Partitur wieder unterlaufen worden. Poesie und Musik sind nicht das wahre Gold; Notenblätter kein Ersatz für Banknoten, wenngleich leichter noch zu verfälschen, nachzumachen und in Umlauf zu bringen als diese, und Gold aus der Kehle wird Gold erst, wenn es sich verkaufen läßt.

Manuela Uhl singt eine Danae mit gleichbleibend durchdringender, wenig ausdrucksvoller Sopranstimme. Nimmt sie die zurück, droht der Melodiefaden zu zerreißen, ihre Artikulation ist durchgehend schlecht. Mark Delavan singt, zumindest in der dritten Vorstellung, einen desinteressierten Wotan, pardon, Jupiter. Dem scheint der Abschied von den Menschen so wahnsinnig schwer nicht zu fallen. Matthias Klink aber singt einen Midas mit klugem Kopf, der die edel timbrierte Stimme führt, die einen festen und doch wieder nicht harten Kern hat. Man folgt der Stimme und des Sängers Sinn für den Sinn der Musik und hofft, daß die heldische Rolle für den lyrischen Tenor nicht zu früh kam, jedenfalls unter dem Dirigat von Andrew Litton, der das Orchester der Deutschen Oper in generalisierendem Klangschwall schwelgen ließ. Ganz Oberfläche auch das.

Kirsten Harms aber nimmt nun Abschied von Götz Friedrichs Hütte, welche sieben Jahre lang ihr Reich war, den Insassen, die auf sich allein gestellt bleiben, und den Theaterkritikern da draußen, deren Liebe sie nicht erfahren hat.

Die nächsten Vorstellungen von „Die Liebe der Danae“ in der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, finden statt am 19. März und 7. April, jeweils um 19.30 Uhr. Kartentelefon: 030 / 34 38 43 43 www.deutscheoperberlin.de

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