© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Wirre Mission, knallharte Strategie
Kriegseinsatz gegen Gaddafi: Inkonsequenter Westen / Was in Libyen geht, scheint in Bahrain und im Jemen unmöglich
Günther Deschner

Seit einer Woche fallen Bomben auf Libyen. Die USA und eine Handvoll europäischer Staaten, allen voran Frankreich und England, führen einen Interventionskrieg in Nord-Afrika, gegen Gaddafis Reich. Jenseits aller Argumente, die um Demokratie und Menschenrechte kreisen, handelt es sich – nach zweimal Irak, Jugoslawien, Somalia und Afghanistan – um den sechsten Krieg des Westens seit Beginn der von George Bush senior erklärten „Neuen Weltordnung“.

Unter diplomatischer Deckung durch einen vom UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1973 ausgestellten völkerrechtlichen Persilschein hat die Allianz mit Bomben und Marschflugkörpern ein Flugverbot für die libysche Luftwaffe erzwungen, ihre Flugzeuge am Boden vernichtet, Flughäfen zerstört, Flugabwehrstellungen und die „C3“-Einrichtungen des Landes vernichtet. Französische und US-Luftschläge galten auch Panzer- und Artillerieeinheiten des libyschen Heeres. Laut US-Medien sind im Osten des Landes, wo der bewaffnete Aufstand gegen Gaddafi seinen Schwerpunkt hat, auch britische Spezialeinheiten im Einsatz.

Die Verbündeten fühlen sich durch die schwammige Formulierung des Resolutionstextes zu ihrem Vorgehen ermächtigt. Er gestattet den Einsatz „aller notwendigen Mittel“, um „Zivilisten oder von Zivilisten bewohnte Gebiete“ vor Angriffen zu schützen, also auch willkürliche Angriffe auf alle libyschen Truppen, wenn diese auch nur in die Nähe bewohnter Gebiete oder der offenbar als Zivilisten betrachteten Aufständischen kommen.

Letztlich hat es der Sicherheitsrat damit völlig der Willkür einzelner Staaten überlassen, wann, wo und wie sie in Libyen zuschlagen wollen. Wobei es von Anfang an klar gewesen sein muß, daß es bei Luftangriffen auch zivile Opfer gibt – speziell die US-Luftwaffe dürfte über reiche Erfahrungen mit „Kollateralschäden“ verfügen.

Schon jammert die Arabische Liga, die den Krieg mit verlangt hat und sich der Illusion hingab, die Angreifer würden nur den Aufständischen von Bengasi Entsatz verschaffen. Auch aus Rußland und China, aus Brasilien und Indien wird die internationale Kritik an den Luftschlägen immer schärfer.

 „Odyssey Dawn“, „Morgenröte einer Odyssee“ hat die Allianz ihre Aktion getauft. Der Name ist gut gewählt, die Beteiligten scheinen noch auf der Suche nach dem richtigen Weg zu sein. Mit ihrer Luftwaffe könnten die USA, Großbritannien und Frankreich es den Aufständischen vermutlich ermöglichen, die vollständige Kontrolle über den Ostteil Libyens, die Cyrenaika zu erringen, wo sich auch die meisten libyschen Ölquellen befinden. Die Eroberung des übrigen Landes dürfte ohne Bodentruppen kaum zu schaffen sein. Praktisch würde dies – zumindest vorläufig – auf eine Teilung des Landes hinauslaufen.

Eine gezielte Strategie ist aber nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Wie die genauen Pläne der Westmächte für die Zukunft Libyens aussehen oder ob es solche überhaupt schon gibt, ist ungewiß. Sicher ist nur, so hat das der Geostrategie-Experte George Friedman formuliert: „Das schlußendliche Ziel, nicht ausgesprochen, doch von jedem verstanden, ist auf jeden Fall der Regimewechsel – die Etablierung eines neuen Regimes aus dem Umfeld der Aufständischen. Und weil sie noch gebraucht werden, müssen sie vor Gaddafis Truppen gerettet werden, das ist die politische Logik, die hinter dieser Militäraktion steht.“

Das Tempo, mit dem die drei Nato-Länder den Krieg begannen, legt die Vermutung nahe, daß die Angriffspläne schon seit Wochen abgestimmt worden waren. Das militärische Eingreifen wäre so eine Antwort auf die jüngsten Turbulenzen in Nordafrika und in der arabischen Welt, die in Tunesien begannen, sich in Ägypten fortsetzten und auf der Arabischen Halbinsel ein Echo fanden. Ob die Aufstandsbewegung in Libyen in denselben Kontext gehört, ist nicht ausgemacht: Eingeübt und befangen in ihren gewohnten Denkkategorien, sahen die Eliten des Westens in der „arabischen Unruhe“ aus allen Schichten aufsteigende Revolutionen für die Schaffung demokratischer Gesellschaften als Kopien des westlichen Modells.

Doch die Tektonik der libyschen Rebellion ist anders: Sie ist ein Agglomerat von Stämmen und politischer Figuren unterschiedlichster Zielsetzung und Herkunft – teils alte Gegner Gaddafis, teils aus seinem Umfeld. Für den Moment vereint durch ihre Opposition zum „Bruder Führer“, verbindet die Rebellen keine gemeinsame politische Überzeugung, schon gar nicht für eine Demokratie westlichen Zuschnitts.

Als Gaddafi sich nicht wegdemonstrieren ließ, machten ihn Politiker des Westens wieder zum Paria, nachdem sie ihn zuvor noch hofiert hatten, um an Öl und lukrative Geschäfte zu kommen – allen voran Nicolas Sarkozy, der sich derzeit als Macher geriert, um sein Image aufzupolieren, das durch peinliche Enthüllungen über frühere Wahlkampfspenden aus Libyen schwer gelitten hat.

Was ist nun aber an Gaddafi neu? Auch in Bahrain und im Jemen eskaliert derzeit der Konflikt zwischen den Herrschenden und den Regimekritikern. In Libyen scheint „der „Grad der Unterdrückung“ nicht „durchdringender und schwerer zu sein“ als in anderen autoritär regierten Ländern, sagte dieser Tage der Völkerrechtsexperte und UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Richard Falk dem arabischen TV-Sender Al Dschasira. „Aber nur in Libyen greift der Westen militärisch ein. Schwerer fällt es, guten Freunden wie dem König von Bahrain mit Freundschaftsentzug zu drohen: König Hamad gilt als Bollwerk gegen den Iran und läßt die fünfte Flotte der USA in seinem Hafen liegen. Und der jemenitische Präsident Ali Salah gilt dem Westen zwar als Diktator, allerdings fürchten viele, daß der Jemen ohne ihn Al Kaida in die Hände fallen könnte. Es gibt also Gründe für die unterschiedliche Haltung gegenüber Libyen und Bahrain oder Jemen, doch weise sind sie nicht.“

Foto: Französische Mirage-2000-Kampfflugzeuge im Libyen-Einsatz (Stützpunkt Solenzara/Korsika):  „Macher“ Sarkozy will sein Image aufbessern

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen