© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Ein Fetisch namens Versöhnung
Heinz Nawratil setzt sich mit der allzu einseitigen deutsch-polnischen Vergangenheitsbewältigung auseinander
Thorsten Hinz

Der Publizist und Jurist Heinz Nawratil sieht die Deutschen in der Situation naiver Basarbummler. Sie haben erkennen lassen, daß sie einen bestimmten Teppich unbedingt besitzen wollen und sich damit in die Hand des Verkäufers begeben, der jetzt den Verkaufspreis immer höher treibt. Der Basar, das sind die deutsch-polnischen Beziehungen, und der Teppich ist ein Fetisch namens „Versöhnung“. Der Preis, den die Polen dafür verlangen, ist mittlerweile die komplette Übernahme ihrer Sicht auf die Geschichte, auf Krieg, Vertreibung, auf Recht und Unrecht. Und tatsächlich, die in der Versöhnungsfalle gefangenen Deutschen zahlen alles ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Das Trauerspiel um das Zentrum gegen Vertreibungen ist nur ein weiteres Kapitel in einem großangelegten Gaunerstück.

Ursprünglich bezeichnet der Begriff ein Sakrament der Versöhnung mit Gott, den Dreiklang aus Reue, Bekenntnis und Sühne, dem die Lossprechung des Sünders durch den Priester folgt. Eine deutsch-polnische Versöhnung kann indes nur heißen, daß beide Seiten ihre Schuld bekennen, bedauern und sich gegenseitig bei der Heilung ihrer Wunden behilflich sind. In diesem Sinne wollten die Deutschen das legendäre polnische Bischofswort von 1965 verstehen: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Gewiß hätte Deutschland dabei sogar den umfangreicheren Part übernehmen können. Doch Polen begreift sich durchaus nicht als Beteiligter in einem Prozeß auf Gegenseitigkeit, sondern als übergeordnete Instanz, welche an die Stelle Gottes tritt.

Das ist keine Übertreibung: Nawratil zitiert den Fastenhirtenbrief des polnischen Episkopats vom Februar 1966, der in Deutschland nahezu unbekannt ist und in dem es heißt: „Wir haben vergeben, wie Christus am Kreuz vergeben hat.“ Man sieht sich selber im Stand völliger Unschuld, wie Christus sie verkörperte, während Deutschland die Position des Gottesmörders zukommt. Freilich war der polnische Klerus 1965 unter den Druck des kommunistischen Staates geraten, der ihm unpatriotisches Verhalten vorwarf, was die sakrilegische Formulierung teilweise erklären mag.

Doch viel wichtiger ist, daß die deutschen Funktionseliten sich dieser Zuschreibung unterworfen haben mit ganz praktischen Folgen. Bei den Vertragsverhandlungen zum EU-Beitritt Polens reagierten die Partnerländer genervt, weil Deutschland auf polnische Forderungen stets mit beflissenem Entgegenkommen reagierte, was Polen zu noch größerem Selbstbewußtsein anstachelte.

In 13 knappen, aber inhaltsreichen Kapiteln durchmustert Nawratil die tausendjährige deutsch-polnische Nachbarschaft. Der Schwerpunkt liegt auf dem 20. Jahrhundert, auf dem Zweiten Weltkrieg, seiner Vor- und Nachgeschichte und hier vor allem auf der Vertreibung. Die populäre Rechnung: Weil die Deutschen mutwillig den Zweiten Weltkrieg angefangen haben, dürfen sie sich über den Verlust der Ostgebiete samt erlittener Massenmorde nicht beklagen, ist eine brutale Vergewaltigung der geschichtlichen Wahrheit. Nawratil prüft die von Polen vorgebrachten Argumente: die historischen (die Rückkehr alter Piasten-Gebiete zum Mutterland), die kompensatorischen (die Oder-Neiße-Gebiete als Entschädigung für die verlustig gegangenen Gebiete östlich der Curzon-Linie), die berechtigte Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht unter den todbringenden Statthaltern Heinrich Himmler, Arthur Greiser oder Hans Frank. Er verwirft sie oder entlarvt sie als Vorwand. US-Präsident Wilson stöhnte, die Polen hätten bei den Verhandlungen zum Versailler Vetrag „die halbe Welt“ verlangt. Der italienische Außenminister nahm immer noch die genervte Forderung „nach halb Europa“ wahr. Zitiert wird auch Völkerbundkommissar Carl J. Burckhardt, der nach einem Gespräch mit dem polnischen Außenminister Jozef Beck notierte, daß Polen auf die deutsche Katastrophe spekulierte. Mit einem britischen Garantieversprechen im Rücken konnte der polnische Torero 1939 den deutschen Stier nach Belieben reizen, so durch die Mißhandlung der deutschen Minderheit, die unmittelbar nach Kriegsbeginn einem vieltausendfachen Massenmord ausgesetzt war.

Der Politiker und Publizist Jedrzej Giertych, ein Ultranationalist und Großvater Roman Giertychs, Polens stellvertretendem Ministerpräsidenten bis 2007, wischte denn auch alle Ausflüchte vom Tisch: „Man muß feststellen, daß die Angliederung der Gebiete bis zur Oder und Neiße keine Polen aufgezwungene sowjetische Lösung war, sondern die Verwirklichung von altbekannten polnischen Nationalpostulaten.“ Der Widerstandskämpfer und Diplomat Jan Karski, in Deutschland hochverehrt wegen seiner Holocaust-Zeugenschaft, sprach im Juli 1943 bei US-Präsident Franklin D. Roosevelt vor, bekanntermaßen um ihn über das schreckliche Schicksal der Juden in Osteuropa zu informieren. Aber er prognostizierte noch mehr: „Wir haben vor, im Augenblick des deutschen Zusammenbruchs einen kurzen, sehr schrecklichen Terror gegen die deutsche Bevölkerung zu organisieren, so daß diese von sich aus massenhaft das Gebiet Polens (also Ostdeutschlands – Th. H.) verlassen wird.“ Roosevelt antwortete: „Die Deutschen haben das verdient.“

Die aktuell regierenden Politiker in Polen würden das in dieser Schärfe nicht sagen, aber sie bauen auf dieser Haltung auf. Und die Meckels und Merkels, die Roths und Thierses tun es ihnen nach beziehungsweise übertreffen sie noch: Ein Zustand, der sich nicht mehr in politischen Kategorien, sondern nur noch medizinisch erklären läßt.

Das Buch faßt den Sachstand der deutsch-polnischen Beziehungen bündig zusammen. Künftige Arbeiten zum Thema müßten noch stärker die polnische Seelenlage, ihre Beweggründe und Entwicklungen in den Blick nehmen. Dabei könnten sich interessante deutsch-polnische Parallelen ergeben: Beide Länder haben unter einer gefährlichen Mittellage gelitten, beide sind verspätete Nationen. Die 120jährige Teilung Polens, die erst 1918 endete, hat den politischen Reifeprozeß behindert und Gefühlsschwankungen bis hin zu Größenwahn und Rachsucht gefördert. Insofern wird das Thema noch lange virulent bleiben.

Heinz Nawratil: Die Versöhnungs-falle. Deutsche Beflissenheit und polnisches Selbstbewußtsein Universitas Verlag Wien 2011, gebun-den, 239 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Anläßlich des 60. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs gedenken die damaligen Vorsitzenden des polnischen Sejm, Wlodzimierz Cimoszewicz (l.), und des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse, bei Warschau polnischen Opfern: „Die Deutschen haben das verdient.“

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