© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Bedrohte Inselwelt
Gran Canaria: Die Bauwut der Tourismusindustrie könnte sich zu einem Bumerang entwickeln
Christian Schwiesselmann

Märzensonne, der Wind bläst aus Südost. Sanft streift er über die Terrasse der kleinen Finca. Herbert und Helga K. sitzen auf ihrem Balkon am Frühstückstisch. Während sie zufrieden ein Toast kaut, liest er mürrisch eine deutsche Boulevardzeitung – ganz wie im heimischen Düsseldorf. Das Ehepaar gehört zu den Stammgästen auf einer der beliebtesten deutschen Urlaubsinseln – Gran Canaria.

Wie die britischen Kaufleute im 19. Jahrhundert, die dem feucht-kalten Grau der eigenen Insel entfliehen wollten und so die Hafenwirtschaft zur Blüte brachten, streben alljährlich ganze Flugzeugbäuche voll deutscher Rentner in die milde Frühlingssonne der Kanarischen Inseln. Wo britische Gentlemen damals formvollendete Jugendstilfassaden, funktionierende Telefon- und Wassernetze sowie mondäne Badeorte hinterließen, frißt sich heute die Tourismusindustrie tief in das Vulkangestein des zu Spanien gehörenden Inselparadieses. In Maspalomas, das gleichermaßen nahtlos wie asphaltreich in das benachbarte Playa del Inglés übergeht, wird dies schon an den Straßennamen deutlich. Hier kreuzen sich „Avenida del Touroperador Tui“ und „Avenida del Touroperador Neckermann“.

So einfallslos wie die Bezeichnung mutet das Bezeichnete an. Immer neue Hotelkomplexe verstellen den Blick auf das fast 2.000 Meter hohe Gebirgsmassiv im Inneren der Insel. Riesige Einkaufszentren werfen dunkle Schatten auf die Sonneninsel. Mehrere kreisrunde Bungalowsiedlungen gruppieren sich um den Golfplatz in Maspalomas, der direkt an die berühmten Sanddünen grenzt. Auch dort keine Spur mehr von der früheren Beschaulichkeit. Statt dessen moderner Massentourismus: schmierige Strandcafés mit lästig-werbender Bedienung, kamelreitende Urlauberfamilien und schwule Pärchen, die nackt und ungeniert im Wüstensand liegen.

Das Betonieren hat System. Obwohl Gran Canaria nach Fuerteventura und der Nachbarinsel Teneriffa nur die drittgrößte kanarische Insel ist, leben mehr als 800.000 Menschen darauf – Tendenz steigend. Die Autobahn wird stetig mit EU-Mitteln verlängert, die im chronisch blanken Spanien erstaunlich üppig fließen. Irgendwann wird sie das Eiland, das im 15. Jahrhundert von der spanischen Krone erobert wurde, umrunden. Einstmals idyllische Buchten und Fischerdörfer des Südens – Arguineguín, Puerto Rico, Puerto Mogán – sind bereits vollgestellt mit Bettenburgen und Eigentumswohnungen. Die Touristiker dringen immer weiter in die felsige, unberührte Natur der Südwestküste vor. Diese „Urbanisation“, wie die Spanier sie nennen, schafft Platz für die über drei Millionen Briten und zwei Millionen Deutschen, die jährlich die Kanarischen Inseln bevölkern.

In Las Palmas, wo triste Hochhäuser mit bröckelnden Marmorfassaden das Stadtbild dominieren, lädt lediglich die Altstadt (Vegueta) zum Verweilen ein. Im erhaltenen Gouverneurshaus (Casa de Colón) hatte 1492 Christoph Kolumbus residiert, bevor er nach Amerika aufbrach. Er mußte in der Inselhauptstadt vor Anker gehen, um eines seiner Schiffe reparieren zu lassen. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch die fünfschiffige Kathedrale Santa Ana, deren Grundstein 1497 gelegt wurde. Sie ist nur über das bischöfliche Museum zu besuchen. Für manchen ein offenkundiger Hinderungsgrund: „Die drei Euro Eintritt stören mich nicht, aber das Anstehen“, zischelte ein Senior am Eingang seiner Gattin zu. Zumindest seine Zahlungsbereitschaft bestätigt, was das deutschsprachige Wochenmagazin Info Canarias über die Deutschen berichtet: Daß sie mehr Geld dalassen als die knausrigen Angelsachsen.

Herbert und Helga K. kommen immer wieder nach Gran Canaria – seit fünfzehn Jahren. Helga schwärmt für die Kakteenpracht im Norden. „Wir mieten uns einen Wagen und fahren die Serpentinen rauf zum Felsen Roque Nublo“, säuselt sie im besten rheinländischen Singsang. „Einfach traumhaft“, nickt Herbert zustimmend. Noch. www.infocanarias.com

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