© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Die Herrin von Kreisau
Die Biographien von Sylke Tempel und Frauke Geyken über die 20.-Juli-Widerständlerin Freya von Moltke
Herbert Ammon

Seit Erscheinen der „Briefe an Freya“ (1988) war Freya von Moltke die bekannteste unter den Frauen des nach dem Moltke-Gut in Niederschlesien benannten Widerstandskreises. Als 1990 die polnisch-deutsche „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“ entstand, übernahm sie den Ehrenvorsitz. 1996 wurde die Begegnungsstätte in Krzyzowa/Kreisau eröffnet. Am 11. März 2007 nahm die 95jährige im Französischen Dom zu Berlin an einer Gedenkveranstaltung zu Ehren ihres als „protestantischer Märtyrer“ (George F. Kennan) gestorbenen Mannes teil. Sie starb am Neujahrstag 2010 in Norwich, Vermont, wo sie seit 1960 als Lebensgefährtin von Eugen Rosenstock-Huessy, des Mentors Moltkes und anderer „Kreisauer“, lebte.

Parallel zur vollständigen Edition der von ihr geretteten Gefängnisbriefe kommen nun Biographien zu „Freya“ auf den Markt, nahezu identisch im Untertitel die Bücher von Frauke Geyken und Sylke Tempel. Freya Deichmann entstammte dem protestantischen Großbürgertum in Köln. Im Sommer 1929 traf die Abiturientin am Grundlsee auf Helmuth James von Moltke. Die Hochzeit fand am 18. Oktober 1931 im Hause Deichmann statt. Kinder waren seitens Moltkes nicht vorgesehen, die Initiative ging zweimal von Freya aus. Schon vor den eigentlichen Widerstandsjahren fungierte sie, assistiert vom Verwalter und NS-Amtsvorsteher Adolf Zeuner, auf dem mit Mühe sanierten Kreisau als Gutsherrin.

In Geykens Buch wird insbesondere Freyas „zweites Leben“ nach der Hinrichtung ihres Mannes anschaulich. Dieses setzt ein mit den Nöten vor und nach Kriegsende, von Januar 1945 bis Oktober 1945 in und um Kreisau. Daß selbst Freya von Moltke anfangs noch auf Rückkehr hoffte („die verdammte Neiße“), ist neu. Zur Übersiedlung nach Südafrika auf Einladung des südafrikanischen Premiers Jan Smuts entschloß sie sich 1947 erst nach längerem Zögern. Dann gab die rabiater werdende Apartheid-Politik den Ausschlag für die Rückkehr nach Deutschland 1956.

Daß in „Adenauers Deutschland“ der Widerstand wenig Anerkennung fand, ist richtig, irrig die Vorstellung, die Besinnung habe erst „zwischen 1980 und 2000“ eingesetzt. Deutlich wird, daß Freya nicht wegen der Nachkriegsatmosphäre 1960 in die USA übersiedelte. Beim Zusammentreffen mit Rosenstock-Huessy in der Evangelischen Akademie zu Berlin entflammte sie für den zu Gast weilenden Universalgelehrten. Die neue Liebe mündete in eine liaison à trois mit Rosenstock und dessen Gattin Margrit Huessy – laut Freya eine „göttliche Fügung“. Von außen betrachtet wirkt die Konstellation als Wiederholung jener „gelebten leiblichen Trinität“, die der zum Protestantismus konvertierte Kriegsfreiwillige Rosenstock nicht ganz freiwillig mit Frau und Freund, dem Religionsphilosophen Franz Rosenzweig pflegte.

In dem mit reichen Anmerkungen und Originalzitaten ausgestatteten Buch stören Fehldatierungen (Rapallo wird auf 1921 verlegt), eine Passage aus Moltkes zentralem Brief an Lionel Curtis (23. März 1943) bleibt undatiert und unbelegt. Zu den Vorzügen gehört die Anerkennung der Rolle Eugen Gerstenmaiers im Kreisauer Kreis, der in den 1960er Jahren als „Nationalkonservativer“ in Verruf geriet und schließlich über Restitutionsansprüche stolperte. Distanz hätte nicht schaden können, wo Geyken Freyas Kritik am Biographen Günter Brakelmann (JF 13/07), er wolle Moltke „zum Sohn der lutherischen Kirche machen“ unkommentiert läßt. Tatsächlich suchte Moltke in den Monaten der Todesangst Hoffnung in der „Theologie der Auferstehung“ des konservativen Lutheraners Walter Künneth.

