© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Urlaubsgefühle der Kanzlerin
Schuldenkrise: Nutzen und Kosten der Euro-Rettungsversuche stehen in keinem akzeptablen Verhältnis
Bernd-Thomas Ramb

Die emotionale Beschwörung der Bundeskanzlerin läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Deutschland profitiert vom Euro. Deutschland profitiert vom Euro wie kaum ein anderes Land“, versucht CDU-Chefin Angela Merkel den Parlamentariern anläßlich ihrer jüngsten Regierungserklärung zur Euro-Rettungskampagne weiszumachen, um anschließend ihre Interpretation des besonderen deutschen Profits nachzuschieben: „Wir profitieren von der Preisstabilität. Wir profitieren davon, daß wir beim Reisen keine lästigen Umtauschgebühren mehr bezahlen müssen.“ Als ob nur die Deutschen reisen, als ob andere Länder weniger von der Preisstabilität profitieren und als ob diese überhaupt vorliegt.

Den Profit, den der Euro den Deutschen angeblich beschert, sieht die Kanzlerin nicht nur beim Urlaub (den die Deutschen immer häufiger im eigenen Land verbringen), sondern auch bei der Wirtschaft: „Unsere Wirtschaftsunternehmen, die vielfach stark exportorientiert sind, profitieren von anderen Euro-Ländern, die wichtige Absatzmärkte für deutsche Waren sind.“ Die Kostenersparnis berechnet Merkel mit 20 bis 25 Milliarden Euro jährlich; die Rechenformel wird allerdings vorenthalten. Offen bleibt auch, wer von dieser Kostenersparnis im Außenhandel tatsächlich profitiert. Sinken dadurch im entsprechenden Umfang die Exportpreise, kommt der Vorteil allein den ausländischen Kunden zugute.

Deutschland ist aber nicht nur Exportland, sondern importiert auch in nahezu gleichem Umfang Waren aus den Ländern der Euro-Zone. Da müßte nun nach der Logik der Bundeskanzlerin umgekehrt gelten: Das Ausland profitiert – oder geben die ausländischen Firmen ihre Kostenvorteile in Form niedrigerer Preise an die Deutschen ab? Die Profitberechnung Merkels steht auf wackeligen Beinen. Ihre Kalkulation des Profits bleibt so vage wie ihre pauschale Bewertung: „Der Euro sorgt für Arbeitsplätze, er sorgt für Wirtschaftswachstum, er sorgt für Steuereinnahmen in Deutschland.“ Das ist jedoch noch nicht einmal das Problematischste ihrer Erklärung. Sie offenbart eklatante Mängel im grundsätzlichen Verständnis ökonomischer Sachverhalte.

Die Auffassung der Bundeskanzlerin von „Profit“ liegt weit entfernt von der ökonomischen Bedeutung dieses Wortes. Profit bedeutet Gewinn und der Gewinn errechnet sich aus der Differenz zwischen Erlös und Kosten. Was Merkel als „Profit“ aus der gemeinsamen Euro-Währung ansieht, sind bestenfalls die positiv gerechneten Erlöse aus der Kostenersparnis und eventuell daraus resultierenden Umsatzsteigerungen (sofern sie wirklich damit erklärbar sind). Was fehlt ist die Verrechnung mit den Kosten der Euro-Währung. Erst wenn die Kosten geringer sind als der Erlös, kann tatsächlich von einem Gewinn oder Profit durch die Einführung der Euro-Währung gesprochen werden. Das Wort Kosten bleibt in Merkels Regierungserklärung jedoch gänzlich unerwähnt.

Die ökonomisch bedeutsamen Kosten der Euro-Verbundwährung bestehen in der Preisgabe der Vorteile, die sich aus einer nationalen Währung ergeben: Insbesondere die Anpassung der Wechselkurse an länderspezifische wirtschaftliche Entwicklungen. Der Verzicht auf diese Vorteile verursacht Kosten, wie die Problemländer des Euro-Verbundes aktuell beweisen. Um den Euro-Verbund zu retten, sind enorme Zahlungen der „Profiteure“ des Euros notwendig. Die Bundeskanzlerin hätte somit ihre „Profit“-Berechnung zumindest um die Kosten der Euro-Rettungsversuche reduzieren müssen. Nicht zuletzt, weil die Rettungskosten im Gegensatz zu den vermuteten Erlösen aus der Aufrechterhaltung des Euros tatsächlich errechenbar und zu bezahlen sind.

Bislang hat im Zuge der Rettungsversuche insbesondere Griechenland eine deutsche Beihilfe in Höhe von 22 Milliarden Euro erhalten. Nur sehr große Optimisten glauben, daß Griechenland diesen Betrag in drei Jahren wie versprochen vollständig zurückzahlt. Aber selbst bei diesem unrealistisch positiven Szenarium betragen die von Deutschland zu tragenden Zinskosten nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 800 Millionen Euro. Eher ist zu erwarten, daß die Griechen ihre Schulden um 30 Prozent kürzen, was verharmlosend als „Umschuldung“ bezeichnet wird. Das würde Deutschland laut DIW 7,3 Milliarden Euro kosten.

Werden die anderen hoch verschuldeten Problemländer Irland und Portugal (hier scheiterte die Regierung an ihrem Sparpaket) sowie mit der nächsthohen Wahrscheinlichkeit Spanien in die Rechnung einbezogen, werden sich die Euro-Rettungskosten weiter erhöhen. Sicher sind auf jeden Fall die von Merkel für den geplanten Euro-Stabilitätsmechanismus (ESM) zugesagten deutschen Zahlungen in Höhe von 22 Milliarden Euro als Kosten zu verbuchen. Das DIW beschränkt seine „Schlimmstenfalls“-Studie auf Gesamtkosten von 35 Milliarden Euro. Die zusätzlich geplante Verpflichtung Deutschlands, für weitere 163 Milliarden Kredite der Euro-Schwachländer zu haften, könnte sich im Pleitefall ebenfalls schnell in tatsächliche Kosten verwandeln.

Richtig teuer wird es, wenn der Euro aufgelöst wird. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle schätzte die dann Deutschland entstehenden Kosten auf optimistisch niedrige 174 Milliarden Euro. Wahrscheinlich werden die Kosten des Euro-Abenteuers aber eher bei 350 Milliarden Euro liegen (JF 10/11). Da noch von einem deutschen „Profit“ aus der Euro-Währung zu sprechen, bedarf schon einer sehr gefühlskontrollierten Semantik.

Foto: Anti-Merkel-Plakate auf Kundgebung gegen Sparpaket der Regierung in Lissabon: Trotz Miliardeneinsatz wird Deutschland zum Buhman

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