© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Carl Schmitt und kein Ende
Eine Bibliographie der Werke von und über den Staatsrechtler und seine Tagebücher der Jahre 1930 bis1934
Günter Maschke

Selbst der Ozean hat seine Grenzen, doch die Sekundärliteratur zu Carl Schmitts Werk ist uferlos. Nach einem 180seitigen Verzeichnis der Primärliteratur, das am 31. Dezember 2009 abgeschlossen wurde, stellt uns Alain de Benoist 4.652 Beiträge über den letzten Klassiker des Politischen Denkens vor: 278 akademische Arbeiten, 416 Bücher, 681 Artikel in Sammelwerken, 1.208 Bücher mit umfangreicheren Bezugnahmen und 2.069 Aufsätze, dies alles in etwa zwei Dutzend Sprachen. Allein seit dem Jahre 2000 wurden 160 Bücher über Schmitt veröffentlicht.

Benoists Angaben sind meistens sorgfältig und vollständig und beruhen überwiegend auf Autopsie. Natürlich haben sich während der zehnjährigen Arbeit einige Fehler eingeschlichen, zuweilen stößt man auf falsche Datierungen und Seitenzahlen. Doch derartige Mängel bleiben auch nach mehrfacher Durchsicht bei einem solchen Unternehmen nicht aus und ihre Zahl ist, betrachtet man den Umfang des Projekts, eher gering. Den „Schmittologen“, von Benoists Eifer angespornt, mag es verdrießen, findet er doch etwa 300 fehlende Beiträge. In erster Linie handelt es sich um einen einschüchternden Stapel von juristischen Dissertationen und politischen Aufsätzen aus der Zwischenkriegszeit; diese allesamt aufzuspüren und zu prüfen hätte noch einige Jahre Fronarbeit gekostet, die man selbst Alain de Benoist, diesem fleischgewordenen Fleiße, nicht zumuten möchte. Der Einzelkämpfer stößt hier an seine Grenzen und man mag bedauern, daß Benoist nicht noch stärker fremde Hilfe in Anspruch nahm.

Doch sollten Sisyphos und Stachanow immer unsere vornehmsten Heiligen sein, und ihr unvermeidliches „Scheitern“ verdient lediglich unsere Bewunderung und Unterstützung. Diese gilt hier einem nicht nur nützlichen, sondern unentbehrlichen Arbeitsinstrument. Der Ares Verlag in Graz, der den Mut zu diesem Buche hatte, den Schmitts Hausverlage Duncker & Humblot sowie Akademie vermissen ließen, war freilich nicht auf der Höhe des Heroismus Alain de Benoists und verzichtete auf die hier absolut notwendigen Register. So wird der Schmitt-Pfadfinder dazu gezwungen, endlos hin und her zu blättern, was freilich seinen Respekt vor Benoists Leistung steigern mag.

„Er zieht an, stößt ab, interessiert und ärgert, und so kann man ihn nicht loswerden“, bemerkte Goethe am 8. März 1818 über Stendhal in einem Brief an Zelter. Ein Gleiches ließe sich über Schmitt sagen, wobei in der Voyeursgesellschaft, in der zu leben wir verdammt sind, dem Privatmenschen Schmitt allzuviel Interesse entgegengebracht wird,  während etwa dem bedeutenden und einflußreichen Völkerrechtler Schmitt bisher ganze zwei Monographien gewidmet wurden. Mit beträchtlichen Mühen wurden Schmitts Tagebücher der Jahre 1912 bis 1915 und 1915 bis 1919 ediert (erschienen in den Jahren 2003 und 2005 im Berliner Akademie Verlag), doch enthalten sie nur geringe Aufschlüsse über sein Werk und erörtern nur am Rande die geistigen Auseinandersetzungen der Zeit; selbst das ungeheure Ereignis des Ersten Weltkrieges ist hier nur eine blasse Folie für die privaten Beschwerden Schmitts, seien es die amourösen Probleme mit seiner ersten Frau oder die wegen des Krieges ständig steigenden Schokoladenpreise.

Der Ertrag dieser Publikationen, vergleicht man sie mit Schmitts oft großartigen Briefen (so müßten die Korrespondenzen mit Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Karl Epting, Günther Krauß, Winfried Martini, Roman Schnur, J.P. Veale und Walter Warnach möglichst bald zugänglich gemacht werden), ist sehr bescheiden. Es ist der „privatistische“ Schmitt, wie man einst abwertend zu sagen pflegte, der da neunzig Prozent des Feldes besetzt.

