© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Gruß aus Tokio
Leichtes Aufatmen
Kazue Nakamura

Schon als Kind weiß man in Japan, daß es jederzeit ein Erdbeben geben kann und wie man sich dann zu verhalten hat: Ruhig bleiben, Gas und Heizung abdrehen, weg von Schränken, schnell noch unter einen Tisch kriechen. Doch wenn dann der Ernstfall eintritt, ist man dennoch zunächst völlig überrascht – und so war es auch am Nachmittag des 11. März, als vor der japanischen Ostküste mehrmals minutenlang die Erde bebte. Die schweren Erschütterungen waren bis in die Region Tokio zu spüren. Aber trotz mehrerer Nachbeben in den folgenden Tagen gab es hier bislang keine größeren Schäden oder Brände.

 Wer Verwandte und Freunde in Sicherheit weiß, kann aufatmen. Risse sind reparabel, kaputtes Geschirr ist ersetzbar, und ein paar Tage auf Arbeit zu übernachten ist auch kein Drama. Anfangs gab es noch zehn Liter Kraftstoff pro Auto und lange Warteschlangen an den Tankstellen, inzwischen gibt es gar kein Benzin mehr, weil die Raffinerien vorsichtshalber stillgelegt wurden. Dafür fahren viele S- und U-Bahnen wieder, das Telefonnetz funktioniert – auf Stromabschaltungen kann man sich einstellen.

Aber etwas ist anders als nach dem schrecklichen Beben in der Millionenstadt Kobe im Jahr 1995. Denn zu den grausamen Bildern der Tsunami-Katastrophe kommen die Berichte von den Unglücksreaktoren in Fukushima. Tschernobyl und Harrisburg waren weit weg, doch Hiroshima und Nagasaki hat jeder Japaner verinnerlicht. Ausländische Firmen fliegen ihre Mitarbeiter aus, Botschaften werden nach Osaka oder Nagoya verlagert, manch westlicher Korrespondent ist gar nach Südkorea geflüchtet – aber 35 Millionen Japaner können nicht aus dem Großraum Tokio-Yokohama evakuiert werden. Also richtet man sich für den Fall ein, daß der Wind dreht und die radioaktiven Wolken von Fukushima bis hierher ziehen.

Jodtabletten sind daher seit einigen Tagen überall ausverkauft, Mineralwasser ebenfalls. Erst war kein Reis und kein Brot mehr in den Läden (sie haben ohnehin inzwischen verkürzte Öffnungszeiten), nun sind auch Nudeln Mangelware – angesichts der Katastrophe ist manchem offenbar der Gemeinsinn abhanden gekommen. Aber selbst bei den Hamsterkäufen im Supermarkt ging es gesittet zu: Von Panik keine Spur! Zumindest das läßt hoffen.

 

Kazue Nakamura  ist Ökonomin und arbeitet als Übersetzerin in Tokio.

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