© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/11 25. März 2011
Deutsche Medien total verstrahlt Kann es einen Super-GAU geben? Diese Frage ist für Journalisten in diesen Tagen reine Zeitverschwendung. Denn es gibt ihn. Basta! In der Tat: Die deutschen Medien haben diese Apokalypse bereits ausgerufen, als in Fukushima noch gar keine Radioaktivität austrat. Na gut, dann eben andersherum gefragt: Können wir es nicht beim GAU belassen? Denn das Kürzel steht für den größten anzunehmenden Unfall. Es handelt sich also bereits um einen Superlativ, der kaum noch steigerungsfähig ist. Aber der bloße GAU hat sich abgenutzt. Als Guido Westerwelle Vizekanzler wurde, war das ein GAU; als die NPD in zwei Landtage einzog ebenfalls und als sich Thilo Sarrazin an die Spitze der Bestsellerliste setzte, erst recht. Nun haben wir also einen Super-GAU, obwohl noch nicht einmal ein GAU eingetreten ist. Nur einen einzigen Tag nach dem verheerenden Beben vor Japan brüllte Spiegel-Online seinen Lesern entgegen: Eilmeldung: Japan erlebt die nukleare Katastrophe. Als Beweis für die gruselige Sensation präsentierte das Internet-Leitmedium ein Video, in dem aus der Ferne eine Explosion zu erkennen war. Dazu gab es aus dem Off eine Stimme, die erklärte, daß Fukushimas Atomkraftwerk explodiert sei. Die tödliche Strahlung werde sich nun verbreiten. Der richtige Film mit dem falschen Text lief an diesem Tag auf jedem Kanal. Mit dieser Ente lag Spiegel-Online uneinholbar vorn. Die Schlagzeile konnte niemand überbieten. Aber man konnte noch mitmachen. Und so feiert die Journaille seitdem einen Weltuntergang, den es nicht gibt. Niemand fühlte sich bemüßigt, die verantwortungslose Falschmeldung zu korrigieren. Wie kurzsichtig. Denn die Medien beraubten sich damit der Möglichkeit, die Spannung hoch zu halten. Spätestens als Die Welt sechs Tage nach der apokalyptischen Spiegel-Online-Meldung titelte: Atomkraftwerk außer Kontrolle, setzte unter den Lesern ein Gähnen ein. Hatten wir das nicht schon? Daß die Lage in Japan dramatisch ist, soll hier keineswegs kleingeredet werden. Denn das ist sie sehr wohl: Ein extrem starkes Erdbeben, ein Tsunami, der Tausende Menschen tötete, Teile des Landes komplett zerstörte und die Kühlung der Kernreaktoren beschädigte. Bezeichnend, daß diese verheerende Katastrophe den Medien nicht ausreichte. Es mußte unbedingt die ganz große Nummer sein. Die tödliche Verseuchung Japans, Asiens, ja des ganzen Erdballs. Die Panikmache hat Folgen: Hierzulande sind inzwischen die Jodtabletten und Geigerzähler ausverkauft. Die Deutschen horten Sachen, die sie nicht brauchen. Ja, die Einnahme der Tabletten ist sogar schädlich. In einem Radiointerview beschwerte sich kürzlich ein in Japan lebender Deutscher, daß ihm seine Eltern aus Berlin kein Jod schicken könnten, weil ein hysterisches Volk alles weggekauft hat. Es gibt nur wenige, die wie der Wissenschaftsjournaist Ranga Yogeshwar die Ruhe bewahren. Wissen Sie, was ich schändlich finde? fragte er bei Anne Will. Es gibt sehr viele Japaner, die ein echtes Problem haben. Statt daß wir an diese Menschen denken, fangen wir an, unausgegorene Debatten zu führen. Doch die Medien treiben die Hysterie immer weiter. In der ARD werden die deutschen Erdbebenzonen in Landkarten eingemalt. Das Land sieht plötzlich aus wie der Sankt-Andreas-Graben. Dazu folgt der unfaßbare Satz: Starkbeben sind auch bei uns realistisch. Komischerweise stehen plötzlich alle unsere AKW in Erdbebengebieten. Daß der Reaktor von Fukushima dem Beben standhielt und erst der Tsunami die Kühlung zerstörte, wird gern unterschlagen. Aber in der nächsten Woche werden uns Journalisten sicher auch erklären, warum in Biblis eine Monsterwelle pardon: eine Super-Monsterwelle sehr wahrscheinlich ist. Selbstkritische Töne der medialen Alarmisten bleiben aus. Im Gegenteil: Mit unerhörter Wucht prallt die Kritik auf die japanischen Kollegen, die die Lage angeblich verharmlosten. Es ist interessant, mit welcher Arroganz mancher Moderator meint, die Lage von seinem Mainzer Fernsehstudio aus besser einschätzen zu können als ein Journalist in Tokio. Die deutschen Medien sind im Katastrophenrausch. Und der das weiß jeder Junkie verstellt den Blick für die Wirklichkeit. Motto: Ich lasse mir meinen Weltuntergang nicht durch die Recherche kaputtmachen. Und so macht sich der aufgeregte Berufsstand seit Jahren zum Steigbügelhalter für Klima-Lobbyisten, Bekämpfer von Phantom-Nazis und nun der Anti-AKW-Bewegung. In unseren Medien schmelzen jeden Tag aufs neue Atomkerne, die doch eigentlich schon längst weggeschmolzen sind. Und die Japaner kühlen die Betonhülle eines Kraftwerkes, die schon lange explodiert ist. Hinter der Panikmache steht die perfide Weisheit, mit Angst Auflage und Quote zu machen. Niemand beweist das auf so peinliche Weise wie Die Zeit. Das einst behäbige Blatt versucht mit einer Pseudoumfrage neue Leser zu gewinnen. Wer E-Mail-Fragen zur Atomkatastrophe beantwortet, wird drei Wochen kostenlos mit der Zeit beliefert. Ohne schriftliche Kündigung wandelt sich diese Belohnung in ein kostenpflichtiges Dauerabo. Erst nach Protesten aus der Leserschaft wurde diese makabere Kundenneugewinnung wieder eingestellt. So eine Rückrufaktion wäre auch bei vielen Artikeln angemessen gewesen.
Deutschland sucht den Super-GAU Sonnabend, 12. März Kernschmelze im Reaktor von Fukushima (ARD) Sonntag, 13. März Schlimmer als Tschernobyl (SZ online) Montag, 14. März Atom-Horror! Kernschmelze im AKW (Bild) Dienstag, 15. März Hier explodiert der nächste Atom-Reaktor (Bild) Mittwoch, 16. März Strahlenalarm Aus dem havarierten AKW Fukushima entweicht Radioaktivität in großen Mengen (taz) Donnerstag,17. März In diesem Schrott kocht die Atom-Hölle (Bild) Freitag, 18. März In der havarierten Nuklearanlage in Fukushima-Daiichi hat sich die Lage weiter verschärft (Welt-Liveticker) Sonnabend, 19. März Die Lage in Fukushima hat sich stabilisiert, aber das muß einen nicht beruhigen (ARD-Morgenmagazin extra) Sonntag, 20. März Hilflose Helfer (Spiegel) Montag, 21. März Ausländer verlassen Japan Verbrannte Erde (Tagesspiegel) Foto: Atomalarm: Eine Horromeldung jagt die nächste, jeden Tag neue Steigerungen und das Publikum schaltet nach einer Woche gelangweilt ab |