Das gilt auch für die Tagebücher aus den Jahren 1930 bis 1934, immerhin die Niedergangsphase Weimars und die Anfänge des Dritten Reiches umfassend. Wir erfahren die Namen von Schmitts Besuchern, wir erfahren, wen Schmitt besuchte, zahllose Gespräche werden erwähnt, doch deren Inhalt so gut wie nie auch nur umrissen, schließlich werden wir über Schmitts Konsum- und Sexualgewohnheiten informiert, auch über sein manisches nächtliches Herumlaufen oder über seine anscheinend wöchentlich stattfindenden Besuche beim Friseur; des öfteren hat Schmitt auch einen über den Durst getrunken. Doch der Wissenschaftler und Intellektuelle wie der sich 1933 überraschend für das neue Regime aussprechende Schmitt, – den suchen wir vergebens.

Diese Tagebücher hatten nur für Schmitt einen gewissen Wert und dienten ihm als Merkblätter, die bei der Erinnerung an die damaligen geistigen Bemühungen und Gespräche nützlich sein mochten, für uns sind sie von sehr begrenztem Interesse. So erfahren wir etwa: „Wieder herrlicher Vormittag am Schreibtisch, korrigiert, sehr zufrieden. Nachmittags um 2 zur Deutschen Gesellschaft im Auto, mit Popitz und einigen anderen, bis 4 Uhr sehr nett unterhalten, fühlte mich aber sehr bedrückt. Ging durch Straßen, die Buchläden, traurig zur Handelshochschule, Angst vor den Juden und ihrem Haß. Hielt meine Übungen, Schluß dieser Vorlesung, zu Hause korrigiert, sonst nichts getan“ (24. Februar 1931). Am 28. Februar 1931 heißt es: „Nachmittags ausgeruht, abends kamen Fischer, Jünger, Adams und Palau, schöner Wein, gut unterhalten, bis 1/2 12, dann noch in ein Wirtshaus, Bier getrunken; mit Jünger über Bismarck und sein Reich disputiert.“

Weshalb aber die „Angst vor den Juden und ihrem Haß“, und welche Ansichten wurden im Gespräch mit Ernst Jünger geäußert? Solche Fragen stellen sich bei diesen Tagebüchern auf fast jeder Seite, und daß wir denn nichts über Schmitts Verhältnis zu Heinrich Brüning erfahren (die hier wohl bedeutendste Figur im Hintergrund) oder über den „Preußenschlag“ mit dem nachfolgenden Prozeß oder über Schmitts Engagement zugunsten des neuen Staates, verwundert so kaum noch. Wir wissen jetzt, wann sich Schmitt mit Johannes Popitz, Ernst Jünger, Erich Marcks, Eugen Ott, Heinrich Oberheid usw. traf,  aber wir erfahren nichts über seinen wilden Haß auf den bis 1935 noch in Berlin lehrenden Rudolf Smend, eben nur daß er Smend haßte.

Wir sehen einen triebhaft umherschweifenden Großstadtpflastertreter, einen mit „arabischer“ Hospitalität begabten Gastgeber, einen rastlosen Besucher, einen Mann mit zahllosen Anfällen von Traurigkeit, einen Schlaflosen, einen sowohl dem Wein wie dem Weib Zugeneigten, aber zum Schluß erhebt sich nur die Frage: Wann eigentlich hat Schmitt gearbeitet? Die kärglichen Notate über vormittägliches Am-Schreibtisch-Sitzen bringen uns kaum weiter, vergegenwärtigen wir uns den Umfang seines Werkes während der bewegten Jahre 1930 bis 1934.

Wir stehen also wieder einmal vor einem Geheimnis in Sachen Schmitt. Und da heißt es, Geheimnisse seien keine Wunder!

Alain de Benoist: Carl Schmitt. Internationale Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur. Ares Verlag, Graz 2010, gebunden, 528 Seiten, 98 Euro

Wolfgang Schuller, Gerd Giesler (Hrsg.): Carl Schmitt. Tagebücher 1930 bis 1934. Akademie Verlag. Berlin 2010, gebunden, XII und 518 Seiten, 59,80 Euro

Foto: Carl Schmitt: Triebhaft umherschweifender Großstadtpflastertreter

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