© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

In Rage zur Blamage
Außenpolitik : Ohne seine Interessen zu vertreten, hat sich Berlin in Europa isoliert
Thorsten Hinz

Gleich zwei außenpolitische Schlappen hat Deutschland in der letzten Woche hinnehmen müssen: Zum einen hat es sich endgültig in die Euro-Transfergemeinschaft hineintreiben lassen. Hilflos sieht es der Inflationierung seiner Währung und der Plünderung seines Haushalts zu – jetzt sogar durch Bareinlagen.

Die andere Schlappe heißt Libyen. Seinem verbalen Vorpreschen gegen Gaddafi ließ Außenminister Westerwelle die Stimmenthaltung im Sicherheitsrat folgen, ohne seinen Entschluß öffentlichkeitswirksam vorzubereiten und sich Verbündete zu suchen. Nicht diejenigen, die ohne Rücksprache mit den Nato-Partnern die Intervention begonnen haben, stehen jetzt unter Rechtfertigungsdruck, sondern Deutschland. Mit dem vorhersehbaren Ergebnis, daß es ohne Einfluß auf den Gang der Ereignisse bleibt, für die Bereinigung der Folgen jedoch zur Kasse gebeten wird.

Merkel, Westerwelle, Schäuble und Co. sind von der Situation überfordert, aber das außenpolitische Unvermögen betrifft auch die Oppostion und – Ausnahmen bestätigen die Regel – die Presse. Es gibt in Deutschland keine qualifizierten Debatten über Außen- und Sicherheitspolitik. Kritik an der Regierung entzündet sich an taktischen, nicht an substantiellen Fragen. In der Causa Libyen wird vor einem „deutschen Sonderweg“ gewarnt, als wäre das, was die Herren Sarkozy, Cameron und Obama in Libyen anstellen, das Normalste und Natürlichste auf der Welt.

Zweifellos ist die Bündnisfähigkeit für Deutschland nach aller Erfahrung ein elementarer Wert, der sogar dazu zwingen kann, eine falsche Politik aus taktischen Gründen mitzutragen. Damit das aber zu mehr führt als zu permanenter Selbstverletzung, muß man über bessere Konzepte verfügen, die man dann eben auf Umwegen zu verwirklichen versucht. Doch daran und an den handwerklichen Fähigkeiten zu ihrer Umsetzung mangelt es. Die Außenpolitik ist konzept- und planlos, ohne diplomatische Raffinesse. Ihr fehlt es an nüchternem Kalkül und Verständnis für die Interessen von Staaten – allen voran des eigenen! Geschichtsblindheit verhindert, in gegenwärtigen Ereignissen die langfristig wirkenden geschichtlichen Kräfte zu identifizieren.

Die Kanzlerin, die ihre innenpolitischen Gegner reihenweise kaltstellt, erweist sich auf internationaler Ebene als ein Leichtgewicht, für das man sich als Bürger und als Deutscher schämt. Und sie steht damit stellvertretend für die gegenwärtige politische Klasse in Deutschland.

Es geht um mehr als um subjektive Defizite, denn die Nachbarstaaten bringen zur Zeit keine bedeutenderen Charaktere hervor. Dennoch verfügen vor allem die Franzosen über die Fähigkeit, die deutschen Vertreter regelmäßig an die Wand spielen. Ein Grund liegt darin, daß sie Einrichtungen und Institutionen in ihren Ländern durchlaufen haben, die ausdrücklich zur nationalen Elite- und Traditionsbildung beitragen sollen und die ihnen den außenpolitischen Machtinstinkt vermitteln, der dem diplomatischen Erfolg vorangeht. Deutschland verfügt entweder über keine vergleichbaren Institutionen und Gremien oder sie sind als Einflußorganisationen der amerikanischen Vormacht installiert worden.

Eine tragfähige außenpolitische Tradition herauszubilden, hatte sich freilich schon im Deutschen Reich als kompliziert erwiesen: wegen der Mittellage und der Größe Deutschlands, die sich in das europäische Gleichgewichtskonzert nicht einfügen wollte. Bismarcks Hoffnung, wäre Germania erst einmal in den Sattel gesetzt, dann würde sie schon reiten lernen, erwies sich nach dem Abgang des Reichsgründers 1890 als irrig. Wilhelm II. notierte im holländischen Exil verbittert, die deutsche Diplomatie habe danach der englischen und französischen nicht mehr das Wasser reichen können.

Nach 1945 war der Rahmen für die deutsche Außenpolitik durch die Super- und die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs eng gezogen: Die Bundesrepublik akzeptierte die Hegemonie der USA, suchte in Europa einen Ersatz für den verlorenen Nationalstaat und verwaltete die deutsche Teilung. Da sie auf die großen politischen Weichenstellungen keinen Einfluß hatte, nahmen diese im politischen Denken allmählich die Evidenz eines Naturgesetzes an mit der Folge, daß das historische Wissen um die eigene Lage verkümmerte, der Machtverlust als Vorzug – als Befreiung von der Selbstverantwortung – empfunden wurde und man die Verwaltung des Status quo durch die berühmte Scheckbuchdiplomatie mit Politik verwechselte.

Nicht einmal erfolglos, wie sich 1989/90 zeigte, doch als Hans-Dietrich Genscher 1992 nach 16 Jahren das Auswärtige Amt verließ, war allen klar, daß die bundesdeutsche Außenpolitik sich erschöpft und auf Herausforderungen wie den Golf- und Jugoslawienkrieg keine Antworten mehr hatte. Eine Debatte aber fand nicht statt. Der Weg in das Brüsseler Europa und in die Einheitswährung erfolgte ohne gründliche Analyse der Motive der Partnerländer: Das wiedervereinte Deutschland versuchte der Politik zu entfliehen aus Angst, von ihr überfordert zu werden und wie das Deutsche Reich in die Isolation zu geraten. Angst jedoch macht kopflos. In diesem Zustand wird Deutschland von der Politik der anderen eingeholt.

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