© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Am 20. März jährte sich der Geburtstag des Sohns von Napoleon und Marie Louise zum zweihundertsten Mal. Das war der FAZ einen wunderbar altmodisch geschriebenen Artikel über das Schicksal Napoleons II. wert. Den Titel verliehen dem Kleinen die Bonapartisten, also die Anhänger einer Restauration der Napoleoniden, nach der Abdankung seines Vaters. Störend war lediglich die Bemerkung des Autors, daß mit dem frühen Tod des „Aiglon“ – des „kleinen Adlers“ die „letzte Hoffnung“ der Bonapartisten gestorben sei. Denn abgesehen von der Errichtung eines neuen Kaisertums unter Napoleons Neffen, der als Napoleon III. 1852 auf den Thron kam, gab es in der Zählung des Hauses auch noch dessen Sohn, also Napoleon IV. Der junge Napoléon Eugène Louis Jean Joseph, genannt Louis Napoléon oder „Lulu“, war mit seiner Familie im Gefolge der Niederlage Frankreichs gegen Deutschland und dem Zusammenbruch der Monarchie ins britische Exil gegangen. Nach dem Tod seines Vaters wurde er für volljährig erklärt und seine Anhänger – die „Imperialisten“, wie man damals sagte – proklamierten ihn am 16. März 1874 zum Kaiser.

Die aktuelle Nachrichtenmeldung „Die Alliierten unternehmen Luftangriffe“ löst beim deutschen Hörer diffuses Unbehagen aus.

„‘Individual’, das ist der lateinische Ausdruck für Atom. Die Gesellschaft auf Individuen zurückführen, heißt sie in Atome zertrümmern. Nach alter materialistischer Ansicht gibt es keine andere Möglichkeit der Erklärung als: teilen, teilen und wieder teilen, bis es nichts mehr zu teilen gibt. Das ist die Methode der Tyrannen von einst: sie ließen den Menschen vierteilen und aufspießen. Nichts Zerspalteneres und Ohnmächtigeres als ein Individuum! Man muß ihm vorher die Familie nehmen; selbstverständlich auch seinen Berufsstand.“ (Gilbert Keith Chesterton)

Man könnte versuchsweise eine rechte Typologie nach Maßgabe der Haustiersympathie entwickeln. Vor allem wäre dann zwischen Hunde- und Katzenliebhabern zu unterscheiden. Was letztere betrifft, gibt es berühmte Beispiele: Ernst Jünger und Armin Mohler. Allerdings scheint es sich um eine Minderheit zu handeln. Die Begeisterung für Hunde ist verbreiteter. Wir ersparen uns den Hinweis auf ganz bekannte Fälle, aber soviel immerhin: Der völkische Schriftsteller Will Vesper erschoß jede Katze auf seinem Grund, weil er sie für den Inbegriff des „Semitischen“ hielt.

Ein Freund meinte unlängst, das Hauptproblem des Konservativen sei, daß er einfach mehr Zeit brauche, um seine Position zu erklären. Das mindere die Wirksamkeit der Argumentation und strapaziere die Geduld der Wohlwollenden und Interessierten. Man kann dem Befund nur beipflichten. Tatsächlich wird die Gegenaufklärung nicht nur behindert durch das Fehlen von Gelegenheit, sie zur Sprache zu bringen, sondern auch durch das Fehlen von „Anschlußmöglichkeiten“. Dazu hat die „Kritikfähigkeit“ allen Nimbus verloren, und es gibt kaum noch Kenntnisse im Historischen. Der süße ideologische Brei ist bis in die letzte Ecke gedrungen.

Bildungsbericht in loser Folge

VIII: Zu den irritierenden Erscheinungen gehören Konservative mit mißratenen Kindern und Linke mit geratenen. Aber die Lösung des Rätsels liegt auf der Hand: im einen wie im anderen Fall hat man sich nicht an seine Maximen gehalten.

Für die Hoffnung auf eine Restauration sprach in Frankreich nach 1871 vor allem die Stärke der antirepublikanischen Kräfte; die Verfassung des neuen Regimes enthielt ursprünglich nicht einmal das Wort „Republik“, die Erwartung seiner Kurzlebigkeit war allgemein. Als Vorteil für die Sache Napoleons IV. konnte außerdem die Ungeschicklichkeit des bourbonischen Prätendenten gelten. Dazu steigerten charakterliche Vorzüge und ein starkes Empfinden sozialer Verantwortung seine Popularität in der Heimat. Der Schriftsteller Ernest Renan betonte, daß die Sympathie für den Prince Impérial „in allen Klassen der Gesellschaft, auch denen des einfachen Volkes lebendig“ gewesen sei. Schließlich gab das Kalkül den Ausschlag, daß militärischer Ruhm stets besonderen Eindruck auf die Franzosen machte. Dem Wunsch seiner ehrgeizigen Mutter Eugénie folgend, war Louis Napoléon zu der Zeit schon in die britische Armee eingetreten. Tatsächlich soll er ein guter Offizier gewesen sein. Und wahrscheinlich wurde ihm genau das zum Verhängnis: Er meldete sich freiwillig zum Einsatz im südlichen Afrika und fiel am 1. Juni 1879 im Kampf gegen die Zulus. Seinen Leichnam ließ Königin Viktoria nach England überführen und neben dem des Vaters beisetzen. Danach existierte zwar noch eine bonapartistische Bewegung in Frankreich, aber ohne überzeugende Führergestalt. Jetzt erst, mit dem Tod Napoleons IV., hatte sich tatsächlich deren „letzte Hoffnung“ erledigt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. April in der JF-Ausgabe 16/11.

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