„Ein glänzend geschriebenes Lebens-panorama – und zugleich eine Zeitreise durch ein Jahrhundert deutscher Geschichte“, so die Verlagswerbung zu Sylke Tempel. Was die Analyse betrifft, hätte der Zeitreise ein reflexiveres Tempo gutgetan. Diffizile Sachverhalte werden mit journalistischer Leichtigkeit fehlerhaft gestreift. Nicht Hindenburg stand ab 1917 der De-facto-Militärdiktatur vor, sondern Ludendorff. Die zwei Präsidentschaftswahlgänge 1932 waren keineswegs „die letzte freie Wahl“ in Deutschland. „Längst regieren schnell wechselnde Reichskanzler nur noch mit Notverordnungen. Das letzte Parlament, das über eine Mehrheit demokratischer Parteien verfügt, hat Hindenburg mittels seiner weitreichenden Amtsbefugnisse aufgelöst.“ Glatt formuliert, doch fern der Fakten 1930 bis 1932. Konrad Kardinal von Preysing, zu dem Moltke enge Beziehungen unterhielt, war Bischof von Berlin, nicht von München. „Propagandaminister Joseph Goebbels, der mit Inbrunst bis zum Schluß an seinen Führer glaubt, rekrutiert noch eine Lumpentruppe von Alten und Halbwüchsigen, die mit ein paar Gewehren und Granatwerfern ihre Dörfer und Städte verteidigen sollen.“ Gemeint ist der „Volkssturm“. Den kommandierte aber Himmler, nicht Goebbels.

Trotz derlei Fauxpas ist Tempels Buch stellenweise ergiebiger. Wo Geyken nur von einem Vorstoß bei Preysing berichtet, schreibt sie eindringlich von Freyas Ringen um das Leben ihres Mannes sowie von zwei Gnadengesuchen an Himmler. Weniger glatte Fakten werden nicht ausgespart, wiewohl es an Verdikten über „Angepaßte“ wie den von Moltke wenig geschätzten Carl-Viggo, der nicht an Widerstand, sondern an Karriere dachte, nicht fehlt. Der frühere Freikorpskämpfer setzte sich vorbehaltlos für den Neffen ein, nachdem dessen Verbindungen zum 20. Juli entdeckt waren.

Tempel erhellt die Beziehung Moltkes zu Gustav Adolf Steengracht von Moy-land, Nachfolger Ernst von Weizsäckers als Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Der als NS-Karrierist und Protegé Ribbentrops unbeliebte Steengracht suchte 1943 Kontakt zu Moltke, um zu sehen, wie „sich in dieser späten Stunde noch blödsinnige Untaten verhindern lassen“. Im Wilhelmstraßenprozeß sagte Freya schriftlich zugunsten Steengrachts aus. Er habe den Sturz Hitlers „fraglos geahnt“. Nach dem 20. Juli habe er sich für die Rettung Moltkes und seines Studienfreundes Peter Graf Yorck von Wartenburg eingesetzt. „Sein Einsatz galt weniger einem Freund als der Sache, und bewies Mut“ – Sätze, die nicht ins Konzept des von Joschka Fischer bestellten Opus „Das Amt“ passen. Steengracht wurde 1949 in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, Ende 1950 amnestiert.

Zusammen gelesen ergibt sich ein über das Biographische hinausweisender Ertrag. Zu Recht schreibt Geyken, eine historische Würdigung des Beitrags des engen Moltke-Vertrauten Peter Yorck von Wartenburg zu „Kreisau“ stehe noch aus. Beide Autorinnen arbeiten den in Moltkes letzten Briefen betonten universal-christlichen Bezug heraus. Unter diesem Blickwinkel verschwinden indes die „vaterländischen Gefühle“, die Yorck gegen Roland Freisler als Motiv seines Handelns anführte. Bezüglich der „Westorientierung“ der Kreisauer ein von Tempel zitierter Kommentar Freyas: „Wir fühlten uns verbunden und dachten, das wären unsere Freunde. Da machten wir einen schweren Fehler. Das waren nicht unsere Freunde! Die waren die Feinde der Deutschen, und da gehörten wir dazu.“

Unter dem Aspekt Versöhnung folgen beide der polnischen Sicht der Dinge. In Geykens Geschichtsbild teilten sich „zwei deutsche Staaten, Preußen und Österreich, bei den polnischen Teilungen seit 1771 (sic!) die polnische Beute mit Rußland.(...) Die Zeit des Nationalsozialismus bildete schließlich nur den grausamen Schlußpunkt deutscher Dominanz auf polnischem Territorium.“ Im übernächsten Absatz berichtet Moltke-Mutter Dorothy über die von polnischen Nationalisten („Insurgenten“) ausgelösten Grenzkämpfe in Oberschlesien anno 1921: „CV [Carl-Viggo] hat uns viel Interessantes über diesen Guerillakrieg erzählt. Er sagt, beide Seiten verübten schreckliche Greuel, denn die Sondertruppen und die Aufständischen sind sehr schwer zurückzuhalten.“

Die Konzepte der „Kreisauer“ werden von Protagonisten des Neuen Kreisau als Vorgriff auf das heutige Europa gedeutet. Die Frage, was die politische Gegenwart, anschaulich in EU-Richtlinien, Talkshows und Parteienstaat, mit der Kreisauer Friedensvision – ein dezentralisiertes Deutsches Reich in Europa, gegründet auf christliche Religion und nichtkapitalistische Wirtschaft – gemein hat, wird in der Erinnerungspflege nicht gestellt.

Sylke Tempel: Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert, Rowohlt Verlag, Berlin 2011, 221 Seiten, gebunden, Abbildungen, 19,95 Euro

Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911–2010. Verlag C.H. Beck, München 2011, gebunden, 287 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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