© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Noch hält der politische Burgfrieden
Japan: Die langsame Rückkehr zur Normalität / Schäden werden auf 80 Milliarden Euro geschätzt
Albrecht Rothacher

Knapp zwei Wochen nach der Jahrhundertkatastrophe hat in Japan der Wiederaufbau begonnen. Die Bahnlinie von Aomori an der Nordspitze von Honshu nach Morioka, der Hauptstadt der Präfektur Iwate, wurde bereits instand gesetzt. So können über eine neue Frachtlinie entlang dem Japanischen Meer Hilfsgüter und Nahrungsmittel aus dem Süden und aus Hokkaido direkt ins Katastrophengebiet gelangen. Während der Woche soll auch die Fertigung in den meisten Automobil- und Elektronikwerken wieder anlaufen, teilweise mit neuen Teilelieferanten. Befürchtungen über den Ausfall japanischer Speicherchips für die weltweite Unterhaltungselektronik, IT-Produkte und Kommunikationsgeräte werden sich daher nicht bewahrheiten.

Eine Ausnahme sind Halbleiterscheiben, von denen 20 bis 30 Prozent der Weltproduktion von der Firma Shin Etsu in Fukushima hergestellt wurden. Auch Spezial-Linsen, die von Canon in Utsonomiya gefertigt werden, dürften noch einige Monate ausfallen. Auch machen der japanischen Industrie die Knappheit an Benzin und die Stromrationierung nach dem Abschalten der meisten Raffinerien und AKWs zu schaffen. Kurioserweise hat das Erdbeben, das angesichts der Leichtbauweise der Gebäude relativ wenige Tote gefordert hat, mit der Zerstörung der Strom-, Gas und Wasserleitungen größere wirtschaftliche Schäden angerichtet als die viel mörderische Flutwelle, die jenes Dutzend Fischerstädtchen zerstörte, die von der Aquakultur, dem Tourismus und der Küsten- und Hochseefischerei lebten aber keine nennenswerte Industrie besaßen.

Gelingt es den japanischen Ingenieuren und den tapferen Bedienungsmannschaften vor Ort in den nächsten kritischen Tagen, den havarierten Atommeiler von Fukushima zu stabilisieren, so wäre das Unglück auf die Dimensionen von Harrisburg ohne direkte Todesfälle begrenzt, eine Katastrophe wie Tschernobyl knapp vermieden worden. Damit bliebe nach der Versiegelung der Reaktoren auch die Küstenregion von Fukushima weiter bewohnbar. Ohnehin war der Unfall nur deswegen entstanden, weil die Dieselnotstromaggregate sich in 7,50 Metern Höhe befanden. Hätte man sie vier Meter höher, unerreichbar für die Flutwellen gebaut, hätte die reibungslose Abschaltung als Triumph der Technik gefeiert werden können.

Derweil hält in Japan der politische Burgfrieden. Zwar haben die beiden Oppositionsparteien, die konservativen Liberaldemokraten und die buddhistische Shin-Komeito, das Angebot des Premiers, in die Regierung einzutreten abgelehnt – LDP-Chef Tanigaki hätte Vizepremier und Wiederaufbauminister werden können – doch arbeiten alle Parteien zusammen, um einen Sonderhaushalt zu stemmen, dessen Finanzierung angesichts der mit 210 Prozent des Bruttoinlandsproduktes astronomischen Staatsschulden jedoch noch unklar ist.

Die Schäden der Dreifachkatastrophe von Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall werden auf 80 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht den Schäden, die das Erdbeben von 1995 in der Millionenstadt Kobe mit seinen 6.400 Toten, eingestürzten Stadtautobahnen und dem zu 80 Prozent zerstörten Welthafen angerichtet hat. Der Wiederaufbau von Kobe hatte zwei Jahre gedauert. Wirtschaftlich erholt haben sich die Stadt und ihr Hafen nie völlig.

 Angesichts der zu schulternden Probleme stützte auch die Rede von Kaiser Akihito, der sich nur in Notfällen an sein Volk wendet, den nationalen Konsens. Zwar leiden die 400.000 Obdachlosen in den Sammelunterkünften weiter unter Kälte und knapper Versorgung, doch wird keine Kritik an der Regierung und am Krisenmanagement von Premier Kan laut. Die Angst vor dem befürchteten Großen Erdbeben in Tokio und einem möglichen GAU in Fukushima, nimmt zwar mit jedem Tag ab, mit dem diese Katastrophen nicht eintreten, doch in politisches Kleingeld will keine Partei das nationale Unglück wechseln.

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