© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Was für eine Enttäuschung!
Tiraden statt Kritik: Cora Stephan schreibt sich in ihrem Pamphlet über Angela Merkel um Kopf und Kragen
Jakob Apfelböck

Bei der Bundestagswahl vom 18. September 2005 konnten die beiden Unionsparteien insgesamt 16.631.049 Zweitstimmen auf sich vereinen. Da die Sozialdemokraten mit einem Rückstand von 436.384 Stimmen auf den zweiten Platz verwiesen wurden, war es Angela Merkel vergönnt, als erste Bundeskanzlerin der deutschen Geschichte auf der Regierungsbank Platz zu nehmen.

Auch wenn der Vorsprung von CDU und CSU von den Zeitgenossen als gering empfunden wurde, hatte sich doch der eherne Grundsatz der Massendemokratie aufs neue bestätigt: Es kommt, mögen die Kandidaten in Wahlkämpfen in der Regel auch anderes suggerieren, letztlich auf keine einzelne Stimme an. Dies hat für den Wähler den Vorteil, daß er sich nicht dafür verantwortlich fühlen muß, wenn eine zufälligerweise unter seiner Mitwirkung legitimierte Regierung den Auftrag, der ihr erteilt worden sein soll, nicht ausführt. Am besten fährt er somit, wenn er über einen solchen erst gar nicht grübelt und sich auf diese Weise vor späteren Enttäuschungen bewahrt.

Cora Stephan, als politische Feuilletonistin so etwas wie ein konservatives Pendant zu der ihr ansonsten in manchem wesensverwandten Jutta Ditfurth, will diese Rationalität, die in einer etablierten Demokratie von jedem Wahlbürger erwartet werden sollte, jedoch nicht aufbringen. Sie ist enttäuscht. Sie ist empört, ja sie schäumt vor Zorn. Sie hat nämlich, wie sie reumütig bekennt, Angela Merkel einstmals ihre Stimme gegeben, weil sie sich von ihr einen „neuen Anfang“, einen „Aufbruch“, ein „Experiment“ und dergleichen mehr versprach.

Und nun ist alles ganz anders gekommen, genauer gesagt, alles ist so geblieben, wie es war. Das ist schade. Schade für Cora Stephan. Schade vor allem aber für Angela Merkel, die wahrscheinlich viel entspannter und zufriedener regieren könnte, wenn sie ihre einstige Wählerin weiterhin auf ihrer Seite wüßte. Diese ist nämlich qua ihrer Profession gezwungen, ihre persönliche Befindlichkeit für eine mitteilenswerte zu halten und als Stimmungsbarometer auszugeben. Das unvermeidliche Ergebnis ist nun als Buch erschienen und ein Problem, das Cora Stephan und Angela Merkel unter sich hätten ausmachen können, damit zu einem öffentlichen geworden.

Wer trägt die Schuld an diesem Malheur? Cora Stephan hat sich, wie der Titel ihres Buches verkündet, in Angela Merkel geirrt. Dafür wäre die Kanzlerin aber nur dann verantwortlich zu machen, wenn sie einen Täuschungsversuch begangen hätte. Diesen kann ihr jedoch niemand ernsthaft nachsagen. Sicher, Angela Merkel hat in Wahlkämpfen den Eindruck zu erwecken versucht, sie wollte als Kanzlerin etwas bewegen. Und sie hat auch auf allen möglichen Politikfeldern Reformbedarf identifiziert.

Jeder mündige Wahlbürger weiß aber, daß zwischen dem, was Politiker ankündigen, und dem, was sie dann tatsächlich in die Tat umsetzen können, notgedrungen eine große Diskrepanz bestehen muß. In unserer Demokratie sind einer Regierung durch die Grundrechte des einzelnen, den Föderalismus, die Notwendigkeit parlamentarischer Mehrheiten, aber auch durch gesellschaftliche, wirtschaftliche und internationale Rahmenbedingungen die Hände in starkem Maße gebunden. Wer daran etwas ändern will, muß schon zum Staatsstreich aufrufen. Es spricht nicht für Cora Stephans Zurechnungsfähigkeit, daß sie sich nicht damit begnügt, Angela Merkel mit unbeholfenen Bonmots in die Nähe von Erich Honecker zu rücken, sondern im Schlußappell ihres Buches sogar diese Saite anklingen läßt.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den Reformvorhaben, die die aktuelle Bundesregierung betreibt, und mehr noch jenen, die sie nicht anpackt, wäre sicher lohnenswert. Cora Stephan leistet diese nicht. Sie ist keine Expertin für Finanz- und Währungsfragen, Migration, Demographie, das Gesundheitswesen, die Europapolitik oder gar das Weltklima. Manche dieser Defizite räumt sie sogar ein. Ihre Kritik beschränkt sich darauf, daß aus jener „Angie“, die sie schätzte, eine bloße „Tina“ geworden sei.

„Tina“ steht dabei für „There Is No Alternative“ als vorgebliches Selbstverständnis der Kanzlerin, ein Brüllwitz, den der Leser vielleicht einmal kurz ertragen könnte, der ihn aber als rhetorische Folter durch das ganze Buch verfolgt. Cora Stephans Expertise beschränkt sich auf das Erfassen von Stimmungen, ihren eigenen nämlich. Dies ist legitim, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schließt auch Belanglosigkeiten, Hysterien und Nonsens ein. Allerdings gilt es, Cora Stephan in die Schranken zu weisen, wenn sie vorgibt, das Denken und Fühlen der steuerzahlenden Leistungsträger unseres Landes zum Ausdruck zu bringen. So grobschlächtig, so kopflos aufgebracht, so irrational sind sie, wie groß ihr Ärger über die Politik auch sein mag, nicht. Wäre es anders, müßten wir um unsere Zukunft tatsächlich fürchten.

Cora Stephan: Angela Merkel.           Ein Irrtum.             Albrecht Knaus Verlag, München 2011, broschiert, 223 Seiten,       16,99 Euro

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